Investmentfonds

Die Weltwirtschaft hängt am Tropf: Fünf wichtige Fragen & Antworten für Anleiheinvestoren

Ariel Bezalel, Head of Strategy, Fixed Income und Harry Richards, Fondsmanager, beantworten fünf häufig gestellte Fragen zu den globalen Anleihemärkten und der flexiblen Anleihestrategie von Jupiter

geralt / Pixabay

1. Könnte es zu einer erneuten Liquiditätskrise an den Märkten kommen?

Die US-Notenbank (Fed) setzt auf eine unbegrenzte quantitative Lockerung und hat neben dem Ankauf enormer Mengen an US-Staatsanleihen mit den erstmals geplanten Ankäufen von Unternehmensanleihen jetzt den Rubikon überschritten. Wir halten es für durchaus möglich, dass die Fed noch weitergehen und selbst bonitätsschwächere Hochzinsanleihen ankaufen wird, um den Markt zu stützen. Angesichts eines derart massiven Rückhalts für risikoreichere Anlagen ist eine erneute Liquiditätskrise in naher Zukunft nur schwer vorstellbar. Janet Yellen hat sich vor Kurzem sogar dafür ausgesprochen, der Fed die Befugnis zu geben, auch Aktien anzukaufen. Die Bank of Japan macht das bereits seit Längerem – es wäre also nicht das erste Mal, dass eine Notenbank Aktien ankauft. Alles ist denkbar.

Damit hat die Geldpolitik zwar die Liquiditätsproblematik behoben, das drohende Solvenzproblem allerdings nicht. US-Unternehmen sitzen auf rekordhohen Schuldenbergen, die sich auf schätzungsweise 50 bis 75 Prozent des BIP belaufen. Einige dieser hoch verschuldeten Unternehmen werden in einem wachstumsschwächeren Umfeld, in dem sie mit einer Auslastung von vielleicht nur 30 bis 50 Prozent arbeiten müssen, schlicht nicht überleben können. Selbst wenn die Regierungen weitere Konjunkturpakete schnüren sollten, werden diese Unternehmen vor dem großen Problem stehen, dass die Nachfrage vermutlich sinken wird. Die Beschäftigungsaussichten sind zu unsicher und private Haushalte wie auch Unternehmen dürften aus Vorsicht künftig mehr sparen und weniger ausgeben. Nach der Liquidierungsphase im März rechnen wir daher im weiteren Jahresverlauf mit einer Insolvenzphase, wenn mehr Unternehmen zahlungsunfähig werden und die Umschuldungen beginnen.

2. In welchem Szenario ist es sinnvoll, stärker ins Risiko zu gehen?

Wir haben das Anleiherisiko unserer Strategie bereits hochgefahren. Die Allokation in Investment-Grade-Anleihen betrug vor der Krise rund 9 Prozent und ist seither auf etwa 16 Prozent erhöht worden. Angesichts der Zusage der Politik, „alles zu tun, was nötig ist“, um die Unternehmen finanziell abzusichern, wäre eine Short-Position in Unternehmensanleihen kaum zu rechtfertigen. Deshalb haben wir die mit 10 Prozent gewichteten CDS Short-Positionen in den US-amerikanischen und europäischen High-Yield- und Investment-Grade-Märkten im März aufgelöst, als fiskal- und geldpolitische Stimulusmaßnahmen wahrscheinlich erschienen. Wir haben die Schwächephase der Märkte genutzt, um bonitätsstarke Investment-Grade-Anleihen von Unternehmen mit einer soliden Umsatz- und Profitabilitätsbasis zu kaufen, die gut aufgestellt erscheinen, um diesen Konjunkturzyklus zu überstehen. Dazu gehören Anleihen von Unternehmen wie McDonalds und AB InBev. Außerdem haben wir unsere Position in Tesco aufgestockt – wir nennen dies unser „Bier und Burger“-Thema. Im High-Yield-Bereich setzen wir auf defensivere Senior Secured Loans und Anleihen der Ratingklasse BB – wobei der Fokus auch hier auf unserer Ansicht nach konjunkturresistenten Unternehmen wie Netflix, Virgin Media und Pinewood Studios liegt. Wir nutzen jede Marktschwäche, um hochwertige Unternehmensanleihen nachzukaufen.

