NACHHALTIGE KAPITALANLAGE
Einmal jährlich wählt die Gesellschaft für Sprache in Wiesbaden das Wort des Jahres. Zuletzt war es „Wellenbrecher“. Das Wort steht für all jene Maßnahmen, mit denen die Wellen der Corona-Pandemie kontrolliert werden sollen. Würde man das Wort des Jahres auch in der Finanzbranche küren, so hätte der Begriff „Greenwashing“ vermutlich beste Chancen gehabt, das Rennen in 2021 gemacht zu haben. Denn mit dem Boom der ESG-Anlagestrategien werden auch die Stimmen derjenigen lauter, die auf Widersprüche und Ungereimtheiten bei entsprechenden Produkten hinweisen. Der öffentliche Vorwurf des Greenwashings ist hier schnell zur Hand. Dies zeigt unter anderem eine Google-Analyse der Börsen- Zeitung. Danach stieg die Anzahl der Treffer unter dem Stichwort Greenwashing im vergangenen Jahr extrem stark auf einen neuen Rekordwert an.
Erst zum Jahreswechsel hatte der Begriff Greenwashing wieder gewaltigen Auftrieb. Denn zwischen den Jahren verschickte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Verordnungsentwurf zur sogenannten Nachhaltigkeits-Taxonomie an die 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Darin werden Investitionen in die Atomkraft und in Gaskraftwerke unter bestimmten Bedingungen vorerst als klimafreundlich und nachhaltig gelistet. Dies rief, wie zu erwarten, vor allem in Deutschland und Österreich erhebliche Kritik hervor. Es sei fraglich, „ob dieses Greenwashing“ die Akzeptanz der Finanzmärkte finde, sagte etwa Robert Habeck, Vizekanzler und Wirtschaftsminister der deutschen Bundesregierung.
AUF DEM TEPPICH BLEIBEN
So richtig und wichtig das Einstehen für einen verantwortungsvollen Umgang mit Nachhaltigkeitsthemen auch sein mag, so sollte dabei dennoch mit Augenmaß vorgegangen werden. Die inflationäre Verwendung des Begriffs Greenwashing jedenfalls hilft häufig nicht weiter, wie auch das jüngste Beispiel aus Brüssel zeigt. Im Kern nämlich beinhaltet der Vorwurf der Grünfärberei den Versuch, sich zum eigenen Vorteil als besonders umweltfreundlich darzustellen, wobei ein genauer Blick hinter die Kulissen diesen Versuch als haltlos erkennen lässt. Wer mit Blick auf Brüssel in diese Richtung argumentiert, tut der EU-Kommission gleich in zweifacher Hinsicht Unrecht. Erstens verkennt er deren ernsthaften Willen, die Wirtschaft zeitnah nachhaltig umzubauen, genauso wie das Tempo, mit der dieses Unterfangen zuletzt in die Wege geleitet worden ist. Zweitens lässt er außer Acht, dass auch die Regelungen zur Taxonomie am Ende immer nur das Ergebnis eines politischen Kompromisses sein können.
Dass der nun gefundene Kompromiss der Fondsbranche Tür und Tor öffne, die ESG- Qualität ihrer Nachhaltigkeitsfonds im großen Stil zu verwässern, muss ebenfalls nicht befürchtet werden. Dies gilt insbesondere für deutsche Investmenthäuser, die bei der Integration von Kernkraft in ihre Portfolios ohnehin bereits eher restriktiv agieren. Union Investment beispielsweise schließt Atomstromproduzenten seit geraumer Zeit gänzlich aus. Andere Häuser wie etwa Deka Investments oder die DWS nehmen lediglich solche Unternehmen in ihre Portfolios auf, deren Kernenergieumsätze unterhalb des Schwellenwertes von fünf Prozent liegen.
Dass diese Häuser den Brüsseler Beschluss zum Anlass nehmen werden, ihre Anlagepolitik über den Haufen zu werfen, ist eher unwahrscheinlich. Der Aufschrei von Verbraucherschützern und NGOs wäre immens und dürfte einigen Reputationsschaden anrichten. Viel wird sich daher auch nach ersten Äußerungen aus der Branche durch den Taxonomie-Entwurf nicht ändern. Zumindest, was die Gefahr einer möglichen Verwässerung von ESG-Produkten angeht. Im Gegenteil: Vorstellbar ist vielmehr, dass Asset Manager künftig freiwillig vollständig auf Atomwerte verzichten könnten, um mit kernenergiefreien Produkten im Wettbewerb zu punkten. Denn am Ende entscheidet nicht zuletzt der Anleger, ob sein Geld in Atomunternehmen mit ungeklärter Endlagerungslage und hohem Katastrophenrisiko fließen soll oder nicht.
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