Postfaktische Märkte
Wer hätte das gedacht? Nachdem für viele von uns das Jahr schon nach der Rückkehr aus dem Weihnachtsurlaub verloren schien und der DAX an seinem Tief vom 11. Februar nahezu 2000 Punkte unter dem Jahresendstand 2015 notierte, blicken wir ein knappes Jahr später mit Erstaunen auf eine bemerkenswerte Aufholjagd.
Das wichtigste deutsche Aktienbarometer steht heute verglichen mit dem Jahresanfang um über 6% im Plus, allein die letzte Woche brachte einen Kurszuwachs von knapp 1,8%. Hierfür gibt es eine Vielzahl von Gründen, darunter die Erholung des Ölpreises, eher beruhigende Nachrichten bezüglich der Konjunktur in China und wohl auch der Ausblick auf eine ganz langsame Normalisierung der Inflation. Natürlich nehmen es die Märkte mit Erleichterung zur Kenntnis, wenn der westlichen Welt dann doch ein japanisches Schicksal erspart bleibt. Dennoch bleibt ungläubiges Kopfschütteln, denn 2016 war ja beileibe kein Jahr ausschließlich positiver Nachrichten. Aber gerade auf die politischen Unglaublichkeiten, die Brexits und Trumps dieser Welt, haben Investoren denkbar passend reagiert. Postfaktisch eben.
Es ist keineswegs ausgemacht, dass Anleger im Jahr 2017 genauso entspannt mit den großen Politikrisiken umgehen wie im ausklingenden 2016. Schließlich hat sich wenig daran geändert, dass auch im kommenden Jahr der Ausgang schwerwiegender politischer Entscheidungen vom Umgang verunsicherter Wähler mit politischen Rattenfängern abhängt. Ob die Niederlande im März oder Frankreich im Mai die politische Führung an das populistische Lager abgeben, dürfte erheblichen Einfluss auf die Attraktivität Europas als Anlageregion haben, gerade im Vergleich mit einer US-Wirtschaft in Aufbruchsstimmung.
Und schließlich dürfte sich auch und gerade an letzterem, nämlich der schwer einschätzbaren Frage, wohin Donald Trump die USA steuert, vieles im kommenden Jahr entscheiden. Überwiegt jenseits des Atlantik nämlich die dunkle Seite der neuen Macht, könnte auch die Marktwahrnehmung schnell wieder kippen. Was ist, zählt also weniger als das, was wir glauben. Postfaktische Realität.
In diesem Umfeld des Neuen und schwer Greifbaren beruhigt der Blick auf etwas so Altbekanntes wie die Fed-Prognose. Janet Yellen hatte mit der Zinsanhebung letzter Woche den Ausblick auf drei Zinsschritte im kommenden Jahr ja gleich mitgeliefert. Schon richtig, so etwa hatte es auch Ende 2015 aus der Fed-Zentrale geklungen, und danach musste sich der Markt schrittweise von der Verheißung von drei bis vier Zinsschritten in diesem Jahr verabschieden.
Gut möglich aber, dass es 2017 anders läuft und der Zinspfad tatsächlich steiler wird. Ein entscheidendes Element dürfte der Inflationsausblick sein, der bekanntlich stark angezogen hat. Nach der Wahl Donald Trumps zum 45. US-Präsidenten haben die marktbasierten Inflationserwartungen auf Sicht von fünf Jahre (also den Zeitraum, den Zentralbanken meinen, wenn sie von ‚medium term‘ reden) um rund 30 Basispunkte zugelegt. Marktteilnehmer sehen die US-Inflation somit auf Sicht von fünf Jahren wieder bei 2,5%. Und da Janet Yellen letzte Woche der Überlegung, sie könne eventuell eine ‚high pressure economy‘, also ein gezieltes Überhitzen der US-Wirtschaft und damit auch ein Überschießen des Inflationsziels anstreben, eher eine Absage erteilt hat, könnten die Märkte mit der Erwartung einer stärker einbremsenden Fed gar nicht so falsch liegen.
Was bedeutet das für Anleger?
Womit der Blick auf den nicht mehr allzu reich gedeckten Tisch an Makrodaten in dieser Woche fällt. Denn eine der wichtigsten Zahlen dürfte der Kernindikator der privaten Konsumausgaben in den USA (im Marktsprech ‚core PCE‘) sein, das wichtigste Inflationsmaß der US-Notenbank. Im letzten Monat hatte sich dieser Indikator wieder leicht von 1,6% auf 1,7% beschleunigt, und jede weitere Annäherung an das mittelfristige Fed-Ziel von 2% Inflation dürfte weiteres Wasser auf die Mühlen derjenigen gießen, die mehrere Zinserhöhungen im Jahr 2017 erwarten.
Derweil präsentiert sich die deutsche Wirtschaft zum Jahresende in robuster Verfassung. Gestern stieg der Ifo-Index auf 111, stärker als erwartet. Bemerkenswert ist, dass die befragten Unternehmen in ihrer Mehrheit nicht nur die gegenwärtige Lage positiver als noch im November einschätzten, sondern auch der Ausblick für die nächsten sechs Monate sich nochmals aufgehellt hat. Dies dürfte zum Teil mit den Erwartungen eines weiter aufwertenden US-Dollar zu tun haben, denn wenn der Euro gegenüber dem Dollar abwertet, klingelt es in der Kasse deutscher Exporteure. Nicht, dass letztere einen schwachen Euro bräuchten. Aber wer sagt schon nein zu einem schönen Geschenk?