Der Grund für die mit rund 6,5 Jahren unveränderte Gesamtduration ist, dass wir die Allokation in länger laufenden, bonitätsstarken US-amerikanischen und australischen Staatsanleihen zur Deflationsabsicherung beibehalten haben. Die Entwicklung der Anleihenrenditen hängt letztlich von den Wachstumserwartungen ab. Wir glauben, dass die Zehn-Jahres-Rendite in den USA mit der Zeit in Richtung 0 Prozent oder sogar ins Minus tendieren wird, wenn die problematischen globalen Wachstumsaussichten in den Fokus rücken. Zu einer gewissen Erholung wird es unweigerlich kommen. Mit der Überschuldung und der gesellschaftlichen Alterung sind aber zwei starke strukturelle Treiber weiterhin intakt. Da sie zu einer massiven Ausweitung der globalen Staatsverschuldung führt, hat die Reaktion auf die Pandemie die Schuldenproblematik sogar noch verschärft.

3. Bullish für den US-Dollar: Wird das Ausmaß der geld- und fiskalpolitischen Stimulusmaßnahmen in den USA dem Dollar mittelfristig schaden?

Nein, weil die Geld- und Fiskalpolitik überall sehr expansiv ist, nicht nur in den USA. Außerdem sollten die aktuell auf rund 13 Billionen US-Dollar geschätzten ausstehenden Dollar-Auslandsschulden der Schwellenländer den Dollar stützen.(1) Wenn der Abschwung in diesen Ländern erst einmal einsetzt und sie ihre Zinsen senken, werden ihre Währungen abwerten. Damit wird es schwerer für diese Länder, ihre US-Dollar-Schulden zu bedienen. Hinzu kommt, dass durch den Lockdown in den USA einfach weniger Dollar in den Rest der Welt fließen. Daher glauben wir, dass der Dollar mittelfristig stark bleiben wird, auch wenn wir mit einer gewissen Volatilität rechnen.

Längerfristig könnte der Status des US-Dollars als globale Reservewährung gefährdet sein, wenn der Greenback immer weiter aufwerten sollte. 1985 beschlossen Frankreich, die Bundesrepublik Deutschland, Japan, Großbritannien und die USA mit Unterzeichnung des Plaza-Abkommens die Abwertung des Dollars. Ich wäre nicht überrascht, wenn etwas Ähnliches erneut passieren würde, zumal China den USA ihre globale Vormachtstellung streitig macht. Ein solcher Schritt dürfte aber noch in weiterer Ferne liegen.

4. Sollte man Schwellenländer komplett meiden?

Wir sehen die Schwellenmärkte tatsächlich kritisch. Viele dieser Länder haben mit dem starken Dollar, den sinkenden Rohstoffpreisen und dem schwächeren Wachstum in China zu kämpfen. Außerdem verfügen sie nicht über die gleiche Infrastruktur wie der Westen, um die negativen Folgen der Covid-19-Pandemie zu bewältigen. Über einen Schuldenerlass für die ärmsten Schwellenländer wird weiter diskutiert, und wir denken, dass dies zunehmend Sorgen bereiten wird.

Ein weiterer großer Sorgenfaktor für die Schwellenländer ist der komplett zum Erliegen gekommene Tourismus. Der Tourismus hat einen Anteil von rund 10 Prozent am globalen BIP. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 dauerte es sieben Jahre, bis die Airline-Industrie und die Reiseausgaben wieder auf das Niveau zurückkehrten, auf dem sie sich in der Spitze vor diesem Schock bewegt hatten. Wie sehr sich die Konsumgewohnheiten durch die Corona-Krise geändert haben, lässt sich noch nicht sagen. Auch Vergleiche mit einem Ereignis wie 9/11 sind schwierig, aber der Einbruch des Tourismus dürfte die Schwellenländer und die Weltwirtschaft insgesamt noch einige Zeit belasten.

In unserer Strategie sind die Schwellenländer mit rund 10 Prozent gewichtet. Wir halten eine mit 1 Prozent gewichtete Short-Position in Schwellenländeranleihen über CDS. Aufgrund der hohen Abhängigkeit der ägyptischen Wirtschaft vom Tourismus haben wir unsere Allokation in ägyptischen Staatsanleihen in lokaler Währung zurückgefahren. In den Schwellenmärkten legen wir den Fokus auf Themen, die auch während der aktuellen Krise Bestand haben dürften. Unser Ausblick für die Anleihen von Proteinproduzenten ist weiterhin sehr konstruktiv – die globale Nachfrage nach Rindfleisch und Geflügel von Produzenten in Ländern wie Brasilien ist unverändert hoch. Außerdem haben wir ein gewisses Exposure in US-Dollar-Staatsanleihen von Schwellenländern mit kürzerer Duration, zum Beispiel in der Ukraine, wo wir mit finanzieller Unterstützung durch den IWF rechnen.

