Stehen die USA oder Europa nun an der Schwelle zur Rezession? Was bedeutet die erste Zinserhöhung seit fast 10 Jahren für die Märkte? Und sind die Aktien- und Rentenmärkte nicht schon zu weit gelaufen, so dass ein Crash unvermeidlich ist? Die Experten von J.P. Morgan Asset Management können diese Sorgen mit Zahlen, Daten und Fakten aus dem aktuellen „Guide to the Markets“ abschwächen, doch es gilt auch, sich in diesem herausfordernden Umfeld auf weitere Turbulenzen einzustellen.
Reißt China die Welt in den Abgrund?
China ist sicherlich ein großer Unsicherheitsfaktor für die Märkte in 2016. „Nachdem sich 2015 der Industriesektor als das Rückgrat der chinesischen Wirtschaft deutlich abschwächte, hat die Industrie des Landes nun bereits eine ‚harte Landung‘ hinter sich. Der Dienstleistungssektor, der mittlerweile einen viel größeren Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt als noch vor zehn Jahren leistet, zeigt sich zudem widerstandsfähiger. Die Herausforderung für China besteht nun darin, diesen Konjunkturabschwung so zu meistern, dass der strukturelle Übergang zu einer stärker konsumorientierten Wirtschaft nicht gefährdet wird“, unterstreicht Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management in Frankfurt. Dies wäre nicht nur für China, sondern auch für den Abbau der weltweiten Ungleichgewichte wünschenswert. Mehr als die meisten Schwellenländer müsse China zudem einen Weg zum Abbau der finanziellen Exzesse aus Zeiten des Kreditbooms nach der Krise finden. Dies sollte dem Land idealerweise noch vor der vollständigen Öffnung seines Kapitalmarktes für die restliche Welt gelingen. Deshalb haben die chinesischen Behörden nicht so nachdrücklich mit fiskal- und geldpolitischen Maßnahmen auf die konjunkturelle Schwäche reagiert wie noch während der globalen Finanzkrise.
Laut Galler gilt es sich aber auch in Erinnerung zu rufen: Da es global nur ein geringes Volumen an Renminbi-Finanzierung gibt, sollte eine Verschärfung innerhalb des chinesischen Finanzsystems wenig Ansteckungsgefahr für die globalen Märkte bergen. So waren die Kursrutsche an den Märkten in China wohl eher psychologisch geprägt als von den unterliegenden Wirtschaftsfaktoren, denn der Abwärtstrend verstärkte sich, als der Renminbi neue Tiefstände erreichte. „Diese Abwertung ist jedoch ein notwendiger Prozess, wenn China den Renminbi zukünftig gegenüber einem Währungskorb und nicht nur gegen den US-Dollar bewertet. Die psychologischen Faktoren, die die Märkte treiben, könnten auch weiter die Wirtschaftsdaten überschatten, die sich gar nicht so negativ darstellen, wie die Marktentwicklung vermuten ließe“, so der Experte.
Das Tempo ist entscheidend
Ein weiteres zentrales Thema für 2016 wird die gegenläufige Geldpolitik der verschiedenen Wirtschaftsräume bleiben: Im Dezember senkte die Europäische Zentralbank ihren Einlagensatz auf -0,3 Prozent und verpflichtete sich, das quantitative Lockerungsprogramm um sechs Monate bis ins Jahr 2017 hinein zu verlängern. Derweil erhöhte die US-Notenbank (Fed) ihre Zinsen erstmalig seit 2006 um 25 Basispunkte. „Eine Konsequenz dieser gegenläufigen Geldpolitik dürfte eine fortgesetzte Rallye des US-Dollars sein, auch wenn der Großteil dieses Aufwärtstrends bereits hinter uns liegen sollte: Der Dollar erscheint bereits überbewertet, und ein Teil der zu erwartenden Divergenz ist von den Märkten preislich berücksichtigt. Entscheidend wird nun das Tempo der Zinserhöhungen sein“, betont Galler.
In den Schwellenländern könnte laut dem Experten eine lockerere Geldpolitik das Wachstum zwar ankurbeln, viele Zentralbanken dürften jedoch von einer Lockerung absehen und sich womöglich gar für eine Straffung entscheiden – entweder aufgrund von Inflationssorgen oder zur Vermeidung einer verstärkten Kapitalflucht, die im Zuge eines Straffungszyklus durch die Fed eintreten könnte. Insgesamt wird auch die gegenläufige Entwicklung der Geldpolitik wohl für eine erhöhte Volatilität an den Kapitalmärkten sorgen.
