„Grüner Etikettenschwindel“, „Grünes Geld – fragwürdige Geschäfte mit dem guten Gewissen“, „Das grüne Versprechen – Greenwashing bei ETFs“. Wer dieser Tage Wirtschaftsnachrichten liest, kommt an groß angelegten Investigativ- Recherchen, Enthüllungsartikeln und NGO-Berichten zu vermeintlichen Verfehlungen nachhaltiger Geldanlagen nicht vorbei. Das Thema hat es – auch medial – von der Nische in den Mainstream geschafft.
Doch so oberflächlich, undifferenziert und teils marktschreierisch einige Anbieter nachhaltiger Geldanlagen mit diesem Thema umgehen, agieren vermehrt auch Kritiker:innen. Anstatt sachlich Einwände zu erheben, wo dies erforderlich ist, werden oft Einzelaspekte aus dem Zusammenhang gerissen, empirisch gesicherte Erkenntnisse geleugnet, vorhandene Orientierungshilfen ignoriert und Vorurteile als Tatsachen verkauft. Darüber hinaus offenbaren einige Äußerungen sowohl aus der Finanzbranche als auch von ihren Kritiker:innen offensichtliche Wissenslücken. Falls diese unbeabsichtigt sind, gilt es, sie im Austausch mit Expert:innen und der Wissenschaft zu schließen. In vielen Fällen erscheinen diese Wissenslücken aber Resultate strategischer Überlegungen zu sein: Es ist schlichtweg medienwirksam, so richtig drauf zu hauen.
Im Kern fußt die Kritik fast immer auf der Identifikation „kritischer“ Einzeltitel in einem Finanzprodukt. Das geht dann ungefähr so: „In Fonds X sind auch Flugzeugbauer enthalten. Flugzeuge sind aber nicht nachhaltig – deshalb ist das Greenwashing“. Häufig wird darauf aufbauend dann in Frage gestellt, ob nachhaltige Geldanlagen an sich nicht eigentlich nur Marketing-Tricks oder gar Betrug seien.
Ein zu verallgemeinerndes und simplifizierendes „Bashing“ nachhaltiger Geldanlagen verfehlt aber das Ziel – nämlich die Förderung von mehr Nachhaltigkeit durch Geldanlagen. Pauschalkritik riskiert, das Vertrauen von Verbraucher:innen in nachhaltige Geldanlagen zu zerstören, ohne Alternativen aufzuzeigen. Das trifft nicht nur die schwarzen Schafe in der Branche, sondern schadet auch denjenigen, die gute Arbeit leisten.
So manche NGO und die damit verbundene Berichterstattung zeichnet viel zu plakative Schwarz-Weiß-Bilder: „Das ist nachhaltig und das ist nicht nachhaltig!“. So einfach ist es aber nicht. In der Realität existieren nun mal Graustufen. Und Veränderung in komplexen Systemen funktioniert nicht durch das Drücken eines vermeintlich über Nacht alle Probleme lösenden Knopfes. Vielmehr basiert die Transformation unserer Wirtschaft auf zahlreichen Prozessen und sukzessiven Schritten.
Einige zentrale Punkte werden bei der oft pauschalisierenden und nicht selten uneigennützigen Kritik nicht ausreichend thematisiert:
• Die Definition, was „nachhaltig“ ist und was nicht, ist weder trivial noch wertfrei. Die EU kann mit ihrer Umwelt-Taxonomie (von der sozialen ganz zu schweigen) ein Lied davon singen. In Abwesenheit einer gesamtgesellschaftlichen Konsens-Definition ist die Gefahr groß, partikulare Überzeugungen mit einem Allgemeingültigkeitsanspruch zu versehen, den diese schlicht nicht haben.
• Selbst wenn eine solche Konsens-Definition von „Nachhaltigkeit“ vorläge, dürfte klar sein, dass große Teile unserer aktuellen Realwirtschaft dieser noch kaum entsprächen. Wir befinden uns jedoch bereits mitten in einem massiven Strukturwandel, der aber wiederum nicht von heute auf morgen geschehen kann. Auch die gezielte Unterstützung der Vorreiter dieser Transformation und entsprechender Aktivitäten kann große, positive Nachhaltigkeitseffekte haben.
• Neben der Nachhaltigkeit spielen bei der Geldanlage – gerade auch für Privatanlegende, die nicht selten ihr gesamtes Erspartes investieren (müssen) – andere Aspekte wie Risiko und Rendite eine zentrale Rolle. Geeignete Finanzprodukte müssen hier eine angemessene Balance finden. Eventuelle negative Effekte eines zu engen Verständnisses von „Nachhaltigkeit“ und „nachhaltiger Geldanlage“ (= 100 % „nachhaltige“ Titel, sonst nichts) – etwa auf die Risikostreuung – gilt es zumindest zu thematisieren.
• Zumal auch Privatanleger:innen ihre persönliche „Nachhaltigkeits“-Definition und -Investitionsstrategie zuzugestehen ist, welche mit der Kritiker-Meinung nicht zwingend deckungsgleich ist.
Nachhaltige Geldanlagen bieten nicht den einen Ansatz, sondern eine Vielzahl von Ansätzen. In zu verkürzten Darstellungen, wie sie selbst in manchen Medien, die sich dem Qualitätsjournalismus verschrieben haben, vermehrt praktiziert werden, gehen diese leider oft verloren. Der konsequente Ausschluss „kritischer“ (etwa nicht-transformierbarer) Wirtschaftsaktivitäten oder der ausschließliche Fokus auf (nach welcher Definition auch immer) „nachhaltige“ Titel sind dabei nur zwei mögliche Wege. Daneben existiert eine Vielzahl weiterer – oft auch durch wissenschaftliche Studien untermauerter – Ansätze, über Finanzprodukte einen Investoreneinfluss für mehr Nachhaltigkeit zu generieren: Sei es über die Bereitstellung zusätzlichen Kapitals oder Effekte über den Sekundärmarkt. Außerdem ist es zur Bewältigung dieser Generationen-Herausforderung ebenso wichtig, auch in derzeit noch nicht nachhaltige Unternehmen zu investieren, wenn die Investition im weiteren Zeitverlauf zur Verbesserung der Unternehmen beiträgt. Hier kommt der aktiven Beeinflussung von Unternehmen eine wichtige Rolle zu, etwa durch die Ausübung von Stimmrechten und anderen Engagement-Aktivitäten. Auch das Erzeugen eines „Grundrauschens“ in der öffentlichen Debatte bis zu unorthodoxen Maßnahmen aktiven Aktionärswesens fördert ein Klima, in dem notwendige Maßnahmen ernsthafter angegangen werden.
Durch eine entsprechend bessere Aufklärung können Privatanlegende befähigt werden, (nachhaltige) Finanzprodukte besser zu verstehen, zu bewerten und gemäß ihren individuellen Präferenzen für sie geeignete Produkte und Ansätze auszuwählen. Hierfür braucht es mehr objektive und fundierte Aufklärung und Befähigung der Verbraucher: innen von Seiten der Medien, NGOs und des Verbraucherschutzes.
ROLAND KÖLSCH