Es war das neunte Treffen der EU-Regierungschefs per Videokonferenz zur Koordination ihrer Corona-Politik. Die EU-Spitzen appellierten nach stundenlangen Gesprächen an alle Mitgliedsländer, ihre restriktiven Maßnahmen zu koordinieren und Kontrollen zu koordinieren. Die Situation sei ernst, vor allem wegen der neuen Mutationen aus Großbritannien oder Südafrika, die bereits in Teilen der EU nachgewiesen wurden, hieß es nach Ende der Debatte. .
Reisebeschränkungen in Vorbereitung
„Wir sind besorgt über die auftrauchenden Mutationen“, erklärte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, „deshalb müssen die Länder unbedingt mehr testen und mehr Genanalysen betreiben, um die Art der kursierenden Viren festzustellen.“ Bei fast allen Mitgliedsländern liege die Quote derzeit unter einem Prozent, was viel zu wenig sei, so von der Leyen. Mindestens fünf Prozent aller positiven Tests müssten untersucht werden, um Sicherheit über die kursierenden Formen des Virus zu gewinnen.
Auf diesem Hintergrund will die Behörde in Brüssel am Montag einen Plan vorlegen, nach dem nicht-wesentliche Reisen „entmutigt“ werden sollen. Der Blick richtet sich hier zunächst auf die Reisewelle während der Winterferien im Februar, die Einschränkungen können aber auch länger andauern. Dabei wird nicht von einem direkten Verbot gesprochen, es soll jedoch strengere Kontrollen, einheitliche verpflichtende Tests und Quarantänegebote geben, um jede grenzüberschreitende Bewegung so weit wie möglich zu unterbinden.
Frankreich ist bereits vorgeprescht und will ab Sonntag für alle Reisenden aus der EU einen negativen Corona-Test 72 Stunden vor Abreise zur Pflicht machen. Der Güterverkehr und beruflich unabdingbare Reisen sind davon nicht betroffen. Zu erwarten ist, dass in der kommenden Woche die meisten anderen EU-Länder hier nachziehen werden, soweit sie bisher verpflichtende Tests noch nicht vorschreiben.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte vor dem Treffen in Berlin erklärt, dass extensive Grenzkontrollen ein Mittel der letzten Wahl seien, wenn man sie auch nicht ganz ausschließen könne. Der belgische Premierminister Alexander Croo hatte gefordert, Reisen vorübergehend ganz zu untersagen. Dagegen steht der Wille der EU-Kommission wie auch einer Mehrheit der Mitgliedsländer, die Binnengrenzen in der EU weiter offen zu halten, um nicht erneut chaotische Szenen wie im vergangenen Frühjahr zu verursachen und den Binnenmarkt am Laufen zu halten. Güter und Pendler in wesentlichen Berufen sollen also weiter die Grenze überqueren können.
Man brauche „gezielte Maßnahmen“, sagte von der Leyen. Sie schlug unter anderem vor, den bisherigen Warnstufen noch eine tief-dunkelrote hinzuzufügen, um Regionen mit besonders starkem Infektionsgeschehen und mit Virusmutationen zu kennzeichen. Die Entscheidung über zusätzliche Restriktionen liegt dabei weiterhin bei den EU-Mitgliedsländern, wenn auch die Bereitschaft zur Abstimmung erkennbar gewachsen zu sein scheint. Die Kommission will jetzt einen Vorschlag für eine „Geeinte Front zur Bekämpfung von COVID-19“ vorlegen.
Zu wenig Impfstoff
„In ein paar Monaten werden wir mehr Dosen von Impfstoff haben, als wir brauchen“, versuchte Ursula von der Leyen die Mitgliedsländer zu trösten. Bei denen aber war der Frust über die derzeit verzögerten Lieferungen groß. Italien will die Herstellerfima Pfizer sogar verklagen und Länder wie Rumänien, Polen oder Tschechien beschweren sich heftig, weil sie derzeit teilweise nur die Hälfte der vereinbarten Menge an Pfizer-Impfstoff erhalten würden. „Die Mitgliedsländer wollen schnellere Lieferungen“, räumte die Kommissionchefin ein, „ich bin mit den Herstellern deswegen im Kontakt.“ Die Behörde in Brüssel hatte im Sommer den Ankauf von Impfstoffen an sich gezogen.
In den nächsten Wochen wird die Freigabe des Präparats von AstraZeneca erwartet, der leichter zu lagern ist und deshalb die Impfungen in der EU beschleunigen könnte, wenn genug davon geliefert werden kann. Pfizer versprach unterdessen, den Lieferrückstand im Februar wieder aufzuholen.
Gefordert wird von der Kommission eine Beschleunigung der Impfungen in der gesamten EU. So sollten bis März 2021 mindestens 80 Prozent der Menschen über 80 Jahren sowie 80 Prozent des Personals in Gesundheits- und Sozialberufen in allen Mitgliedstaaten geimpft werden. Bis Sommer 2021 sollten die Mitgliedstaaten mindestens 70 Prozent der erwachsenen Bevölkerung geimpft haben.
Kein Impfpass mit Reisefreiheit
Aufgeschoben wurde in der EU die Idee eines einheitlichen digitalen Impfpasses, der den Bürgern wieder Bewegungsfreiheit geben könnte, wie ihn der griechische Premier Kyriakos Mitsotakis – unterstützt von der spanischen und der portugiesischen Regierung – ins Spiel gebracht hatte. Diese Länderwollen ihre nächste Tourismussaison zu retten.
Aber der Vorschlag stieß auf wenig Gegenliebe. „Wir wissen noch nicht, ob geimpfte Personen das Virus nicht mehr weitergeben und wie lange die Impfung wirksam ist“, sagte Ursula von der Leyen. Den bekannten gelben Impfpass nach WHO-Muster solle es weiter geben. Aber aus dem Reisefreiheits-Dokument dürfte vor dem Sommer kaum etwas werden. Die EU-Regierungschefs vertagten die Debatte.
EU/uwelehmann/surpress