Der Trend zur nachhaltigen Kapitalanlage hat eine lange Geschichte. Waren es zunächst kirchliche Inves- toren und Stiftungen, die das Thema vorantrieben, übernahm Mitte der 1990er-Jahre die Asset-Manage- ment- Branche die Rolle des Impulsgebers. Vor allem große Investmenthäuser schrieben sich das Thema auf die Fahnen und brachten zunehmend mehr Produkte und Strategien auf den Markt. Als dritter Player betrat dann die Politik die Arena. Sie hatte erkannt, dass der erforderliche nachhaltige Umbau der Wirt- schaft ohne Regulierung vermutlich zu langsam vonstattengehen würde. Dass es ihr damit ernst ist, zeigt unter anderem der Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums der Europäischen Union. Mit den darin enthaltenen Maßnahmen dokumentierte die europäische Politik ein Maß an Handlungsfähig- keit und Schnelligkeit, welches ihr mancher so nicht zugetraut hätte.
ESG-REGULIERUNGSMOTOR AUF HOCHTOUREN
Der Aktionsplan der EU ist allerdings nur eine von vielen regulatorischen Maßnahmen, die in den ver- gangenen Jahren weltweit in Kraft gesetzt worden sind. Wer einen Eindruck über Ausmaß und Vielfalt der Regulatorik bekommen möchte, kann dies auf der Website der Investorenorganisation Principles for Responsible Investment (PRI) tun.* Dort haben die PRI-Experten ihren Kenntnisstand zur globalen ESG-Regulatorik öffentlich gemacht. Übersichtlich aufbereitet nach Jahreszahlen, Ländern, Institutionen und Inhalten finden sich dort weit über tausend direkte oder indirekte Gesetzesinitiativen, die Investoren unterstützen oder verpflichten, langfristige Werttreiber einschließlich ESG-Kriterien bei der Kapitalanlage zu berücksichtigen. Erkennbar wird dabei auch, dass der Zug der Regulatorik vor rund 15 Jahren Fahrt aufgenommen hat und vor allem in den vergangenen Jahren immer schneller geworden ist (siehe Grafik).
Aus Sicht der PRI ist das nicht verwunderlich.
Für deren Experten steht fest, dass die Eingriffe der Politik weiter zunehmen werden.
Und zwar in dem Maße, wie erkennbar wird,
dass die gegenwärtigen Maßnahmen zum nachhaltigen Umbau der Wirtschaft nicht den gewünschten Erfolg bringen. Insbesondere mit Blick auf die international vereinbarten Klimaziele ist daher mehr Regulatorik zu erwarten. Denn längst ist klar, dass die Welt bei der Begrenzung der Erd- erwärmung nicht schnell genug vorankommt. Hier bleibt viel zu tun, auch für Asset Manager.
MAHNUNG AUS DER ERSTEN REIHE
Der Handlungsbedarf wird zunehmend auch in der Investmentbranche erkannt. Jüngstes prominentes Beispiel hierfür ist Jean Raby. Der Franzose ist nicht irgendwer, sondern Chef von Natixis Investment Managers, einem der 20 größten Fondshäuser weltweit mit einem verwalteten Vermögen von derzeit gut einer Billion US-Dollar. Aus Sicht von Raby steht die nachhaltige Kapitalanlage gegenwärtig an einem kritischen Punkt. Es drohe die Gefahr, dass ESG zu einem Muster ohne tatsächlichen Wert verkomme.
„Wir dürfen nicht zulassen, dass die Integration von ESG-Kriterien zu einer marketinggetriebenen Pflicht- übung für Investoren wird. Es geht nicht darum, ESG Kästchen abzuhaken“, sagte Raby erst kürzlich im Gespräch mit der britischen Finanzpublikation Financial News.
Vielmehr müsse es darum gehen sicherzustellen, dass ESG einen nachweisbaren Nutzen sowohl für die spezifischen Portfolioanforderungen der Investoren als auch für deren individuelle ESG-Ziele leisten könne. Damit legt Raby den Finger in eine Wunde, welche alle Beteiligten zunehmend schmerzt. Denn noch fehlt es vielfach an einheitlichen Standards, mit deren Hilfe Investoren die Wirkkraft ihrer ESG-Investments verlässlich beurteilen können. Einige Ansätze zur Behebung des Problems sind bereits unternommen worden, etwa mit der Task Force zur Offenlegung von klimarelevanten Daten in den Geschäftsberichten der Unternehmen. Auch die eingangs erwähnte EU-Taxonomie ist ein wichtiger
Schritt in die richtige Richtung. Diesem müssen allerdings noch weitere folgen. Hier sieht Raby auch die Investmentbranche in der Pflicht. Diese könne die Herausforderung zwar nicht alleine meistern. „Angesichts der Komplexität der Herausforderung ist es daher wichtig, dass wir uns stärker als bisher mit Politik, NGOs und Investoren vernetzen, um an Lösungen mitzuarbeiten.“
DAS PROBLEM DER STANDARDS
Welche Bedeutung das Fehlen allgemeingültiger ESG-Standards hat, zeigt sich zum Beispiel daran, dass selbst spezialisierte Rating-Agenturen ein und denselben Sachverhalt aus ESG-Sicht mitunter höchst unterschiedlich bewerten. Auch darüber, welche ESG-Strategien letztlich zum Ziel führen, herrscht mitunter keine Einigkeit.
Während ESG-Puristen den Nutzen etwa von Best-in-Class-Ansätzen verneinen, gestehen ESG-Pragma- tiker diesem Verfahren durchaus eine Wirkung zu. Angesichts der Komplexität der Materie und den durchaus berechtigten unterschiedlichen Präferenzen von Investoren ist eine vollständig einheitliche Sichtweise nicht zu erwarten und wohl auch nicht wünschenswert. Denn Standards bergen stets auch die Gefahr, zu viele unterschiedliche Aspekte gewaltsam unter einen Hut bringen zu wollen.
Dennoch kommt man an der Erkenntnis nicht vorbei, dass am Markt gegenwärtig offenbar ein zu großer Interpretationsspielraum in Sachen ESG besteht. Dass dies Probleme mit sich bringt und die qualitative Weiterentwicklung des Marktes behindert, ist evident. Vielleicht spielte die Interpretationsvielfalt auch eine Rolle bei der jüngsten Kritik am weltweit größten Vermögensverwalter BlackRock. Vor einem Jahr hatte dessen Chef, Larry Fink, in einem offenen Brief an Investoren erklärt, bei den ESG-Anforderungen an Portfoliounternehmen künftig noch strenger hinzuschauen. Zu vollmundig sei dieses Versprechen gewesen, urteilt jetzt ein gemeinsamer Bericht, der im Januar von Urgewald aus Deutschland und Reclaim Finance aus Frankreich vorgelegt worden ist. Das Fazit der NGOs: Die Ankündigung, nicht mehr in Firmen mit „hohem Risiko in Sachen Nachhaltigkeit“ zu investieren, habe das Investmentgeschäft von BlackRock bisher kaum beeinflusst.
(MEIN GELD)