Großbritanniens Votum für den Austritt aus der Europäischen Union zählt zu den bislang bedeutendsten Ereignissen des Jahres 2016. Es ist eine Entscheidung, die sowohl auf politischer Ebene als auch in der britischen Wirtschaft für enorme Unsicherheit sorgt. Der FTSE 100 legte kräftig zu. Zum Teil ist dies Umrechnungseffekten geschuldet, denn ein äußerst schwaches Pfund Sterling trieb die Gewinnprognosen nach oben, aber der FTSE 250 verzeichnete nach einer anfänglichen Verkaufswelle ebenfalls eine Erholung. Aus meiner Sicht sind diese Rallys durch mehrere Einflussfaktoren bedingt. Die politischen Entwicklungen waren und sind größtenteils unvorhersehbar, aber immerhin wissen wir jetzt, wer künftig das Amt des britischen Premierministers ausüben wird. Auch dass Theresa May die Amtsgeschäfte wesentlich früher als erwartet übernommen hat, verleiht den Märkten kurzfristig Auftrieb und trägt dazu bei, das Anlegervertrauen wiederherzustellen.
Wir leben allerdings in außergewöhnlichen Zeiten, in denen die Zentralbanken grundlegend in das Wirtschaftsgeschehen eingreifen und die Märkte beeinflussen. Die gesamtwirtschaftlichen Risiken sind gestiegen und die Zentralbanken haben den Geldhahn geöffnet, um die Anleihemärkte, auf denen die Renditen für Papiere aus den Kernländern eingebrochen sind, mit Liquidität zu versorgen. Es steht zu vermuten, dass die Anleiherenditen in den Kernländern bei diesen beispiellosen Eingriffen der Zentralbanken sogar noch weiter fallen könnten. Dies zwingt Anleger, sich anderswo nach Renditen umzusehen, und das ist ein Faktor, der Risikoanlagen Auftrieb verleiht.
Wie das Ganze enden wird, ist derzeit noch völlig unklar. Die Zentralbanken reagieren auf die deflationären Kräfte, die sich weltweit im System bemerkbar machen. Dazu kommt, dass die Regierungen weder Geld ausgeben noch Strukturreformen einleiten können, und es ist schwierig abzusehen, wann sich diese Rahmenbedingungen ändern werden. Wenn die Anleger in den letzten Jahren eines gelernt haben, dann dass sie sich angesichts des erlahmten Wachstums und der Fülle quantitativer Lockerungsmaßnahmen in den Industrieländern eigentlich nur in die Aktienmärkte flüchten können.
Irgendwann werden die Renditen steigen, aber wohl nicht in unmittelbarer Zukunft. Denn die Zentralbanken sind bemüht, die Renditen niedrig zu halten, um das Wachstum anzuregen. Bis dahin dürfte die Rentabilität von Banken leiden, und in einem solchen Umfeld werden die Banken wohl weniger Kredite vergeben, wodurch das Wirtschaftswachstum gehemmt wird. Angesichts der rückläufigen Renditen für britische Staatsanleihen bieten Aktien in Großbritannien trotz alledem viermal so hohe Renditen wie eine britische Staatsanleihe mit zehnjähriger Laufzeit. Es ist also keine Überraschung, dass sich Anleger auf der Suche nach nominellen Renditen Risikoanlagen zuwenden. Dennoch wirkt diese Rally ein Stück weit ungerechtfertigt und nicht durch Fundamentaldaten untermauert. Wenn wir uns im Laufe der nächsten Jahre von der EU lösen, wird die britische Wirtschaft mit einer ganzen Reihe von Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Wahrscheinlich wird der Austritt aus der EU die Konjunktur in Großbritannien dämpfen und die im Inland erzielten Gewinne in Mitleidenschaft ziehen. Zudem müssen wir uns irgendwann mit den möglichen Auswirkungen des Wahlergebnisses in den USA auf die Gesamtwirtschaft auseinandersetzen, und es könnte immer noch zu einem Zerwürfnis in der Europäischen Union kommen. Wir berücksichtigen auch die weltweite Schuldenlast und die globalen Überkapazitäten. Unsere besondere Aufmerksamkeit gilt der besorgniserregend hohen Anzahl notleidender Kredite im italienischen Banksystem sowie Chinas anhaltenden Bemühungen, seine Wirtschaft wieder ins Lot zu bringen.