Alternder Bullenmarkt lässt niedrigere Erträge erwarten
Aber auch ein anderer Aspekt sollte Anleger umtreiben: Die Rallye am Aktienmarkt dauert nun schon fast sieben Jahre an, und die Renditen von Staatsanleihen sind nach einer fast 35-jährigen Hausse am Rentenmarkt weiterhin in der Nähe ihres Tiefststands. „Auf Basis der von uns beobachteten Kennzahlen und Warnsignale halten wir es für unwahrscheinlich, dass eine globale Rezession unmittelbar bevorsteht. Allerdings gehen wir davon aus, dass sowohl die von Aktien als auch von Staatsanleihen erzielten Renditen in den nächsten Jahren niedriger ausfallen dürften als in den Jahren seit Ende der Finanzkrise“, erläutert der Experte. Die Bewertungen von Aktien seien zwar nicht überteuert oder gar auf dem Niveau vergangener Marktblasen, lägen heute aber doch höher als zu Beginn des aktuellen Zyklus, während die Wachstumsprognosen unterhalb ihrer langfristigen Durchschnitte liegen. Daher ist davon auszugehen, dass die Renditen künftig niedriger ausfallen werden. Und die Märkte für Staatsanleihen erscheinen im Vergleich zur jüngsten Zeit eher überhöht. Die Renditen in diesem Sektor dürften 2016 – je nach Region und Tempo der Zinserhöhungen in den USA – niedriger oder gar negativ ausfallen.
Laut Galler ist es darüber hinaus sinnvoll, die Diversifikation zu überdenken: Verschiedene Aktienmärkte tendieren dazu, im Gleichlauf zu steigen und zu fallen. In der Vergangenheit konnten Anleger mit einer Beimischung von Anleihen bei fallenden Aktienmärkten ein gewisses Maß an Schutz genießen. Allerdings sind Staatsanleihen heute in ihrer Funktion als Lieferanten von Portfoliodiversifizierung, die Schutz vor Verlusten bieten, weniger zuverlässig. „Die Korrelation zwischen Anleihen und Aktien ist weniger stabil, und die Renditen liegen in der Nähe ihrer Allzeittiefs. Somit besteht bei steigenden Zinsen nur ein geringer Puffer“, warnt der Experte. In einem solchen Umfeld können alternative Strategien, die unabhängiger vom Marktbeta investieren, eine zusätzliche Portfoliodiversifizierung bieten und zur Erzielung positiver risikobereinigter Renditen in unterschiedlichen Marktbedingungen beitragen.
Europa im Aufwind
Es gibt jedoch auch Lichtblicke für Anleger: Die Eurozone konnte 2015 erhebliche Fortschritte erzielen und ist dank niedriger Ölpreise, einer Erholung des Binnenmarktes und monetärer Unterstützung durch die Europäische Zentralbank gut positioniert, um die höchste jährliche Wachstumsrate seit 2011 zu erzielen. „Wir sind davon überzeugt, dass sich diese konjunkturelle Dynamik im neuen Jahr fortsetzt und dies ein positives Umfeld für die Aktienmärkte der Region schafft.“ Galler sieht gleich fünf wesentliche Gründe für den positiven Ausblick für 2016: konsequente Reformen, die Herausbildung langfristig nachhaltiger Wachstumstreiber, weitere Unterstützung durch die EZB, eine schwächere Währung und starkes Gewinnwachstum.
Eine weitere Lockerung durch die EZB und ein schwächerer Euro dürften den Anlagemärkten der Eurozone 2016 weiterhin Unterstützung bieten. Dabei ist laut dem Strategen jedoch zu beachten, dass die weitere Erholung vor allem auf der Binnennachfrage beruht. Dies verstärkt das Argument für eine Investition in Unternehmen, die von einer auf den Binnenmarkt ausgerichteten, verbrauchergeführten Erholung profitieren. „Da die Bewertungen jedoch höher sind als in der Vergangenheit, müssen Anleger heute mehr denn jemals zuvor selektiv vorgehen“. Im Finanzsektor zeichnet sich beispielsweise deutlich ab, dass bestimmte Finanzinstitute stärker vom Abschwung der Schwellenländer in Mitleidenschaft gezogen werden – während andere wiederum gut positioniert sind, um von einer Belebung der inländischen Kreditvergabe und Wirtschaftsaktivität zu profitieren.