So richtig hatte wahrscheinlich niemand auf dem Zettel, welch außergewöhnliche Risiken sich im Jahr 2020 in der Wirtschaft und an den Finanzmärkten materialisieren würden. Inzwischen liegen zwölf extrem schwierigeMonate der globalen COVID-19-Pandemie hinter uns, und die Wirtschaft ist dabei, sich von den Auswirkungen zu erholen. Wichtige Wirtschaftsindikatoren entwickeln sich stark, etwa die Produktion im verarbeitenden Gewerbe, die Immobilienpreise, die Beschäftigung und die Verbraucherausgaben. Zugleich aber sind viele Länder von einer zweiten Welle erfasst worden und stecken erneut im Lockdown. Sind wir also schon über den Berg? Die Beantwortung dieser Frage fällt schwer. Das Fehlen eindeutiger Prognosen führt zu Verunsicherung. Das spüren wir auch bei den Unternehmen: Manche Firmen rechnen mit einem gesunden Wachstum in diesem und im nächsten Quartal, während andere befürchten, dass die Wirtschaft ein weiteres Mal auf Tauchstation gehen könnte.
Was die Anleger angeht, so setzen diese trotz der unsicheren kurzfristigen Wirtschaftsaussichten zuneh- mend auf eine Erholung in der zweiten Hälfte dieses Jahres. In der Tat ist zu erwarten, dass die breite Verteilung von Impfstoffen dafür sorgt, dass wir im Laufe des Jahres zu einem gewissen Grad an Normalität zurückkehren werden – früher oder später. Wir glauben zwar, dass es sinnvoll ist, vorsichtig zu bleiben. Doch insgesamt sind wir eher optimistisch. Unser Prognosemodell für die Aktienmärkte gibt eindeutig positive Signale. Die Volatilität ist gesunken, die Zinsen bleiben niedrig, die Märkte für Unternehmens- kredite und -anleihen sind gesund – viele Indikatoren sehen positiv aus oder gehen in die richtige Richtung.
BREITERE ERHOLUNG AN DEN AKTIENMÄRKTEN
Im Gegensatz zur Erholung in den vergangenen Monaten dürfte der fortgesetzte Aufschwung an den Aktienmärkten künftig allerdings breiter ausfallen. Denn auch konjunktursensible Branchen sollten im Jahr 2021 verstärkt profitieren. Dies zeigt unter anderem ein Blick auf die deutliche Verbesserung der Unternehmensgewinne rund um den Globus. Diese ist nämlich verstärkt auch in den zyklischeren Sektorenwie Finanzwerte, Rohstoffe und Energie zu beobachten. Bessere Fundamentaldaten nach der schlechten Entwicklung im Jahr 2020 bedeuten, dass diese konjunktursensiblen Aktien im neuen Jahr nun attraktiver bewertet sind. Wir haben also eine ganz andere Situation als zu Beginn der Pandemie und der anschließenden Erholung, als das Gewinnwachstum spärlich war und sich die Gewinnsprünge auf eine Handvoll Sektoren konzentrierten. Es gibt noch eine weitere Beobachtung, aus der wir ein Comeback der Zykliker ableiten: So wird der statistische Zusammenhang zwischen hohem Wachstum und hoher Profi- tabilität von Unternehmen (beziehungsweise niedrigem Wachstum und niedriger Profitabilität) deutlich geringer. Noch vor drei Monaten hatte die entsprechende Kennzahl auf dem höchsten Wert seit Jahr- zehnten gelegen. Nun normalisiert sich das Maß wieder. Daraus schließen wir, dass die eher zyklischen Titel nun das Potenzial haben, eine nachhaltige Erholung gegenüber den vorherigen Überfliegern aus dem Tech-Sektor hinzulegen.
RISIKEN IM BLICK BEHALTEN
Gleichwohl wird auch das vor uns liegende Jahr nicht frei von konjunkturellen Risiken sein. Eines davon betrifft den Arbeitsmarkt. Es kann sich durchaus als schwierig erweisen, die vielen – vor allem in den USA – im Zuge der Krise verlorengegangenen Arbeitsplätze wiederaufzubauen. Schließlich werden einige Unter- nehmen dauerhaft vom Markt verschwinden. Hinzukommen strukturelle Veränderungen, mit denen ganze Branchen zu kämpfen haben. All dies könnte zu geringeren Unternehmensinvestitionen und damit zu einer länger anhaltenden Arbeitslosigkeit führen. Auf dem entgegengesetzten Ende im Spektrum möglicher Risiken liegt ein deutlicher Anstieg der Inflation. Zwar legen die derzeitigen Renditen infla- tionsgeschützter Anleihen ein zu vernachlässigendes Inflationsrisiko nahe. Doch wenn sich die Konjunk- tur erholt, das Wachstum, wie allgemein erwartet, in der zweiten Jahreshälfte 2021 wieder anzieht, aber die Produktionskapazitäten hinter der Nachfrage zurückbleiben, dürften die Preise analog zum Wachstum anziehen. Trends wie der massive Anstieg der US-Verschuldung, ein schwächerer US-Dollar und ein Rückbau der Globalisierung könnten die Inflation vor allem in den USA deutlich nach oben treiben. Vor diesemHintergrund halten wir insbesondere inflationsgeschützte US-Staatsanleihen, die sogenannten TIPS, für attraktiv. Ihre Bewertungen spiegeln unserer Meinung nach den zunehmenden längerfristigen Inflationsdruck noch nicht wider, weil die Investoren noch zu sehr im aktuellen Deflationsszenario verhaftet sind.
VICTOR ZHANG,
Investmentchef bei American Century Investments.
Zhang führt ein Team von 170 Anlageexperten.
Er begann seine Karriere im Jahr 1997.
Bei American Century Investments arbeitet er seit 1997.