Über mehrere Monate haben Vertreter des Rats in Statements angekündigt, die Geldpolitik weiter zu lockern. Marktbeobachter gehen fest davon aus, dass die Europäische Zentralbank (EZB) den Einlagensatz senkt. Daniel Kühn, Chefredakteur des Finanzportals GodmodeTrader, geht sogar noch einen Schritt weiter: Er schließt nicht aus, dass die EZB zusätzlich auch den Leitzins in negatives Terrain befördern könnte.
Letzte Zinserhöhung im Juli 2008
Seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 und später im Rahmen der Eurokrise hat die EZB die Refinanzierungsbedingungen für Geschäftsbanken immer weiter verbilligt und im Zuge dessen den Leitzins – also den Zinssatz, zu dem sich Banken Zentralbankgeld gegen Sicherheiten leihen können – auf 0,05 Prozent p.a. gesenkt.
Zum Vergleich: Im Juli 2008 kam es zur bis dato letzten Leitzinserhöhung von 4,0 auf 4,25 Prozent p.a. Gleichzeitig fiel auch der sogenannte Einlagezins drastisch – von 3,25 Prozent im Juli 2008 auf aktuell minus 0,3 Prozent p.a. Der Einlagezins ist der Zinssatz, den Banken für Überschussreserven erhalten bzw. bezahlen müssen. Dabei handelt es sich um die Zentralbankguthaben, die die Mindestreserveverpflichtungen der Banken überschreiten. Weil der Einlagezins inzwischen negativ ist, wird er auch als „Strafzins“ bezeichnet. Außerdem kauft die EZB seit März 2015 und mindestens bis März 2017 Wertpapiere – darunter überwiegend Staatsanleihen – für rund 60 Mrd. Euro pro Monat („Quantitative Easing”).
Preisstabilität durch fallende Zinsen und Anleihekaufprogramme
Als offizielle Begründung für die weiter fallenden Zinsen und Anleihekaufprogramme dienen die Inflationsdaten aus der Eurozone. Die EZB hat die gesetzliche Verpflichtung, für Preisstabilität zu sorgen. Laut ihrer eigenen Interpretation liegen stabile Preise aber nur dann vor, wenn das Preisniveau jährlich um „unter, aber nahe 2 Prozent” steigt. Unveränderte Preise sind nach dieser Lesart nicht stabil. Zuletzt waren im Februar die Preise um 0,2 Prozent auf Jahressicht gefallen.
Letzte Zinssenkung auf Basis von Inflationsdaten
Es ist unstrittig, dass die zuletzt sehr niedrigen bzw. sogar negativen Inflationsraten ihre Hauptursache in den drastisch gefallenen Energiepreisen hatten. Der Ölpreis war im Tief auf rund 27 USD/Barrell gefallen, weil weltweit zu viel Öl gefördert wird.
Inzwischen hat sich der Ölpreis um ca. 40 Prozent erholt und auch andere Rohstoffe haben sich merklich verteuert. Es ist daher wahrscheinlich, dass die Inflationsraten in den kommenden Monaten deutlich anziehen werden. Um eine weitere geldpolitische Lockerung mit Inflationsdaten zu rechtfertigen, dürfte sich morgen daher vorerst die letzte Gelegenheit ergeben. Laut Daniel Kühn ist es unwahrscheinlich, dass EZB-Chef Mario Draghi diese Chance nicht nutzt.
Weitere Lockerung der Geldpolitik erwartet
Die Markterwartungen haben sich nach diversen Statements von Ratsmitgliedern bereits verfestigt. So wird im Konsens davon ausgegangen, dass der Einlagesatz (Strafzins) auf -0,4 bis -0,5 Prozent sinken wird. Das ist auch die Voraussetzung dafür, dass die EZB das Anleihekaufprogramm auf 80 bis 90 Mrd. EUR pro Monat ausweiten kann. Denn die EZB darf nur Papiere kaufen, deren Rendite oberhalb des Einlagesatzes liegt, sonst würde sie sichere Verluste machen. Und die meisten Staatsanleihen rentieren mittlerweile negativ. Bei Bundesanleihen ist das bei bis zu 8 Jahren Laufzeit der Fall.
Ob die EZB auch den Leitzins tatsächlich ins Minus befördert, wird die EZB-Sitzung am morgigen Donnerstag zeigen. Dies wäre in der Eurozone absolutes Neuland, würde aber die Banken entlasten – sie müssten dann weniger unter den Strafzinsen leiden, weil sich ihre Zinsspanne verbessern würde. „Egal, was an Maßnahmen nun beschlossen wird, es spricht einiges dafür, dass dies einer der letzten eskalatorischen Schritte der Geldpolitik sein wird, wenn nicht sogar DER letzte“, so Daniel Kühn. „Mittelfristig wird auch der EZB nichts anderes übrig bleiben, als den Pfad Richtung Normalisierung zu beschreiten. Die US-Notenbank Fed, das EZB-Pendant der USA, hat sich bereits auf die Wanderung begeben.“