Wirtschaft

Europa – makroökonomischer Ausblick für 2017

Warum aufkommende politische Risiken nicht primär für Aktien, jedoch für den Euro und Anleihen der Peripheriestaaten zutreffen


Angesichts des soliden Trends bei den kurzfristigen Wirtschaftsaussichten in den USA, der diesbezüglichen Stabilisierung in den Schwellenländern und der moderaten Entwicklung in Europa dürften sich die europäischen Aktienmärkte als robustgegenüber den in Europa aufkommenden politischen Unsicherheitsfaktoren erweisen. Diese könnten die europäische Wirtschafts- und Finanzarchitektur auf Jahrzehnte verändern.

Bislang führen die Anstrengungen der Banken in Richtung einer raschen Restrukturierung und Rekapitalisierung im Vorfeld möglicher politischer Konsequenzen im Jahr 2017 zu einer Stärkung europäischer Aktien. Dadurch werden Bedenken hinsichtlich systemischer Risiken in einigen der größten Banken zerstreut. Für Anleger ergeben sich aufgrund des deutlichen Abschlags, mit dem Bankaktien derzeit allgemein bewertet sind, Chancen am europäischen Aktienmarkt.

Aus unserer Sicht dürften Anlagestrategien mit einer breiten Positionierung in europäischen Aktien und Schwerpunkt auf Large- und Mid-Cap-Werten vor dem Hintergrund einer positiven Stimmungslage im Finanzsektor eine starke Performance zeigen. Zudem können Investoren durch Strategien mit zusätzlicher Währungsabsicherung und/oder einem Fokus auf Exportunternehmen Risiken im Zusammenhang mit pessimistischen Annahmen zur Entwicklung des Euro begegnen.

Unser Ausblick für Anlagen in festverzinsliche europäische Wertpapiere ist von Pessimismus geprägt. Angesichts des Sieges von Donald Trump bei den US-Präsidentschaftswahlen hat sich die positive Stimmung unter High- und Low-Grade-Emittenten von Staatsanleihen verflüchtigt. Dazu kommen weitere, zur pessimistischen Einschätzung für festverzinsliche Anlagen beitragende Ereignisse auf makroökonomischer Ebene wie der „Brexit“, das Auslaufen der Anleihekäufe durch die EZB sowie das „Nein“ bei dem in Italien im Dezember 2016 abgehaltenen Referendum zur Verfassungsreform. Alle genannten Ereignisse führten unwillkürlich zu einer Verteuerung der Fremdkapitalaufnahme. Als Folge davon könnte die 2017 eventuell aufkommende, von der Binnennachfrage getragene Wachstumsdynamik untergraben werden. Ebenso könnte sich eine nennenswerte Verbesserung der Beschäftigung und des Lohnniveaus in Frankreich und Italien als den schwächsten EU-Kernländern verzögern.

Die größten gesamtwirtschaftlichen Risiken in Europa für das Jahr 2017 ergeben sich aus der fehlenden Ausgabenpolitik und einer nicht vorhandenen Agenda zur Ankurbelung von Investitionen, wie sie Donald Trump in den Vereinigten Staaten verfolgt. Euroskeptische Bewegungen sehen 2017 als ein für eine weitreichendere Neuausrichtung der politischen Agenda in Europa opportunes Jahr, falls sich die neu gewählten Regierungen nach den politischen Wahlen in den Niederlanden (im März), in Frankreich (im Mai), in Deutschland (im September) sowie in Italien (Termin derzeit noch nicht bekannt) entschieden gegen die von der EU auferlegten strengen haushaltspolitischen Vorgaben und Programme zur Bankenrettung wenden. Das schwächste Glied der EU-Kette ist Italien. Hier wirkt die derzeitige, aus Technokraten bestehende Regierung angesichts der wachsenden Unterstützung für euroskeptische Parteien des linken („Fünf Sterne“) und rechten Lagers (Lega Nord) verwundbar.

Vor dem Hintergrund dieser Ereignisse mit gesamtwirtschaftlicher Relevanz zeigt die Grafik, wie die schwächsten europäischen Staatsanleihen unter wachsenden Verkaufsdruck geraten sind, wobei sich die Spreads für deutsche Bundesanleihen trotz der auf annualisierter Basis auf etwa 7,5 % des BIP des Euro-Raums steigenden Intervention der EZB an den Anleihemärktenvergrößert haben.

Absolutes Minimum geldpolitischer Unterstützung untergräbt Vertrauen in Anleihen und den Euro

Die Entscheidung der EZB, ihr Anleihekaufprogramm gleichzeitig zu verlängern und zu reduzieren, ist Ausdruck einer am absoluten Minimum liegenden geldpolitischen Unterstützung des Euro-Raums. Dessen Weg in Richtung Erholung ist noch weit von einer selbsttragenden Dynamik entfernt. Insbesondere erscheint die zeitliche Einordnung des Auslaufens der Anleihekäufe unangemessen, wenn nicht sogar mit Risiken behaftet – auch angesichts der in diesem Jahr bevorstehenden Wahlen in Europa und der aggressiven geldpolitischen Ausrichtung der Fed in den USA.

Wir gehen zwar davon aus, dass die Verlängerung des Programms der quantitativen Lockerung durch die EZB gewissermaßen als „Stoßdämpfer“ dienen dürfte. Die Anleger müssen sich dagegeneine Periode der erneuten politischen Ungewissheit vorbereiten: vor den bevorstehenden Wahlen in den Niederlanden, Frankreich, Deutschland und Italien gewinnen die euroskeptischen Parteien in den Umfragen an Zustimmung. Die Reduzierung des monatlichen Anleihekaufvolumens von EUR 80 Mrd. auf EUR 60 Mrd. von März bis mindestens Dezember 2017 führt jedoch dazu, dass das „Auslaufen“ des Programms genau mit der Einleitung einer restriktiveren Geldpolitik in den USA zusammenfällt.

Der Versuch, einen Anstieg der Anleiherenditen in Europa parallel zur zunehmenden Dynamik bei den Renditen von US-Staatsanleihen zu verhindern, könnte sich angesichts der Reduzierung des Kaufs von Anleihen hoher Qualität um EUR 20 Mrd. pro Monat letztlich als schwierig erweisen. Renditehungrige europäische Investoren werden sich auf den deutlichen Renditeaufschlag bei US-Staatsanleihen und auf das Aufwärtspotenzial des US-Dollar ausrichten. Damit wird der Wert der Anlage in deutschen Bundesanleihen oder italienischen Staatsanleihen infrage gestellt. Es besteht das Risiko, dass die EZB im Zuge einer sich vergrößernden Zinsdifferenz zwischen den USA und Europa gezwungen sein könnte, das Programm der quantitativen Lockerung erneut auszuweiten, um dem auf europäischen Staatsanleihen lastenden Verkaufsdruck zu begegnen. Indem die EZB ihre Glaubwürdigkeit als an den Anleihemärkten effektiv intervenierende Partei riskiert hat, bereitete sie erneut den Boden für spekulative Anleger, die in diesem Jahr auf die Entwicklung in den schwächsten Staaten des Euro-Raums sowie des Euro selbst setzen könnten.

(Viktor Nossek, Leiter Research von WisdomTree Europe)

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