Editorial

Ausgabe 5/2012: Ratingagenturen sind Unternehmen

Laut Wikipedia „sind Ratingagenturen private, gewinnorientierte Unternehmen, die gewerbsmäßig die Kreditwürdigkeit von Unternehmen aller Branchen sowie Staaten und deren untergeordnete Gebietskörperschaften bewerten.“ Die erste Frage, die sich bei dieser Definition stellt, wie können Unternehmen, die gewinnorientiert sind, andere Unternehmen bewerten. Diese unternehmerische Konstellation verbietet in dieser Funktion jegliche Möglichkeit der Objektivität und der Transparenz.

Dies ist auch die Hauptursache, weshalb die Ratingagenturen nun seit längerem in Verruf geraten sind. Leider sind die Vorwürfe nicht alle unberechtigt, wenn man bedenkt, dass alle drei großen Agenturen Standard &Poor´s, Moody´s und Fitch einen Marktanteil von 95 Prozent weltweit haben. Ihre Verflechtung mit der Wirtschaft ist auffällig und wird bemängelt. So ist zum Beispiel der US-Großinvestor Warren Buffet ein Anteilseigner von Moody´s und die zur Hälfte in französischer Hand liegende Fitch ist mit Unternehmen wie l´Oréal, Renault, Coca-Cola und der Bank Rothschild verbunden. Die Eigentümer der Agenturen und die im Aufsichtsrat vertretenen Unternehmen sind jene, die selbst Wertpapiere emittieren und von den Noten der Agenturen abhängen. Die Ratingagenturen sind nicht unabhängig, sondern Teil von Konzernen und Finanznetzwerken. Sie bewerten nicht nur Kredite und Finanzprodukte, sondern sie verkaufen denselben Unternehmen auch verschiedenste Beratungsdienste. Gleichzeitig agieren sie als Lobbyisten, denn die emittierenden Investmentbanken hätten ihre Produkte ohne den Segen der Agenturen gar nicht veräußern können.

Doch Agenturen verkaufen den Kunden nicht nur Ratings, sondern auch Beratung und Software, wie auf den öffentlichen und nichtöffentlichen Finanzmärkten durch Ausnutzung winziger zeitlicher und wertmäßiger Unterschiede, auf Kosten von Marktteilnehmern Gewinne herauszuholen sind. Dabei verfolgen sie dieselbe Logik wie der Kunde, daher wirft man ihnen einen Interessenkonflikt vor. Ihnen wird vorgehalten, dass sie diesem Konflikt unterlägen, weil sie zu gute Ratings in Aussicht stellen oder vergäben, um sich Aufträge oder Folgeaufträge zu sichern. Allein im Jahr 2010 machten die „Big Three“ der Ratingagenturen umgerechnet fast fünf Milliarden Euro Umsatz. Auffälligerweise haben sie in der Vergangenheit die gleichen Missgriffe für die großen Pleiten empfohlen und letztendlich gefördert. Sei es die Asienkrise 1997, die Enronpleite 1997, die Worldcom 2001, die Parmalat 2003 oder die N.Y Investmentbank Lehman Brothers 2008. Wie viele Geldhäuser spekulierte Lehman Brothers damals im großen Stil mit auf faulen US-Immobilienkrediten basierten Wertpapieren, die von den Ratingagenturen lange und bis kurz vor Ende als unbedenklich eingestuft wurden.

Man kann Ratingagenturen nicht kontrollieren und nicht regulieren, denn es ist das Unternehmensgeheimnis einer Agentur, welche Faktoren sie berücksichtigt und wie diese gewichtet werden, um ein Rating zu erstellen. Darüber hinaus ist zu bemerken, dass sie ihre juristischen Sitze in Delaware oder Virgin Island haben, die bekannt sind für günstige, steuerliche Bedingungen für Holdinggesellschaften und ca. 620.000 Briefkastenfirmen von großen Konzernen. Doch Europa will sich jetzt wehren, vorallem nach der Studie von Manfred Gärtner von der Universität St. Gallen zum Thema „Einfluss der Ratingagenturen auf die Euro Krise“. Er weist den point of no return nach, ab dem ein Land in den Teufelskreis von Herabstufungen, höheren Zinsen und weiteren Herabstufungen gerät. Die reale wirtschaftliche Lage des Landes spielt dabei nur noch eine untergeordnete Rolle. So verlangen die Finanzmärkte höhere Zinsen auf Staatsanleihen, weil das Rating sich verschlechtert hat. Das wiederum erhöht das Staatsdefizit weiter und führt zu einer weiteren Herabstufung. Die EU-Kommission versuchte 2011 die Ratingagenturen ansatzweise zu regulieren, doch Mitgliedstaaten wie England legten ein Veto ein. Der Franzose Michel Barnier, EU-Binnenmarktkommisar, legte im Kampf gegen die Agenturen im Jahr 2012 ein Regulierungspaket vor. Mitte Juni stimmte der Wirtschaftsausschuss über Barniers Papiere ab und verschärfte es in einigen Punkten. Dabei sollen die Agenturen nicht mehr ad hoc, sondern nur an vorher festgelegten Daten, die Beurteilungen von Staaten veröffentlichen dürfen. Die Europäische Börsenaufsicht bekäme dadurch mehr Macht, da die Bonitätswächter sie um Genehmigung bitten müssten.

Es ist nicht die einzige Bestimmung, die besprochen wurde und doch bleibt es ein Tropfen im Meer, aber es ist ein Anfang gegen die Korruption der Finanzindustrie.

I. B. Hägewald

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