Finanzberater und ihre Kunden haben teilweise stark voneinander abweichende Maßstäbe, wenn es um die private Altersvorsorge und die damit verbundenen Dienstleistungen geht. Während Kunden aktuell vorrangig Wert auf transparente Unterlagen legen, den digitalen Zugriff auf diese Informationen sowie das Preis-Leistungs-Verhältnis eines Vorsorgeproduktes, neigen Finanzberater dazu, ihre Rolle als persönliche Anlaufstelle für den Kunden zu überschätzen. Es klafft also empirisch belegt eine große Wahrnehmungslücke zwischen dem, was Kunden wichtig ist, und dem, was Finanzberater diesbezüglich glauben. Dies sind die Ergebnisse einer Befragung unter rund 1.100 Finanzkunden und knapp 400 Finanzberatern.
Verantwortlich für die Befragung sowie die daraus abgeleitete Studie mit dem Titel „Mind the Gap! Die größten Wahrnehmungslücken in der Altersvorsorge“ ist Prof. Dr. Bernd Ankenbrand, Professor der Fakultät Wirtschaftsingenieurwesen der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt sowie international aktiver Keynote Speaker und strategischer Berater. Als Co-Autor fungierte Florian Fischer, der als Kommunikations- und Strategieberater über detaillierte Kenntnisse der Finanzdienstleistungsbranche verfügt und bei der Konzeption und Umsetzung der Studie maßgeblich mitgewirkt hat. Die von Prof. Ankenbrand geleitete Untersuchung, die zwischen Juni und Oktober 2017 stattfand, wurde vom britischen Versicherer Standard Life unterstützt.
Unterschiedliche Maßstäbe prägen verschiedene Wirtschaftsepochen
Für seine Untersuchung identifizierte Prof. Ankenbrand zunächst die unterschiedlichen Wertmaßstäbe in verschiedenen Wirtschaftsepochen. Diese wurden in einem weiteren Schritt auf den Bereich der Finanz-dienstleistungen übertragen. Im Rahmen der empirischen Erhebung gaben Kunden sowie Finanzberater dann über ihre Antworten zu erkennen, welche Maßstäbe für sie relevant sind. Die Antworten der Finanzberater zeigen, ob sie die für Kunden relevanten Wertmaßstäbe richtig einzuschätzen vermögen.
„Was von Ihnen und von mir als sinnvoll und damit wertvoll wahrgenommen wird, bestimmen – oft unbewusst – die jeweils individuell angelegten Maßstäbe. Diese sind aber nicht starr, sondern haben sich im Verlauf der Wirtschaftsepochen ausdifferenziert und scheinen sich im aktuellen Epochenübergang erneut zu verschieben“, erklärt Co-Autor Ankenbrand. Gerade in Zeiten der technologischen und gesellschaftlichen Veränderungen, wie wir sie jetzt erleben, könnten laut Ankenbrand Lücken (engl. „Gaps“) in der Wahrnehmung zwischen dem entstehen, was die Kunden für sinnvoll erachten, und dem, was auf dem Markt angeboten werde.
Was wurde untersucht? Die konkreten Untersuchungsschwerpunkte im Detail
Im Detail durchleuchteten die Autoren Ankenbrand und Fischer in der aktuellen Value Perception Gap Studie mit dem Schwerpunkt Altersvorsorge folgende Teilbereiche:
• die Maßstäbe des Informations- und Entscheidungsverhaltens zur Altersvorsorge
• die Relevanz von Produktmerkmalen der Altersvorsorge
• die Präferenzen von Vertriebskanälen und Serviceleistungen vor, während und nach der Altersvorsorgeberatung
Maßstäbe des Informationsverhaltens: Finanzberater überschätzen ihre Beratungsleistung oft
Bereits in der Informationsphase zeigen sich deutlich unterschiedliche Wahrnehmungen von Kunden und Beratern. So informieren sich Kunden über die Altersvorsorge mit einem Wert von 35,8 Prozent seltener bei Freunden und in der Familie, als von Finanzberatern (57,5 Prozent) bislang angenommen.
