„Von den Schwankungen an den chinesischen A-Aktienmärkten in Shanghai und Shenzhen geht ein Ansteckungseffekt für die globalen Aktienmärkte aus – obwohl das eigentlich unbegründet ist. Denn der A-Aktienmarkt ist im Wesentlichen ein innerchinesischer Markt, der von Privatanlegern genutzt wird. Daher wird er kurzfristig sehr stark von deren Stimmungen getrieben, weniger von wirtschaftlichen Fundamentaldaten.
Am chinesischen A-Aktienmarkt hat sich im ersten Halbjahr 2015 eine Blase gebildet, die vor allem von der Erwartung auf Kapitalzuflüsse internationaler Anleger getrieben wurde. Gegen Ende des Jahres ist bereits Luft aus dieser Blase gewichen. Allerdings haben staatliche Eingriffe verhindert, dass die Luft bereits komplett entweichen konnte.
Ende des Jahres wurde die Regel eingeführt, den Aktienhandel für 15 Minuten auszusetzen, wenn der CSI 300 Index an einem Tag um mehr als 5 Prozent fällt. Wenn der Markt danach um weitere 2 Prozent fällt, wird der Handel für einen ganzen Tag ausgesetzt. Ironischerweise hat diese Maßnahme den Effekt, die Marktschwankungen zu beschleunigen. Heute wurde der Markt bereits kurz nach dem Start vom Handel ausgesetzt. In dieser Situation – und weil sie Angst haben, dass der Markt bald für den ganzen Tag geschlossen wird – beeilen sich die Anleger, ihre Positionen zu verkaufen. Damit ist praktisch vorherbestimmt, dass der Markt auch die 7-Prozent-Marke reißt und dann für den Rest des Tages nicht mehr gehandelt werden kann. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass die chinesische Regulierungsbehörde diese Regelung überdenkt.
In der aktuellen Situation sollten Anleger und Kommentatoren einen Fehler vermeiden: Annehmen, dass die starken Schwankungen am chinesischen A-Aktienmarkt von einer neu erkannten Schwäche der chinesischen Wirtschaft getrieben ist. Denn das ist meiner Meinung nach nicht der Fall. Hat umgekehrt ernsthaft jemand geglaubt, dass die Kursverdopplung am A-Aktienmarkt im vergangenen Jahr auf einer entsprechend fantastischen Verbesserung der Fundamentaldaten der chinesischen Wirtschaft beruhte?
Kurs-Gewinn-Verhältnisse chinesischer Indizes werden sich angleichen
Aus der Spekulationsblase am A-Aktienmarkt ist die Luft noch nicht vollständig entwichen. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis der Aktien des CSI300 Index liegt momentan bei 11,3, wohingegen der Wert für das Offshore MSCI China-Universum bei 9,5 liegt. Am Ende der Korrektur dürften die Kurs-Gewinn-Verhältnisse beider Indizes etwa gleich notieren.
Das aktuelle Geschehen in der chinesischen Wirtschaft ist nicht dramatisch. Vielmehr bietet sie gemischte Aussichten, es gibt einige schwache Branchen (produzierendes Gewerbe) und einige starken Sektoren (Dienstleistungen, Einzelhandel). Der Übergang zu einer stärker konsumorientierten Wirtschaft wird durch das Reformprogramm der Regierung unterstützt, aber dies ist keinesfalls ein reibungslos verlaufender Prozess.
Schwächerer Renminbi keine Gefahr für Chinas Wirtschaft
Eine weitere Abwertung der chinesischen Währung schließe ich nicht aus, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie von der Regierung ganz bewusst herbeigeführt wird. Ich denke, die Regierung bewegt sich klar in Richtung einer marktgehandelten Währung. Sie wird aber versuchen, die Hochs und Tiefs oder Spitzen, die von spekulativem Handeln verursacht werden, durch Marktinterventionen abzuschwächen. Und ich sehe tatsächlich keinen Grund, warum eine moderate Schwäche des Renmimbi besonders gefährlich für die Volkswirtschaft oder den Markt sein sollte.
Ich halte es für sinnvoll, Aktienpositionen auf dem aktuell niedrigen Level aufzubauen. Wenn Unsicherheit am Aktienmarkt Panik schürt, ist das in der Regel eine gute Kaufgelegenheit für langfristig orientierte Anleger. In den vergangenen beiden Wochen hat sich daran nichts geändert – außer, dass der Markt nun dazu bereit ist, Aktien zu einem weitaus niedrigeren Preis zu verkaufen.
In Asien gibt es rund 17.000 gelistete Unternehmen, mehr als in den USA und Europa zusammen. Viele dieser Unternehmen sind künftige Stars und werden sich hervorragend entwickeln – unabhängig von der Markt- oder makroökonomischen Umgebung.“
Von Matthew Sutherland, Kapitalmarktstratege bei Fidelity International in Hongkong