Im Januar 2020 verließ das Vereinigte Königreich offiziell die Europäische Union. Die Politiker, die den Brexit unterstützten, feierten dies als historischen Tag für das Land und als Chance für wirtschaftlichen Aufschwung. Die Gegner befürchteten hingegen den Beginn einer Phase erheblichen wirtschaftlichen Niedergangs.
„Fünf Jahre nach dem Brexit lässt sich mit Sicherheit nur eines sagen: Die prognostizierten wirtschaftlichen Vorteile sind bislang ausgeblieben“, sagt Frank Liebold, Country Director Deutschland beim internationalen Kreditversicherer Atradius.
Diese Entwicklung kommt nicht überraschend: Seit dem Brexit hat Großbritannien eine höhere und hartnäckigere Inflation erlebt als Deutschland und die Eurozone. Lag die Teuerungsrate im Vereinigten Königreich etwa im Jahr 2022 bei durchschnittlich 9,07 Prozent, lag die Inflation in Deutschland bei 8,7 Prozent und in der Eurozone bei 8,4 Prozent. Im Jahr darauf betrug sie in UK 7,3 Prozent, in Deutschland 6,0 Prozent und in der Eurozone 5,4 Prozent. 2024 lag die Teuerungsrate in Großbritannien bei 2,5 Prozent und in der Eurozone bei 2,4 Prozent. Ähnlich könnte es auch dieses Jahr sein.
Während die Inflationszahlen im Nachgang zum Brexit steigen, brach 2020 in Großbritannien aufgrund der COVID-19-Pandemie das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ein. Mit -9,3 Prozent verzeichnetet Großbritannien den stärksten Einbruch im Vergleich zu den EU-Staaten. 2021 folgte eine Erholungsphase, wobei Großbritannien mit 7,5 Prozent das stärkste Wachstum aufwies. In den Jahren 2022 und 2023 verlangsamte sich das Wachstum in allen Regionen. Neue Daten des Internationalen Währungsfonds (IWF) zeigen, dass das Vereinigte Königreich dieses Jahr die am schnellsten wachsende große europäische Volkswirtschaft sein könnte. Dennoch bleibt sie mit voraussichtlich 1,6 Prozent unter der durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate vor dem Brexit von zwei Prozent. Besonders der Handelsausblick bleibt äußerst unsicher. Der fünfte Jahrestag des Brexits zeigt, dass die erhofften wirtschaftlichen Vorteile bislang ausgeblieben sind.
Rückgang der britischen Exporte und Probleme im Handel
Am 1. Januar 2021 trat das Handels- und Kooperationsabkommen (TCA) nach einer zwölfmonatigen „Übergangsphase“ mit der Einführung neuer regulatorischer Hürden, Zollkontrollen und Ursprungsregeln für den Handel zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU in Kraft. Die Folge: Ein Rückgang der britischen Warenexporte. Laut einer Publikation des House of Commons aus dem Jahr 2024, überschritten die Exportzahlen der UK in den drei Jahren vor dem Brexit 170 Milliarden Pfund im Jahr.
Seit dem Ausscheiden aus der EU rangieren die Zahlen unter dieser Marke und beliefen sich im Jahr 2023 auf 153 Milliarden Pfund. „Das Handelsbild bleibt für das Vereinigte Königreich fünf Jahre nach dem EU-Austritt schwierig“, sagt Frank Liebold. „Insgesamt hat sich der Warenhandel des Vereinigten Königreichs zwar nach den Einbrüchen während der Pandemie und den Brexit-bedingten Veränderungen teilweise erholt, liegt jedoch insgesamt noch unter dem Niveau von vor der Corona-Pandemie.“
Schwierige Lage, aber nicht katastrophal
Obwohl die wirtschaftliche Lage im Vereinigten Königreich schwierig ist, scheint sie nicht katastrophal. Analysten sehen zwar die durch den Brexit entstandenen Hürden, nennen aber auch positive Aspekte wie die Offenheit Großbritanniens für Handelsabkommen oder die geringen Beschränkungen für ausländische Investitionen.
Zwei Branchen sind allerdings stärker vom Brexit betroffen als die übrigen, und zwar der Agrarsektor und die Chemieindustrie. So leidet der britische Landwirtschaftssektor unter dem Arbeitskräftemangel im saisonalen Erntebetrieb. Verschärft wird die Situation dann noch durch den Ukraine-Krieg. Laut einer Umfrage der National Farmers’ Union (NFU) berichteten 40 Prozent der Befragten von Ernteverlusten aufgrund fehlender Arbeitskräfte.
Im SepInfos hiertember 2024 verschob die Regierung zum dritten Mal die Einführung von Post-Brexit-Kontrollen für bestimmte Obst- und Gemüsesorten aus der EU, um potenzielle Kostensteigerungen zu vermeiden. Diese Kontrollen sollen nun am 1. Juli 2025 beginnen. Die meisten frischen Produkte werden jedoch weiterhin von diesen Kontrollen ausgenommen bleiben.
Probleme hat auch die Chemieindustrie, die ein wichtiger Bestandteil der britischen Wirtschaft ist. Zwei Drittel der Produktion werden exportiert, der Großteil davon in die EU. Ohne freien Zugang zum EU-Markt sind 70 Prozent der britischen Exporte in die EU nun zollpflichtig, ebenso wie Rohstoffimporte aus der EU.
Widerstandsfähiger zeigen sich dagegen Branchen wie Luftfahrt, Verpackung und erneuerbare Energien. Industrien mit hoher Brexit-Exposition – wie Stahl, Logistik und Bauwesen – sehen einer unsicheren Zukunft entgegen. „Obwohl der Brexit nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht betrachtet werden sollte, ist klar, dass er wirtschaftlich bislang kein Erfolg darstellt“, sagt Frank Liebold. Der Handel bleibe sowohl mit der EU als auch mit der übrigen Welt schwach, während viele Branchen mit höheren Kosten, komplizierter Bürokratie und Arbeitskräftemangel zu kämpfen haben.
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