In jenen Momenten der letzten 18 Monate, als Präsident Donald Trump und Nordkoreas Anführer Kim Jong-Un ein Pokerspiel mit hohen Einsätzen und drohenden Atomraketen veranstalteten, schien die Idee eines Gipfeltreffens zwischen diesen angeblich irrationalen und unberechenbaren Führern in weiter Ferne.
Geplant ist ein solches Gipfeltreffen in der Löwenstadt Singapur am 12. Juni, wo sich Trump und Kim Jong-Un von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen sollen. Doch ob dieses wirklich stattfindet oder noch abgesagt wird, steht weiterhin auf der Kippe. Während ein vollständiges Auftauen der Beziehungen zwischen den beiden Ländern recht lange dauern könnte, sollten diese ungleichen Tanzpartner zumindest in der Lage sein, ihre jeweiligen Staaten wieder in ein stabiles Gleichgewicht zu manövrieren.
Kim: vom Außenseiter zum Friedensstifter
Wie schon sein Vater vor ihm konnte Kim Jong-un bei Saddam Hussein und Muammar Gaddafi beobachten, welches Schicksal einem Diktator blüht, der nicht die Freundschaft der USA genießt. Nordkoreas Bedürfnis, Atomwaffen zu entwickeln, war eine völlig rationale Antwort, um das aktuelle Regime zu schützen: Das Versäumnis mehrerer US-Präsidenten, diese Ambition im Keim zu ersticken, hat dazu geführt, dass die Verantwortung jetzt bei Donald Trump liegt.
Da sein Atomprogramm kurz vor dem Abschluss steht und vor allem von den USA als solches angesehen wird, befindet sich Kim Jong-un in einer starken Verhandlungsposition. Die Olympischen Winterspiele in Südkorea sorgten für eine Aufsehen erregende Kulisse, um seine diplomatischen Ouvertüren zu beginnen. Seitdem wurden schnell Fortschritte erzielt: Kims erste Reise nach Peking als Machthaber; der Besuch des neuen US-Außenministers in Pjöngjang; die sanften zwei Schritte der koreanischen Präsidenten über ihre umstrittene gemeinsame Grenze hinweg; und die Freilassung von drei in Nordkorea festgehaltenen US-Bürgern. Rund 65 Jahre nach dem Ende des Koreakrieges ist sogar von einem formellen Friedensvertrag die Rede.
Natürlich könnte vor einem möglichen Gipfel von Singapur noch viel schief gehen. Die Erwartungen sind im Vergleich zur tatsächlichen Lage sehr hoch, sodass Rückschläge und Enttäuschungen unvermeidlich wahrscheinlich sind. Der Weg zu einem friedlichen Gleichgewicht könnte sich für Beobachter weiterhin als steinig und für die Aktienmärkte als volatil erweisen.
Alle Seiten haben jedoch einen enormen Anreiz, eine Einigung zu erzielen. Trump will seinen Wählern, vorzugsweise vor den Zwischenwahlen im November, versichern, dass Kim keine Bedrohung für die mächtigen USA darstellt. Kim will die Sanktionen beenden, so wie sie von den Chinesen unterstützt werden, damit er versuchen kann, die nordkoreanische Wirtschaft wiederaufzubauen. China möchte seinen lästigen Nachbarn gezähmt sehen, damit er in der ohnehin schon gereizten Sino-US-Beziehung nicht noch weiter die Stimmung verschärft. Sowohl Südkorea als auch Japan möchten ihren Bürgern das Risiko ersparen, über ihren Ländern Testraketen fliegen zu sehen.
Marktzittern lindern
Was ist also für die Aktienmärkte drin, wenn eine Einigung erreicht werden kann? Es dürfte etwas dauern, bis jemand Aktien des nordkoreanischen Telekommunikationsunternehmens Koryolink oder der Pyongyang Chewing Gum Factory erwerben wird. Bis dahin sollten internationale Investoren aber kurzfristig einige eindeutige Chancen erkennen. Erstens wird ein großes geopolitisches Risiko, das möglicherweise zu einem Krieg hätte führen können, vom Tisch sein. Schließlich versetzt jeder von Nordkorea durchgeführte Atomtest und jede Antwort von Trumps Twitter-Account die globalen Aktienmärkte in Aufruhr.
Dies zeigt sich insbesondere in den Schwankungen des südkoreanischen Aktienindex KOSPI. Die Liquidität von bekannten Titeln wie Samsung, Hyundai und LG macht es für nervöse Anleger leicht, in diesen Markt ein- und auszusteigen. Die geopolitische Stabilität auf der koreanischen Halbinsel könnte sich direkt in einer geringeren Volatilität für den lokalen Aktienmarkt niederschlagen. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Nord- und Süd-Korea könnte ein weiterer großer Pluspunkt sein, der den Bau- und Versorgungsunternehmen Südkoreas einen Markt für die dringend zu verbessernde Infrastruktur eröffnet.