Columbia Threadneedle: Portfolioausrichtung
Vor diesem Hintergrund zunehmender globaler Risiken – der gerade nicht wie ein günstiges Umfeld für positive Aktienrenditen wirkt – haben wir uns entschlossen, Aktien in unseren Portfolios auf ein neutrales Niveau zurückzustufen, nachdem wir diese Anlageklasse mehr als fünf Jahre lang favorisiert hatten. Im Detail haben wir unser Engagement in Europa ohne Großbritannien, in Großbritannien sowie in Asien ohne Japan von übergewichtet auf neutral reduziert. In den USA und in den Schwellenländern hingegen haben wir unsere Position von einer Untergewichtung auf ein neutrales Niveau erhöht, denn das sind Regionen, die sich offenbar nicht unmittelbar im Brennpunkt der ungünstigen Entwicklung befinden. Wir halten an einer sehr geringfügigen Übergewichtung in Japan fest.
In Europa wirkt die Referendumsentscheidung für den EU-Austritt letztendlich als Stresstest für die europäischen Banken, deren Gewinne und hinreichende Kapitalausstattung bereits vorher prekär aussahen. Aber auch wenn der Euroraum in den letzten Quartalen gute Fortschritte erzielt hat (die Löhne und der Konsum steigen, die Investitionen ziehen wieder an und die Sparmaßnahmen werden langsam zurückgefahren), müssen diese Indikatoren weiter zulegen. Stattdessen werden sie jetzt durch den Brexit unter Druck geraten. Tatsächlich ist bei der Geldmenge – dem wichtigsten Frühindikator für das Wirtschaftswachstum – wieder eine Trendwende zu beobachten, während weiterhin große Leistungsbilanzüberschüsse bestehen und die Verschuldung außerhalb des Finanzsektors nach wie vor sehr hoch ist. Zwar liegt die Gesamtrendite europäischer Aktien in US-Dollar betrachtet 29 % unter ihrem Höchststand vor der weltweiten Finanzkrise; vor dem Hintergrund der allgemeinen Geldpolitik der EZB und den Problemen des italienischen Bankensystems bestehen aus unserer Sicht jedoch Risiken in Bezug auf das Gewinnwachstum.
In Japan kommt unterdessen langsam etwas Bewegung in die Wirtschaft, aber die Region hat mit Belastungsfaktoren wie der jahrzehntelangen Deflation und den ungünstigen demografischen Verhältnissen zu kämpfen. Wir sehen allerdings, dass die Corporate-Governance-Reform in Japan Erfolg zeigt. Die Unternehmen konzentrieren sich stärker auf die Kapitalrendite (ROCE), Gewinne sowie ihre Aktionäre und dies wird mittelfristig positive Auswirkungen auf die Konjunktur haben. Wenn wir das Wachstum in Gang bringen wollen, sind in vielen Ländern weltweit Strukturreformen notwendig. Diese lassen sich jedoch nur schwer durchführen, insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen gesamtwirtschaftlichen Lage. Einige der makroökonomischen Faktoren, die uns Sorge bereiten, werden auch europäische Anleihen beeinträchtigen. Das europäische Bankensystem und aufsichtsrechtliche Veränderungen bleiben Sorgenkinder, aber weitere Konjunkturfördermaßnahmen und das begrenzte Angebot an europäischen Unternehmensanleihen sorgen für eine kräftige Nachfrage nach Hochzinsanleihen. Europäische Hochzinspapiere sind defensiver ausgerichtet als Aktien und bieten höhere risikobereinigte Renditen bei einer kurzen Duration. Daher favorisieren wir europäische Hochzinspapiere, bleiben jedoch bei einer neutralen Gewichtung von Anleihen.