Seit März gibt es eine neue Zeitrechnung für nachhaltige Geldanlagen. Mit dem Inkrafttreten der sogenannten Offenlegungsverordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor hat die EU regulatorische Leitplanken gesetzt, um den Wildwuchs bei Nachhaltigkeit in der Finanzwirtschaft einzudämmen. Zumindest ist die Vermeidung von „Greenwashing“ ein zentrales Anliegen dieses Mammutwerks an gleich mehreren neuen Regulatorik-Vorschriften rund um (mehr) Nachhaltigkeit in der Finanzwelt. Nun ist die Schaffung von Transparenz eine Sache – und im Übrigen Grundbedingung und Ausgangspunkt jeglicher Nachhaltigkeitsbemühungen –, die Bewertung des Inhalts dessen, was nun reihenweise alle Produktanbieter geloben offenzulegen, eine ganz andere. Denn schon sind wieder pfiffige Marketingabteilungen am Werk, die eine Selbsteinstufung ihrer Produkte – gewiss im Rahmen einer formellen Prüfung seitens der Wirtschaftsprüfer – nun so darstellen, als hätte man quasi den „EU-Ritterschlag“ beziehungsweise den „grünen Daumen“ erhalten und sei nach strengen Richtlinien klassifiziert worden, „worden“ wohlgemerkt als Passiv-Form. Also so, als ob die EU hier irgendetwas bestätigt hätte. Das ist gelinde gesagt ziemlicher Humbug, lenkt es nämlich vom Kern und Ziel dessen ab, wozu die EU nun das Fundament legt, indem sie mit einem ersten Transparenz-Rahmenwerk Voraussetzung für das Erkennen von „wirklicher“ Nachhaltigkeit in der Geldanlage schafft. Der EU liegt im ersten Schritt daran, zu sorgen, dass Anleger*innen sich überhaupt erst einmal ein einigermaßen vergleichbares Bild über die Nachhaltigkeit eines als solchen angepriesenen Produkts machen können, nicht mehr und nicht weniger. Es gibt zwar parallel die Definition von grün-nachhaltigen Wirtschaftsaktivitäten, die sogenannte Taxonomie, diese ist aber nur EIN möglicher und noch dazu freiwilliger Katalog an umweltbezogenen Kriterien, nach denen man offenlegen kann. Hier müssen keine Quoten erfüllt werden. Nach diesem ersten Schritt der Transparenz, muss ein(e) Anleger*in dann nämlich in einem zweiten, viel wichtigeren Schritt, selbst zu dem Schluss kommen, ob dieses Produkt mit den eigenen Vorstellungen von Nachhaltigkeit übereinstimmt. Oder aber er/sie greift auf Orientierungshilfen zurück, die sich bereits etabliert haben. Dazu gehören spezielle, ganz konkrete Schlüsselindikatoren, Ratings und Rankings oder ganzheitliche Gütezeichen. Letztere sollen der/m Anleger*in helfen, die komplexe Welt der Nachhaltigkeit und die Fülle an Informationen reduziert mittels eines glaubwürdigen, prägnanten Etiketts sichtbar zu machen.
Also Vorsicht bei Suggestionen, die simple Klassifizierung nach einer EU-Transparenzverordnung genügt schon, um dem Anspruch nach mehr Verantwortung in der Geldanlage gerecht zu werden. Fragen Sie im Zweifel nach konkreten Belegen bezüglich der Nachhaltigkeit des angepriesenen Investments und lassen sich nicht damit abspeisen, dass ein Produkt nur allein deshalb schon nachhaltig ist, weil es einen bestimmten Artikel einer EU-Regulatorik erfüllt. Fragen Sie nach konkret bezifferbaren Indikatoren zu Klima, Wasser, sozialen oder anderen, Ihnen wichtigen Nachhaltigkeitsbelangen beziehungsweise Ausschlusskriterien, um zumindest nicht mitverantwortlich für große Schäden Ihrer Geldanlage zu sein. Orientieren Sie sich an (gut gemachten) Ratings und Rankings.
Oder stützen Sie sich auf anerkannte Gütesiegel, die eine ganzheitliche Aussage über die Nachhaltigkeitsqualität des jeweiligen Finanzprodukts treffen. Auf jeden Fall sollte ein Produktanbieter unabhängig von Ratings, Rankings und Labels in der Lage sein, Ihnen zu vermitteln, ob und wieso ein angebotenes Finanzprodukt zu Ihren Nachhaltigkeitspräferenzen passt. In einer guten Beratung liegt nämlich die Chance, neben der Sinnhaftigkeit von (mehr) Nachhaltigkeit in der Geldanlage per se, dann auch wieder einen (größeren) Sinn darin zu sehen, mit Ihrer/m Finanzberater*in ins Gespräch zu kommen. Ein solch komplexes Thema werden Sie nämlich nicht einfach mit drei Klicks im Internet oder einer Ecosia-Suchanfrage erledigen können. Den Baum können Sie allerdings gerne trotzdem pflanzen!
ROLAND KÖLSCH