Seit der Sitzung der US-Notenbank Mitte März verzeichneten die Emerging Markets einen starken Kapitalzufluss, wie Daten des Institutes of International Finance zeigen. Und gemäß der People’s Bank of China nahmen im März in Sonderziehungsrechten berechnet die Währungsreserven erstmals seit November vergangenen Jahres wieder zu. Mit den Ankündigungen der kommunistischen Regierung, wachstumsstimulierende Maßnahmen zu ergreifen, hat dies den Abwärtsdruck auf die chinesische Währung verringert. Die Zweifel sind nicht ausgeräumt, ob das chinesische Experiment wie von der Partei gewünscht ausgehen wird.
Diese Unsicherheit strahlt gerade auf Deutschland ab. Die Abhängigkeit der deutschen Industrie von Aufträgen aus Asien ist überproportional hoch. Dies dürfte die Underperformance des Dax erklären, die auf Sicht von einem Jahr mit gut einem Fünftel signifikant größer als die Aufwertung des Euro um einige Prozentpunkte ist. Nicht viel besser sieht es aber auch insgesamt mit den europäischen Werten aus.
Es gibt viele Erklärungsansätze, warum dies so ist. Erwartetes dürftiges Wachstum und nicht zuletzt eine vermutete Wirkungslosigkeit der Geldpolitik – verwiesen wird auf Japan – sind Risiken. Eine Vielzahl an Mikrofaktoren kommt dazu. Ein gelistetes Unternehmen verdient nicht per Gesetz seine Kapitalkosten. Im Dax sind eine Beiersdorf, Daimler, ProSieben Sat.1 oder Henkel, die stattliche Renditen auf ihr investiertes Kapital erzielen, nicht per se die Regel.
Bleibt das Wachstum in den Schwellenländern schwach, geraten alle Unternehmen unter Druck, die noch das Kunststück geschafft haben, den Unternehmenswert knapp steigern zu können. Hinzu kommen neue Wettbewerber, die digitale Geschäftsmodelle ausrollen. Jüngstes Beispiel ist der angekündigte Vorstoß von Amazon, in Deutschland in die Paketzustellung investieren zu wollen. Die Anleger der Deutschen Post macht dies zu Recht unruhig.
Doch auch in den USA mit einer weniger stark alternden Gesellschaft und höheren erwarteten Wachstumsraten ist nicht alles Gold, was glänzt. Ein Blick auf die erwartete Cash-flow-Entwicklung zeigt, dass für die 30 Dax-Werte wie auch für die Titel im S&P 500 in diesem Jahr die Bloomberg-Schätzungen mit einem Anstieg des Kurs-Cash-flow-Verhältnis rechnen. Will sagen: Das Cash-flow-Wachstum, aus dem ein Aufwärtsimpuls für die Bewertungsmultiples kommen könnte, fehlt. Und was geschieht, wenn der Mittelzufluss gar nicht mehr rentabel genug reinvestiert werden kann?
Die Optimisten werden sagen: Wettbewerb gab es immer, die Unternehmen sind anpassungsfähiger als gedacht, die Tiefstzinsen erleichtern es, wachstumsmehrende Investitionen zu tätigen, da die Kapitalkosten sinken. Auch erscheint die Bewertung nicht übertrieben hoch. Pessimisten werden sagen: Was früher war, wird nicht mehr sein. Die Weltwirtschaft wird nie mehr frühere Wachstumsraten erreichen können. Deshalb nimmt der Verteilungskampf global zu: Der Kuchen wächst in absoluten Zahlen noch stattlich, aber die Zahl der Akteure, die daran teilhaben will, steigt. Zugleich fehlt es demografisch bedingt im Heimatmarkt für europäische Unternehmen an Wachstum.
Unter diesen Gesichtspunkten sieht Europa in einem Portfolio tatsächlich alt aus. Hinzu kommen spezifische politische Risiken, angefangen vom möglichen Brexit über eine neuerliche Zuspitzung der Krise in Griechenland und einen schleichenden Zerfall der Staatengemeinschaft. Auch hiesige Bankaktien signalisieren Deplorables.
Hat die Rally also kurze Beine? All dies legt dies nahe. Doch nichts von dem, was hier geschrieben steht, ist nicht schon im Markt bekannt. Es müssen unbekannte Faktoren sein, die den Anstoß für die nächste Korrektur oder die Fortsetzung der Rally geben. Ohne aktive Auseinandersetzung mit einzelnen Unternehmen wird in einem solchen Umfeld kaum eine Überrendite erzielbar sein. Umgekehrt winken angesichts der hohen Risikoprämien womöglich stattliche Gewinne. Die krisenhaften siebziger Jahre zeigen, dass gerade in Seitwärtsmärkten mit Momentumstrategien und Stock Picking erhebliche Überrenditen zu erreichen waren.
Boersen-Zeitung