5. Könnte es – vor allem angesichts der aggressiven geld- und fiskalpolitischen Stimulusmaßnahmen – zu einer Rückkehr der Inflation kommen, wenn sich die Pandemie-Situation entspannt und die Lockdowns enden?

Wir werten die enormen Rettungspakete weniger als direkte Stimulusmaßnahmen und eher als Versuche, Produktionsausfälle in einer stillstehenden Wirtschaft zu kompensieren: Die Weltwirtschaft hängt am Tropf.

Diese Maßnahmen haben zwar geholfen, die Märkte zu beruhigen. Wir sind aber überzeugt, dass der enorme, virusbedingte Angebots- und Nachfrageschock in den kommenden Monaten unweigerlich zu mehr Zahlungsausfällen von Unternehmen, Zahlungsrückständen bei Verbraucherkrediten und einer Verschärfung der Arbeitslosigkeit führen wird. Mit Lockerung der Lockdown-Maßnahmen könnte die Wirtschaftsaktivität wieder anziehen, wenn die Verbraucher aufgeschobene Käufe tätigen und auch wieder Cafés und Restaurants besuchen. Wir glauben aber nicht, dass diese Effekte ausreichend stark sein werden, um zu einer deutlich höheren Inflation zu führen. Angesichts der sich verschlechternden Beschäftigungssituation und des Risikos einer zweiten Infektionswelle dürften sowohl die Verbraucher als auch die Unternehmen mehr sparen und weniger ausgeben, was per se deflationär wirkt.

Darüber hinaus müssen die Managementteams der unter Druck stehenden Unternehmen ihre Betriebs- und Investitionsausgaben senken, um die Liquidität zu sichern und eine Insolvenz zu vermeiden. Mit Anpassung der Kostenstrukturen der Unternehmen an die neuen Gegebenheiten ist auch zunehmend unwahrscheinlich, dass es zu einem Aufwärtsdruck auf die Löhne kommen wird. Falls die Arbeitslosenrate erhöht bleibt und die Beschäftigten wenig oder überhaupt keine Druckmittel haben, wird der Konsum stark nachgeben. Die jüngsten Daten signalisieren dies bereits. In der Regel brauchen Unternehmen, Arbeitskräfte und Verbraucher nach einer Krise lange, um sich zu erholen. Das spricht dafür, dass dieser deflationäre Nachfragerückgang noch einige Zeit anhalten wird.

Da die Regierungen und Zentralbanken weiter signalisieren, dass sie tun werden, „was immer nötig ist“, um die Volkswirtschaften in Gang zu halten, rechnen wir mit weiteren Stimulusmaßnahmen, wenn sich das volle Ausmaß der wirtschaftlichen Schäden im weiteren Jahresverlauf und darüber hinaus erst einmal in den Konjunkturdaten niederschlägt. Die Geldpolitik stößt schon jetzt an ihre Grenzen. Daher könnten die Notenbanken auf breiterer Basis zu unkonventionellen Maßnahmen wie die Zinskurvensteuerung oder Negativzinsen greifen. Letztlich ist sogar der Einsatz von Instrumenten wie der modernen Geldtheorie (Modern Monetary Theory – MMT) oder Helikoptergeld denkbar.

Wir sind überzeugt, dass die deflationären Kräfte kurzfristig die Oberhand haben werden. Auf längere Sicht könnten aber auch potenziell inflationär wirkende Maßnahmen ergriffen werden. Auch das müssen wir im Blick behalten. Falls die Inflation zu einem nennenswerten Sorgenfaktor werden sollte, würden wir unsere flexible Strategie so auszurichten, dass sie in einem derartigen Umfeld gut performen kann. Wir glauben aber, dass dieser Zeitpunkt noch mehrere Jahre in der Zukunft liegt. Bis dahin halten wir angesichts der weiterhin deflationär wirkenden Kräfte – der Überschuldung und der gesellschaftlichen Alterung – eine bedeutende Position in Staatsanleihen mit AAA Rating sowie sehr selektive und defensive Positionen in Unternehmensanleihen.

(Jupiter)

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