Für viele Schwellenländer war 2022 bislang kein gutes Jahr. Eine straffere Geldpolitik, der Krieg in der Ukraine und die Auswirkungen der Anti-Covid- Maßnahmen in China waren eine ungünstige Mischung, die viele der aufstrebenden Ökonomien gebremst hat. Nun scheint sich das Blatt jedoch zu wenden. Wir sehen gute Chancen, dass eine Erholung der Schwellenländer bevorsteht.
Bereits seit März 2021 steht das Wachstum in den Schwellenländern unter erheblichem Druck. Die Inflation und die anschließende Straffung durch die globalen Zentralbanken haben die Erholung gebremst und damit vielerorts auch die Aktienmärkte fallen lassen. Beides wurde durch den russischen Angriff auf die Ukraine nochmals verstärkt.
Während der Ausgang des Krieges in der Ukraine kaum abschätzbar ist, sehen wir zumindest erste Anzeichen für eine Trendwende mit Blick auf die Inflation. Die jüngsten US-Inflationsdaten sind zwar stark genug, um bei vielen Marktteilnehmern weiterhin Sorgen zu schüren, aber wir glauben, dass die Inflation ihren Höhepunkt bald erreicht haben könnte. Die Verbraucherpreise in den USA stiegen im April um 8,3 Prozent und im Mai um 8,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Nochmalige signifikante Anstiege erwarten wir nicht.
Darüber hinaus deuten niedrigere Renditen für zweijährige US-Staatsanleihen und eine steilere Renditekurve auf einen baldigen Höhepunkt der restriktiven Geldpolitik hin. Wenn die Aggressivität der Fed bei der Inflationsbekämpfung etwas nachlässt, dürfte das auch in den Schwellenländern für Erleichterung sorgen und den Märkten einen Schub geben.
Ein wichtiger Einflussfaktor bleibt derweil die Entwicklung in China, denn das Land bestimmt für viele andere Emerging Markets – vor allem in Südostasien – ökonomisch die Richtung. Der Umgang mit COVID-19 ist hier eine zentrale Herausforderung. Die jüngsten Daten zeigen, dass die Neuinfektionen zurückgehen, was vor allem auf die harten Lockdowns zurückzuführen ist. Chinas Null-Covid-Politik hat die Wirtschaft des Landes allerdings spürbar geschwächt.
Die gute Nachricht ist: Das Schlimmste ist wahrscheinlich überstanden. Das zeitweise schwer getroffene Shanghai öffnet wieder seine Tore. Damit lösen sich einige Störungen in den internationalen Lieferketten auf und auch die lokale Industrieproduktion nimmt wieder Fahrt auf.
Diese Entwicklungen dürften in den kommenden Monaten zu einer sukzessiven Wiederbelebung der Wirtschaft führen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Regierung womöglich doch ihre Covid-Politik weiterentwickelt, von der Null-Covid-Linie abrückt und damit die Unterbrechungen in der Industrieproduktion und im internationalen Handel verringert.
Verbesserte Aussichten gibt es auch für den chinesischen Internetsektor. Nachdem der Regulator in China den Sektor Ende 2021 unter besonderer Beobachtung hatte und teils scharfe Eingriffe vorgenommen hat, lassen die Unsicherheiten nun allmählich nach. Wir gehen davon aus, dass sich im Laufe des Jahres die Stimmung und die Fundamentaldaten im chinesischen Internetsektor verbessern werden.
Zugleich gibt es inzwischen auch andere Sektoren in China, die ein starkes Gewinnwachstum aufweisen. Der Markt steht damit inzwischen auf einer breiteren Basis. Wir sehen weiterhin Chancen bei Unternehmen, die starke politische Unterstützung erhalten. Dabei bevorzugen wir Bereiche im Bereich grüner Technologien und strategische Investitionsbereiche wie die Hochtechnologie.
Auch wegen der zu erwartenden Erholung in China erwarten wir, dass sich die Schwellenländer im zweiten Halbjahr besser entwickeln werden als in den letzten Monaten. Die Gewinne vieler Firmen sehen gesund aus und zugleich sind die Risikoprämien für Aktien gesunken. Da wir das baldige Erreichen des Höhepunkts in der geldpolitischen Straffung der Fed und eine zurückgehende Inflation erwarten, ist das Makro-Bild durchaus günstig für eine Erholung.
Hinzu kommt, dass die Schwellenländer relativ zu den entwickelten Ländern immer noch strukturell höhere Wachstumsraten aufweisen. In der Vergangenheit hat dies die Wertentwicklung der Schwellenländerbörsen begünstigt. Und auch im Blick nach vorn könnten sie im Vorteil sein, denn in einigen Ländern, darunter China, zeichnen sich bereits wieder geldpolitische Lockerungen ab, während die USA noch immer straffen.
Während sich das gesamtwirtschaftliche Umfeld aufhellt, dürften auch die Märkte wieder in ruhigeres Fahrwasser gelangen und sich dann wieder stärker auf die Unternehmensgewinne als entscheidenden Faktor für die Kursentwicklungen fokussieren. Für Anleger ist es dann ratsam, bei einer insgesamt steigenden Schwellenländerallokation weiter selektiv bei der Aktienauswahl zu bleiben.
PATRICIA RIBEIRO