Hintergrund sind die vergleichsweise schnell sinkende Inflation bei sich gleichzeitig abschwächender wirtschaftlicher Dynamik. „Die Märkte treiben dabei scheinbar die Notenbanken vor sich her, während diese – um ihre Glaubwürdigkeit bemüht – lange betonten, noch nicht über Zinssenkungen nachzudenken“, sagt Thomas Böckelmann, leitender Portfoliomanager der Vermögensmanagement EuroSwitch!. Allerdings habe die US-Notenbank in der letzten Pressekonferenz vor dem Jahreswechsel eingestanden, erstmals über Senkungen zu diskutieren und auch das strikte Festhalten am Inflationsziel zwei Prozent wurde etwas weicher formuliertso Böckelmann, .
Das zeitliche Zusammenfallen des verzögerten Eintritts der Bremswirkung der Zinsanhebungen mit dem Auslaufen der Konjunkturförderprogramme bzw. dass die Notenbanken wegen hartnäckigerer Inflation nicht so schnell die Zinsen senken wie aktuell erhofft, dürfte laut Experten 2024 eine reale Gefahr darstellen. Und zwar für das globale Wachstumsszenario sowie für die Kapitalmärkte. „Gleichzeitig hat das höhere Zinsniveau die fiskalpolitischen Spielräume der Regierungen signifikant eingeschränkt, da während der Nullzinsphase in verantwortungsloser Weise die Staatsschulden ausgeweitet wurden“, sagt der EuroSwitch!-Manager. Zunehmend emotional ausgetragene Streitigkeiten um Schuldenbremsen in den USA und Deutschland, das denkbare Aufweichen der Stabilitätskriterien in der Eurozone seien ein Hinweis auf härtere Zeiten für ausgabefreudige Politiker, so Böckelmann
Was bestimmt die Konjunktur?
Geoökonomie – also die politisch gesteuerte und zu politischen Zwecken eingesetzte Wirtschaft – ist Merkmal der heutigen Zeit. „Bei Nullzinsgeschenken der Notenbanken gediehen über Jahre politische Träume, die angesichts erreichter Schuldenniveaus und fünf Prozent höherer Zinskosten nun einer pragmatischen Sicht weichen müssen“, fordert der Experte. In der Summe stelle sich daher nicht die Frage nach der Art der konjunkturellen Landung für „die“ Weltwirtschaft in 2024, sondern vielmehr nach Zeitpunkt und Härte unterschiedlicher Landungen in den Weltregionen und vor allem nach den möglichen Neustarts danach.
Je nach Region bedarf es laut Portfoliomanager abweichender Rezepte, deren Gemeinsamkeit aber eine pragmatische wie nachhaltig globale Zukunftsorientierung sein sollte. Allerdings dürfte dies zu großen politischen Herausforderungen im globalen, wichtigen Wahljahr 2024 führen: Am wichtigsten sind die Präsidentschaftswahl in den USA, die Wahl des europäischen Parlamentes und die Wahlen in Großbritannien.
Die Wahl in Russland dürfte bereits entscheiden sein, aber auch Wahlen in Taiwan, Indien, Südafrika und Südkorea bleiben nicht ohne Konfliktpotenzial und Konsequenzen für die Weltwirtschaft, befürchtet Böckelmann. „Die um Unabhängigkeit bemühten Notenbanken müssen aufpassen, nicht in den Wahlkampfstrudel hineingesogen zu werden. Eine erstmalige Umsetzung des sogenannten Separationstheorems, nämlich gleichzeitig bremsend (über Liquiditätsentzug) wie wachstumsfördernd (über Zinssenkungen in 2024) zu wirken, wird daher immer wahrscheinlicher“, warnt der EuroSwitch!-Experte.
Ein weiterer bestimmender Faktor: USA und China. Die wechselseitige Abhängigkeit ist größer als es die Politik wahrhaben will. Die seitens der USA verhängten Investitionsbeschränkungen treffen Chinas technologische Entwicklung, Chinas selektive Exportverbote treffen die westlichen Energietransformationsprozesse und könnten erst der Anfang einer neuen Eskalationskette sein. „Europa ist in einer unbequemen Sandwichposition zwischen den beiden Nationen und vertraut auf seine weniger hilfreiche moralische Kompetenz bei unverändert fehlender Wirtschaftsstrategie“, sagt der Portfoliomanager.
Was bestimmt die Kapitalmärkte?
Aktienindizes beziehungsweise die Branchen und Titel, die die Indizes dominieren, sind 2023 in der Annahme gestiegen, dass es bald wieder Zinssenkungen, liquiditätserhöhende Maßnahmen seitens der Notenbanken, vielleicht sogar Förderungen der Regierungen gibt. Der Finanzexperte von EuroSwitch! ist sich sicher: „Ob dieses Szenario eintritt hängt von der Entwicklung wesentlicher Kennzahlen zu Inflation und Arbeitsmarkt ab, aber vor allem von deren Interpretation durch die Notenbanken, deren Zielaussagen und auch des ausgeübten Drucks auf die Notenbanken durch deren Eigentümer, somit der Staaten und ihrer Regierungen.“
Die Vorwegnahme einiger Aktiensegmente scheine optimistisch angesichts gegebener Unschärfe in den statistischen Zahlen und der anstehenden politischen Entscheidungen. „Insofern dürfte auch das Jahr 2024 immer dann volatiler werden, wenn auf dem Kalender die Veröffentlichung wichtiger makroökonomischer Kennzahlen ansteht, wenn die Notenbanken zu ihren Pressekonferenzen rufen und jeder Wimpernschlag eines Offiziellen auf die Waagschale gelegt wird“, fasst Böckelmann zusammen.