Eine deutliche Diskrepanz zeigt sich auch in Bezug auf den Informationskanal „Finanzdienstleister”. Knapp ein Drittel der Kunden will sich nicht bei Finanzdienstleistern über Altersvorsorge informieren. Auf der Gegenseite glaubt nur ein Prozent der Finanzberater, dass sich Kunden nicht bei ihnen informieren. Pressemitteilung zur „Value Perception Gap Studie 2017“
Allgemein lässt sich festhalten, dass Kunden der Aspekt transparenter Informationen deutlich wichtiger ist als das persönliche Treffen mit dem Finanzberater. Letztere neigen dazu, ihre Relevanz als Informationskanal zu überschätzen.
Der Bedeutung ihrer persönlichen Beratung für ihre Kunden geben die Berater einen Wert von 87,5 Prozent; aber nur 57,4 Prozent der Kunden ist die persönliche Beratung tatsächlich am wichtigsten. Dagegen meinen mehr als 86 Prozent der Kunden, es sei ihnen wichtig, alle Informationen transparent und jederzeit verfügbar zu haben. Auf Seiten der Berater vermuten dies nur 52,8 Prozent.
Relevante Produktmerkmale: Preis-Leistungs-Verhältnis wichtiger als von Finanzberatern geschätzt
Was die Relevanz der konkreten Produktmerkmale bei der Altersvorsorge betrifft, sind den Kunden das Preis- Leistungs-Verhältnis und die Zuverlässigkeit des Produkts für Kunden viel wichtiger, als Finanzberater annehmen. Knapp zwei Drittel (64,6 Prozent) der Kunden sagen, dass für sie die Zuverlässigkeit des Altersvorsorgeproduktes „am wichtigsten“ sei – Finanzberater sehen die Relevanz der Zuverlässigkeit nur bei einem Wert von 35,8 Prozent für ihre Kunden. Am deutlichsten werden die unterschiedlichen Auffassungen beim Preis-Leistungs-Verhältnis: Für mehr als die Hälfte der befragten Kunden (54,4 Prozent) ist dies ein absolutes Muss, während hier nur 13,1 Prozent der Finanzberater eine Priorität ihrer Kunden erwarteten.
Präferenzen von Vertriebskanälen: Alles digital?
Wird der Altersvorsorgemarkt jetzt also komplett digital? Die Umfrageergebnisse zeigen an diversen Stellen, dass dies nicht der Fall ist. Trotz aller Online-Präferenz bei der Suche nach Informationen heißt es nicht, dass Kunden künftig nur online abschließen möchten.
Knapp 40 Prozent der Kunden antworteten, dass sie auch künftig auf keinen Fall Altersvorsorgeprodukte online abschließen würden. Und nur 13,1 Prozent der Kunden können sich vorstellen, dass Apps die fachliche Kompetenz des Beraters vollständig ersetzen können. Kunden und Berater sehen Apps am ehesten als Ergänzung zur fachlichen Kompetenz des Beraters. „Die Kunden wollen von einem Profi beraten werden, der mehr zu bieten hat als eine App, sie wollen aber auch App-Support. Gerade hier ist die Kombination aus humaner und digitaler Intelligenz gefragt“, erklärt Ankenbrand.
Unterschiedliche Maßstäbe erkennen, Lücken schließen und neue Kunden gewinnen
Im letzten Teil der Studie widmen sich die Autoren konkreten Handlungsanweisungen. Sie analysieren die Maßstäbe von potenziellen Neukunden, zeigen Unterschiede zu den übrigen Kunden auf und geben Finanzberatern Empfehlungen, wie sie neue Kunden ansprechen können.
„Auch wenn es für Finanzberater künftig nicht leichter wird, Neukunden zu gewinnen, so gibt es dennoch gute Nachrichten. Zum einen sind die Neukunden jünger, verfügen über mehr Einkommen und zeigen sich gegenüber persönlicher Beratung aufgeschlossener. Um diese Kunden zu gewinnen, müssen Finanzberater die unterschiedlichen Maßstäbe erkennen und ihre Kommunikation entsprechend anpassen“, erläutert Co-Autor Fischer, Kommunikations- und Strategieberater für Finanzdienstleister.
Und Fischer fährt fort: „Mit der Offenlegung der jeweiligen Maßstäbe möchten wir einen Beitrag leisten für das wechselseitige Verständnis von Finanzberatern und Kunden im Hinblick auf individuelle sinnvolle Altersvorsorgelösungen.“
(SL)