Nach langen Jahren der ultralockeren Geldpolitik galt die Zinswende zum Ende des vergangenen Jahres als ausgemachte Sache. Der einhellige Tenor: Ausgehend von den USA wird sie sich früher oder später auch in Europa vollziehen. Gegenwärtig sieht es eher so aus, als würde dies zumindest hierzulande eher später geschehen. Denn der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat in manchen Bereichen die scheinbaren Gewissheiten den Realitäten angepasst. So auch in der Geldpolitik. Zunehmend hatten sich die Notenbanken hier in einem schwierigen Spagat zwischen anhaltender Inflation einerseits und der Sorge vor einer ökonomischen Abwärtsbewegung anderseits befunden. Angesichts weiter steigender Preise – zuletzt war die Inflationsrate im Euroraum auf 5,8 Prozent gestiegen – erlangte die Inflationsbekämpfung dann aber Priorität, zumal die Lage der Wirtschaft von den Notenbanken insgesamt als stabil eingeschätzt worden war.
Die neuen Realitäten aber sehen anders aus. Immer weiter schlägt der Krieg in der Ukraine auch auf die globale Wirtschaft durch. Allenthalben werden die Wachstumsprognosen revidiert. In seiner Januar- Prognose hatte etwa der Internationale Währungsfonds (IWF) für dieses Jahr noch mit einem globalen Wirtschaftswachstum von 4,4 Prozent gerechnet. Davon sei nun nicht mehr auszugehen, sagte IWF-Chefin Kristalina Georgiewa gegenüber den Medien und verwies auf die turnusmäßig für April zu erwartende aktualisierte Prognose. Ging die Bundesregierung bisher von einem BIPAnstieg um 3,6 Prozent aus, so wird sie ihre Einschätzung ebenfalls revidieren müssen. Nach einer Anfang März vorgelegten Modellrechnung der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung könnte sich das Wachstum in Deutschland mehr als halbieren.
NEUE SPRACHREGELUNG DER EZB
Nach Aussagen ihres Ratsmitglieds Francois Villeroy de Galhau rechnet die Europäische Zentralbank (EZB) dennoch nicht mit einem massiven Konjunktureinbruch in Europa. „Das Wachstum bleibt positiv, es gibt keine Rezession“, sagte der französische Notenbankchef nach der Notenbanksitzung im März. Auch dürften die Preise nicht auf Dauer so stark steigen wie aktuell. Ob dies tatsächlich so kommt, ist angesichts der Dynamik des Krieges und der damit verbundenen politischen Reaktionen schwer einzuschätzen. Dessen ist sich auch die EZB bewusst. Mit ihrem letzten Beschluss spielt sie daher auf Zeit. Konkret heißt dies, dass man zunächst an dem Ziel festhält, bis zum Ende des dritten Quartals sämtliche Nettoanleihekäufe zu beenden. Dies gilt als Voraussetzung für eine Anhebung der Leitzinsen. Wann dieser Zinsschritt schließlich erfolgt, ist ungewiss. Hieß es dazu bisher, dass dieser bald nach dem Ende der Anleihekäufe erfolgen könnte, also noch in diesem Jahr, so lässt die neue Sprachregelung aufhorchen. Hier ist nämlich von „einiger Zeit danach“ die Rede. Wie die „FAZ“ anmerkte, änderten die europäischen Währungshüter damit ihre offizielle Sprachregelung, um sich in der entscheidenden Frage etwas Luft zu verschaffen. „Einige Zeit später“, so sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde nach der Sitzung, „kann sowohl in der Woche danach als auch Monate später bedeuten.“
DIE FED MACHT ERNST
Derweil machte die amerikanische Notenbank trotz Ukraine-Krieg das, was allgemein erwartet worden war: Erstmals seit Dezember 2018 erhöhte sie jetzt den Leitzins. Im Februar war die Inflation in den USA auf 7,9 Prozent gestiegen und hatte damit ein 40-Jahres-Hoch erreicht. Angesichts dieser Entwicklung blieb Fed-Chef Jerome Powell nichts anders übrig, als auf die geldpolitische Bremse zu treten. Ob und wie stark er das Bremspedal weiter durchdrückt, bleibt abzuwarten. Sicher scheint, dass der Druck auf die EZB nun zunehmen wird. Die Forderungen nach der Zinswende werden jedenfalls auch hierzulande lauter. So kommentierte die „Börsen-Zeitung“: „Es bringt nichts, Inflationsgefahren auszublenden. Dann droht die spätere Kehrtwende nur umso abrupter und folglich gefährlicher zu werden. Besser ist es, nicht allzu lange zu warten und dafür einen allmählichen Ausstieg hinzubekommen. Auch im Euroraum sollte die Zinswende also nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertagt werden.“
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