Durch die Einbeziehung solcher Elemente in den Investmentprozess entsteht ein robustes Rahmenwerk, das Anleger vor häufig auftretenden Fallen schützt.
Bei einer Reise nach San Francisco hatte ich Gelegenheit, mit Dr. Richard Peterson zu sprechen, dem Gründer von MarketPsych und einem der führenden Forscher auf dem Gebiet der verhaltensorientierten Finanzmarkttheorie (Behavioural Finance). Sentimentanalysen waren damals bereits Bestandteil unseres Investmentprozesses. Ich hatte also die Möglichkeit, mehr über die Fortschritte in den Bereichen Big Data und künstlicher Intelligenz zu erfahren. Durch den innovativen Einsatz von Algorithmen, die Nachrichtenartikel lesen können, und beeindruckende Rechenleistungen wird eine sehr viel tiefgreifendere Analyse und Quantifizierung des Marktsentiments als bisher möglich. Indizes werden anhand von Tausenden von Internetquellen konstruiert – häufig innerhalb von Millisekunden, nachdem die entsprechenden Meldungen in professionellen oder sozialen Medien veröffentlicht wurden.
Die von Dr. Peterson und seinem Team entwickelten lernfähigen Algorithmen können aus diesen Datenmengen Stimmungsindizes extrahieren, die z.B. auf Optimismus, Befürchtungen, Freude oder Konflikte hindeuten. So wird es möglich, in Echtzeit das – positive oder negative – Sentiment zu erkennen, das die Märkte beeinflusst. Der „Schwarze Donnerstag“ im Jahr 1929, der „Schwarze Montag“ im Jahr 1987 und der Börsencrash im Jahr 2008 haben gezeigt, wie dramatisch die Folgen von Stimmungswechseln sein können. Im Gespräch mit Dr. Peterson konnte ich erfahren, wie er die Ergebnisse seine Hirnscan-Experimente an der Stanford-Universität bei der Gründung seines Unternehmens für hochmoderne Nachrichtenanalyse-Software eingesetzt hat. Dadurch gewann ich aufschlussreiche Erkenntnisse darüber, wie menschliches Wissen und Datentechnologie in der Finanzanalyse miteinander verschmelzen können.
Das Multi-Asset-Team bei NN Investment Partners verfolgt eine einfache Philosophie: Wir wollen die Fähigkeiten von Mensch und Maschine optimal kombinieren. Mit Hilfe robuster statistischer Methoden schätzen wir ab, ob die eingehenden Daten sinnvolle Informationen für das Instrumentarium enthalten, mit dessen Hilfe wir unsere Anlageentscheidungen treffen. Dank der Struktur unseres Instrumentariums können zahlreiche fundamentale und verhaltensbasierte Signale einbezogen werden, wobei die verhaltensbasierten Elemente genauso gut auf ihren Prognosegehalt hin geprüft werden können wie andere Faktoren.
In unserem Instrumentarium nutzen wir digitale Nachrichten und Social Media-Feeds, die mit Hilfe von Textanalysetechniken in Indizes umgewandelt werden, um das Sentiment in unterschiedlichen Marktsegmenten in Echtzeit zu ermitteln. Diese verhaltensorientierten Elemente ergänzen unsere fundamentale Marktanalyse und geben einzigartige Einblicke in die Stimmung „des Markts“. Bereits seit langem wird versucht, die Stimmung der Märkte einzuschätzen Durch das Aufkommen der sozialen Medien, durch lernfähige Algorithmen und die Fähigkeit, große Datenmengen praktisch in Echtzeit zu verarbeiten, stehen jedoch ganz neue Wege offen. Wir setzen diese Techniken in unserem Investmentprozess wirksam ein.
Unser hauseigenes Instrumentarium schafft ein Rahmenwerk für die Einschätzung der Märkte. Im Grunde bringen unsere Strategen und Portfoliomanager dabei die maschinellen Daten mit ihren eigenen Studien und Erkenntnissen zusammen und entwickeln so ein kohärentes Szenario für die Finanzmärkte. Ein solches Instrumentarium bietet unter anderem den Vorteil, dass es vor bekannten, ungünstigen Verhaltensweisen schützt – und zwar nicht nur vor irrationalem Überschwang und übermäßigem Selbstvertrauen, sondern auch vor Furcht und Verlustaversion.
Die Disziplin der Maschinen wirkt sich auch bei einem anderen Aspekt des Entscheidungsprozesses günstig aus: Die Prognosefähigkeit von Strategen und Portfoliomanagern wird verbessert. Nobelpreisträger Daniel Kahneman erläutert in seinem Buch „Thinking Fast and Slow“ (2011), dass Experten vor allem dann intuitive Expertise entwickeln können, wenn sie gute und rasches Feedback erhalten und hinreichend Gelegenheit zum Üben haben.
Wir können also ein Rahmenwerk entwickeln, das mit Hilfe von Big Data und lernfähigen Algorithmen Prognosemodelle erstellt, die sich parallel zur Entwicklung der Gesellschaft und der Finanzwelt ändern. Diese Daten können dann im Prognoseprozess verwendet werden und zeigen den Nutzern an, wenn deren Projektionen von den Modellen abweichen. So können Strategen und Portfoliomanager bessere Urteile in dem hochgradig unsicheren Umfeld treffen, in dem sie tätig sind.
Letztendlich können Menschen die Feinheiten von geopolitischen Ereignissen, sich verschiebenden politischen Allianzen, Änderungen der Corporate Governance und der Zentralbankpolitik immer noch besser abschätzen. Zusammen mit datenbasierte Modellen, die Schutz vor bekannten menschlichen Tendenzen bieten, kann so ein System entstehen, das die komplexe und sich stetig verändernde Welt, in der wir investieren, gut erfassen kann.
Natürlich ist dies noch nicht das Ende der Geschichte. Big Data und künstliche Intelligenz in ihrer engen Form sind derzeit ein ganz großes Thema – aber es ist durchaus möglich, dass die nächste Innovationsrunde von völlig anderen Faktoren bestimmt wird. Auch künftig wird sich unser Investmentprozess dadurch weiter entwickeln, dass wir in einem sich ständig wiederholenden Zyklus aus Technologie und Innovation Neues lernen, Verbesserungen einführen und uns anpassen.
(Autor: Mark Robertson, Senior Portfolio Manager, Multi-Asset bei NN Investment Partners, Den Haag)