Der größte kurzfristige Gewinn könnte die Wiederherstellung der guten Beziehungen zwischen China und Südkorea sein, die aufgrund der Entwicklungen im Norden beeinträchtigt waren. Im Jahr 2016 reagierte Seoul auf Kims forciertes Atomprogramm, indem es sich bereit erklärte, das US-Raketenabwehrsystem THAAD als Abschreckungsmittel zu akzeptieren. Peking wandte sich gegen ein derart ausgeklügeltes, von den USA betriebenes Radarsystem nahe seinen eigenen Grenzen. Trotz dieser Einwände kam die erste THAAD-Einheit Mitte 2017 in Südkorea an.
Peking demonstrierte seinen Unmut durch mehrere Maßnahmen, die sich an Unternehmen und Exporteure richteten sowie durch ein Verbot organisierter Touristenreisen nach Südkorea. Die koreanische Kosmetikbranche erfreut sich in China einer besonderen Beliebtheit, hatte aber doppeltes Pech. Weniger chinesische Touristen bedeuteten geringere Umsätze in Duty-Free-Shops, während der Export durch spezifische Verbote behindert wurde. Bekannt ist, dass ein führender koreanischer Exporteur vom chinesischen Zoll angewiesen wurde, 730 kg Kosmetika zu vernichten, weil sie vermeintlich gefährliche Stoffe enthielten.
Patriotischer Stimmungen wurden so kanalisiert, dass es zu einem inoffiziellen Boykott südkoreanischer Waren kam. Obwohl auch andere Faktoren im Spiel waren, war es kein Zufall, dass koreanische Marken im Jahr 2017 die am stärksten betroffene Automobilbranche in China waren, da die Auslieferungen um 36 Prozent unter dem Vorjahr lagen.
Der südkoreanische Mischkonzern Lotte Group wurde noch härter getroffen, als einer seiner Country-Clubs zum Standort der ersten THAAD-Einheit wurde. Die Warenhaustochter Lotte Shopping hatte über hundert Filialen in China. Die meisten von ihnen waren gezwungen, den Betrieb einzustellen, nachdem die chinesischen Behörden „unerwartet“ festgestellt hatten, dass sie gegen die Brandschutzvorschriften verstoßen. Obwohl diese Probleme behoben wurden, haben die Brandschutzbehörden die Geschäfte nicht erneut inspiziert und sie blieben geschlossen. Die Verkaufsbemühungen stockten ebenfalls, da sich die Käufer nicht sicher sein können, dass sie die Geschäfte erneut eröffnen dürfen.
Teil des Clubs
Da sich die Lage in Nordkorea auf eine friedliche Lösung zubewegt, deuten die Zeichen darauf hin, dass Südkorea und China bald wieder konstruktiv zusammenarbeiten werden. Angesichts der Tatsache, dass China ihr größter Handelspartner ist, ist dies eine gute Nachricht für Südkorea. Die protektionistische Rhetorik der Trump-Administration dürfte sie nur noch näher zusammenbringen. So lautete die Botschaft, die auf dem jüngsten trilateralen Gipfel in Tokio zwischen dem chinesischen Premierminister, dem japanischen Premierminister und dem südkoreanischen Präsidenten zum Ausdruck kam. Li Keqiang forderte die drei Länder auf, ihr eigenes Handelsabkommen zu schließen.
Wenn Trump und Kims Traum von einem Friedensnobelpreis an dieser Stelle etwas zu optimistisch klingen mag, scheint es dennoch nicht allzu naiv zu glauben, dass eine Einigung erzielt wird. Vielleicht keine vollständige Entnuklearisierung, aber etwas, das alle interessierten Parteien – die USA, China, Südkorea, Japan – beruhigt: Kims Spielzeug wird in seiner Kiste bleiben und das Fachwissen, das sein Regime gewonnen hat, wird nicht an den Meistbietenden weiterverkauft. Also eine zögerliche Akzeptanz, dass Nordkorea jetzt ein verantwortungsbewusstes Mitglied im Nuklearclub ist. Im Gegenzug könnten die Sanktionen aufgehoben werden und Kim könnte sich frei in der Weltwirtschaft engagieren. Wenn möglich, könnte er die Beziehungen seines Regimes zu anderen Ländern normalisieren. Das Einsiedlerreich würde endlich die Weltbühne betreten.
(AVIVA INVESTORS)