Das britische Pfund zum Beispiel hat handelsgewichtet bereits stark an Wert verloren, obwohl der Termin für das Referendum noch nicht einmal feststeht. Auch wenn EU-Ratspräsident Donald Tusk mit seinem jüngst vorgeschlagenen Reformpaket der britischen Regierung entgegenkommt, ist ein Brexit noch nicht vom Tisch. Die EU-Regierungen müssen den Vorschlägen erst zustimmen und beraten darüber beim EU-Gipfel am 18. und 19. Februar in Brüssel. Sujay Shah, Fondsmanager im Global Rates Team bei BMO Global Asset Management, erläutert Risiken und Auswirkungen eines möglichen Brexit im Interview.
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit für einen EU-Austritt Großbritanniens?
Sujay Shah: Nach einem jüngst ermittelten Durchschnitt aus sechs Umfragen wird das Rennen denkbar knapp: 51 Prozent der Briten würden derzeit für und 49 Prozent gegen den Verbleib in der EU stimmen. Die Umfrageergebnisse sind damit so eng wie nie zuvor. Interessant ist dabei die Antwort auf folgende Frage: „Wie würden Sie abstimmen, wenn die britische Regierung die Bedingungen der EU-Mitgliedschaft neu verhandeln und erklären würde, dass die Interessen Großbritanniens jetzt geschützt sind?“ In diesem Falle läge die Zustimmung zum EU-Verbleib bei satten 60 Prozent. Meiner Meinung nach wird die Entscheidung zugunsten eines Verbleibs in der EU ausfallen, wenn auch nur knapp.
Welche wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen hätte ein Brexit?
Shah: Die wirtschaftlichen Auswirkungen eines Brexit sind extrem schwer zu fassen, weil hierzu unterschiedliche Aspekte quantifiziert, ungewisse Entwicklungen prognostiziert und enorm viele Annahmen getroffen werden müssen. Die von diversen Studien vorhergesagten Effekte einer britischen EU-Mitgliedschaft sind daher sehr unterschiedlich. Der Effekt einer – weiterhin bestehenden – EU-Mitgliedschaft gemessen als Anteil am BIP rangiert dabei in verschiedenen Studien zwischen -5 Prozent und +20 Prozent. Sollte Großbritannien die EU verlassen, bedeutet das im Umkehrschluss einen Effekt auf das BIP, der zwischen +5 Prozent und -20 Prozent liegen kann. Nach einem Brexit käme es vor allem darauf an, wie die künftigen Handelsbeziehungen ausgestaltet werden. Auch politisch könnte ein Brexit in Großbritannien spürbare Auswirkungen haben. Denkbar wäre etwa ein Wechsel auf dem Posten des Premierministers, was Austrittsverhandlungen erschweren könnte. Außerdem hat der schottische Ministerpräsident bereits angekündigt, dass Schottland nach einem Brexit unter Umständen erneut über die Unabhängigkeit abstimmen werde.
Wie würde sich der Brexit auf die Finanzmärkte auswirken?
Shah: Die vielen wirtschaftlichen Unklarheiten im Zusammenhang mit einem Brexit würden fast zwangsläufig dazu führen, dass die Bank of England den Zinserhöhungszyklus vertagt. Schon jetzt rechnen die Märkte erst Mitte 2017 mit Zinserhöhungen in Großbritannien. Trotz des sich kontinuierlich aufhellenden Klimas am Arbeitsmarkt in Großbritannien, könnte die Zentralbank angesichts niedriger Produktivität und Inflation ihre Politik sogar weiter lockern, wenn es tatsächlich zum Brexit käme. In Erwartung steigender Risikoprämien und aufgeschobener Zinserhöhungen oder sogar Zinssenkungen dürfte wohl auch das britische Pfund kurzfristig erheblich an Wert verlieren. Wie es danach mit der Währung weitergeht, wird davon abhängen, wie Großbritannien sein hohes Leistungsbilanzdefizit und die ausländischen Direktinvestitionen in den Griff bekommt. Britische Aktien könnten unter den sich eintrübenden Wachstumsaussichten leiden. Da ausländische Investoren 50 Prozent des britischen Aktienmarktes ausmachen, würden die Risikoprämien vermutlich steigen. Dabei wären britische Standardwerte vergleichsweise weniger betroffen als Nebenwerte, weil erstere stärker mit den Rohstoffmärkten als mit dem Zustand der britischen Wirtschaft korreliert sind.
Wie sieht es mit dem Anleihenmarkt aus?
Shah: Wie sich britische Staatsanleihen entwickeln, ist schwer vorherzusagen. Möglicherweise wollen sich Anleger im Falle eines Brexit weiterhin am britischen Zinsmarkt engagieren, um von einer potenziellen Lockerung der Geldpolitik zu profitieren. Denkbar ist aber auch, dass sie der britischen Regierung nur ungern Geld leihen wollen, besonders wenn sich die Schuldendynamik weiter verschlechtert. Nicht zuletzt ausländische Anleger, die in britischen Staatsanleihen investiert sind, befürchten angesichts der hohen britischen Schuldenquote und des hohen Leistungsbilanzdefizits im Falle eines Brexit negative Auswirkungen auf ihre Portfolios. Tatsächlich ist das ausländische Engagement in britischen Staatsanleihen schon im dritten und vierten Quartal 2014 im Zusammenhang mit dem schottischen Referendum und vor den britischen Unterhauswahlen um 3,5 Prozent gefallen und hat sich bis jetzt nicht wieder erholt. An den Märkten für Sovereign Credit Default Swaps haben sich einige Akteure klar für einen Brexit positioniert und sorgten damit dafür, dass die Prämien um ein paar Basispunkte gestiegen sind. Die Grundannahme ist hier, dass die nachteiligen wirtschaftlichen Auswirkungen eines Brexit und das sinkende Engagement ausländischer Anleger der Kreditwürdigkeit Großbritanniens schaden.