Interviews

Ist Ruhestandsplanung nur verlängerte Altersvorsorge?

„Mit 66 Jahren fängt das Leben an“, sang Udo Jürgens. Wenn also mit Ruhestandsbeginn große Träume und Wünsche endlich umsetzbar werden, so müssen diese auch geplant und ausfinanziert werden.

Im Rahmen der Altersvorsorge ist das alles noch sehr diffus. In der Ruhestandsplanung wird die Planung konkret.

Es besteht oft die Angst, dass am Ende des Geldes noch Leben übrig ist. Und dieses Problem trifft nicht nur Normalverdiener, sondern diese Angst besteht auch bei gut betuchten Menschen. Anders als früher ist die Ruhestandsphase heute sehr lang und umfasst oft mehr als ein Vierteljahrhundert. Keiner weiß aber im Vorfeld, wie lange das Vermögen wirklich reichen muss und wie sich bestimmte weitere „Störfaktoren“ auswirken werden. Muss die Wohnung noch barrierefrei umgebaut werden? Wie wird sich die Preissteigerung weiter entwickeln? Wird eine Unterstützung zum Beispiel durch Pflegedienste notwendig werden? Muss die Wohnung nochmals gewechselt werden? Diese Eventualitäten müssen eingeplant werden.

Aus den Wünschen und Zielen, kombiniert mit einem langen Leben und diversen Störfaktoren, ergibt sich eine hohe Komplexität für die Planung der weiteren Zukunft als Rentier. Ohne diese Planung sind Ruheständler zwar oft vermögend, aber aus der Angst heraus, dass das Geld eventuell nicht reichen könnte, dennoch extrem sparsam. Es kommt zu „armen Reichen“. Insofern gibt eine transparente Ruhestandsplanung nicht nur ein gutes Gefühl. Es entsteht vielmehr ein deutlich größerer Handlungsspielraum für die Aktivitäten, für die Steuerung von Ausgaben und Einnahmen und letztlich auch für die Anlage freien Vermögens.

Eine längerfristige Finanzplanung ist immer komplex. Der jüngere Investor lebt aber aktuell und für die kommenden Jahrzehnte in der Regel aus seinem Arbeitseinkommen. Entscheidungen für oder gegen ein Produkt lassen sich noch verändern und Verluste können durch eine erhöhte Sparquote aufgefangen werden. Die Anlageentscheidung bezieht sich meist auf eine Sparrate über einige 100 Euro pro Monat und somit zunächst nicht über hohe einmalige Summen.

In der Ruhestandsplanung ist die Situation grundlegend anders. Der Investor muss meist aus seinem Vermögen ein Zusatzeinkommen beziehen – möglichst ein Leben lang. Getroffene Produktentscheidungen lassen sich nicht mehr einfach korrigieren, und Vermögenslücken durch zusätzliches Sparen auszugleichen, ist nahezu unmöglich. Insofern ist die Bedeutung der Planung in der Vorbereitung oder zu Beginn des Ruhestandes ungleich höher. Oft geht es um hohe Summen, die bereits über die aktive Berufstätigkeit angesammelt wurden, die nun zu investieren sind. Entscheidungen wiegen somit schwerer und werden nur sehr zögerlich getroffen. Die Menschen vergessen leider oft, dass keine Entscheidung tatsächlich auch eine Entscheidung darstellt – nämlich in der Regel für eine Anlage auf einem Sparbuch inklusive einer schleichenden Vermögensvernichtung. Da gehen den Anlegern jedes Jahr mehrere Milliarden Euro verloren.

Dabei soll nicht nur die Rendite im Fokus stehen. Es ist ein häufiger Irrtum, dass eine Anlage sich nur dann lohnt, wenn sie eine positive Rendite verspricht. Es kommt viel eher darauf an, ob mir das Geld in Zukunft einen größeren Nutzen bringt als es mir jetzt bringen könnte. Ein einfaches, etwas drastisches Beispiel: Wenn ich in 10 Jahren ein überlebenswichtiges Medikament für 200 Euro benötige, dann lohnt es sich, heute auf ein neues Handy für 200 Euro zu verzichten und das Geld zu sparen. Ganz unabhängig vom Zins. Insofern ist die erste Frage die nach dem Bedarf in den zukünftigen Jahren. Erst in zweiter Stufe wird dann die Frage nach der Anlageform und der Rendite gestellt.

Es wird also immer deutlicher, dass eine Ruhestandsplanung anspruchsvoll und dringend notwendig für Kundengruppen über 50 ist. Der Markt wird sich in den kommenden Jahren verstärkt darauf einstellen müssen.

von Dr. Wolfgang Kuckertz, Vorstand GOING PUBLIC! Akademie für Finanzberatung AG

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