Flankiert werden diese Diskussionen von regulatorischen Komponenten wie zum Beispiel der Verabschiedung und Einführung der neuen Verordnung über die Finanzanlagenvermittlung (FinVermV), die Sorgfalts- und Dokumentationsregeln definiert. Auch die fortgesetzte Diskussion über die Einführung einer Deckelung der Vermittlervergütung macht den Markt nervös. In diesem Spannungsfeld richten sich viele Unternehmen strategisch neu aus, um auch künftig im Wettbewerb erfolgreich bestehen zu können.
Eine wichtige Rolle spielen dabei die Insurtechs. Anfänglich dominierten dabei digitalisierte Vertriebskonzepte, um die es inzwischen vergleichsweise ruhig geworden ist. Einige Anbieter sind bereits wieder vom Markt verschwunden, andere fokussieren ihr Geschäftsmodell neu und verfolgen einen kooperativen Ansatz, in dem sie sich mit traditionellen Anbietern verbinden oder ihnen Systeme und Services zur Verfügung stellen. So stellt sich ein sich ergänzendes Miteinander der „alten“ und der „neuen“ Vertriebswelt heraus.
Parallel dazu erleben wir ein „Vermittlersterben“ im Versicherungsvertrieb, das inzwischen dramatische Züge annimmt. So ist die Zahl der registrierten Versicherungsvermittler seit einem Höchststand 2012 mit rund 258.000 registrierten Vermittlern seitdem jährlich um 4.000 bis 7.000 gesunken. Anfang 2018 waren es noch 221.000, im Laufe des Jahres folgte dann eine dramatische Beschleunigung des Rückgangs um fast 20.000 beziehungsweise zehn Prozent auf rund 202.000 im Januar 2019. Man muss kein Prophet sein, um einen weiteren, und zwar mit wachsender Geschwindigkeit, Schrumpfungsprozess in diesem Bereich vorherzusagen.
Doch die These, dass dies auch durch den Ersatz von Menschen durch IT zurückzuführen sei, dürfte falsch sein. Zum einen reicht dafür der Marktanteil „digitaler Vertriebe“ nicht aus, zum anderen finden die wesentlichen Vermittlerrückgänge lediglich in einem Teilbereich der Finanzdienstleistungsberatung statt, nämlich in den Ausschließlichkeitsorganisationen der Versicherer.
Vielmehr scheint stattdessen die Erkenntnis zu wachsen, dass es gerade für komplexe Sachverhalte, gleichgültig ob im Gewerbe- oder Privatkundengeschäft, über einen derzeit noch nicht absehbaren Zeitraum der persönlichen Beratung bedarf. Und dafür sind gut ausgebildete und hochqualifizierte Berater erforderlich. Dieser hohe Bedarf – durch den Vermittlerschwund noch verstärkt – führt nun zu der paradoxen Situation, dass derzeit eine Vielzahl von Headhuntern damit beschäftigt ist, qualifizierte Berater auf ihre Wechselbereitschaft anzusprechen. Der viel beschriebene und lange erwartete „war for talents“ ist in vollem Gange.
Wenn dies dazu führt, dass die Vertriebe sich gegenseitig immer wieder eine endliche Zahl von qualifizierten Kräften „abjagen“, wird sich das insgesamt nachteilig für die Branche auswirken. Deshalb wäre es wesentlich sinnvoller, im Rahmen einer konzertierten Aktion das Berufsbild des Finanzberaters durch ein höheres Ansehen, vor allem durch eine qualitativ hochwertige Ausbildung sowie langfristig gute Einkommensperspektiven attraktiver zu machen. Dabei sind allerdings nicht nur die Marktteilnehmer sondern auch die Politik gefordert, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Gelingt das nicht, zeichnet sich ein massiver Nachwuchsmangel ab, der noch lange nicht durch technische Lösungen kompensiert werden kann.
(F.-J. Rosemeyer)