Nachhaltigkeit ist nach wie vor in aller Munde, allerdings nicht mehr einzig als „Topseller“ für die Fondsbranche oder Trend der letzten Jahre Dass es kein „Trend“ ist, sondern das Thema bleibt und sich zur Selbstverständlichkeit entwickeln wird, darüber besteht Einigkeit. Gründe für den derzeitigen Zwiespalt sind nach unserer Auffassung nicht nur die regulatorische Komplexität, sondern auch die Bedeutung von ESG-Daten und die Rolle von ESG-Datenanbietern. Oft werden diese pauschal als „ESG-Ratings“ bezeichnet, was meiner Ansicht nach nicht ganz stimmt.
Bereits Ende 2020 sorgte eine akademische Studie für Aufsehen: „Aggregate confusion“ lautete diese – und stellte unter anderem heraus, dass die Gesamt-Ratings der großen ESG-Datenanbieter für den gleichen Emittenten stark voneinander abweichen. Viele nahmen den Titel der Studie für wörtlich und sehen ESG-Daten noch immer als „verwirrend“ an. Ist das so? Schauen wir doch auf Einschätzungen von Aktienanalyst: innen: buy vs. hold vs. sell. Sind die sich alle einig? Gewiss nicht – viele wollen auch mal „gegen den Strom schwimmen“ und stehen im Wettbewerb zueinander. Genauso wie ESG-Einschätzungen. Auch der Unterschied zu Kreditratings wurde oftmals herausgestellt – letztere messen allerdings völlig andere Aspekte. Bei einem Kreditrating sind oftmals nur zwei Aspekte ausschlaggebend: die Wahrscheinlichkeit, dass Zinszahlungen geleistet werden können beziehungsweise der Kredit bedient werden kann und die Wahrscheinlichkeit, dass eine Firma insolvent ist. Die Bewertung von Nachhaltigkeitsattributen ist multidimensional (bis zu 10.000 Datenpunkte pro Firma) und oftmals subjektiv. Die Komplexität ist aufwendig und kostet Geld. Dazu kommen noch die Außendarstellungen der Firmen selbst. Es gibt beispielsweise keine offiziell anerkannte Liste von Firmen, die schwerwiegend gegen den
Global Compact der Vereinten Nationen verstoßen haben. Dem liegen Meinungen der einzelnen ESG-Häuser zugrunde – bisweilen kann dies auch politisch werden (siehe Volkswagen in China oder Amazon in den USA).
Das Gesamt-Rating eines ESG-Datenanbieters wird fast nie ausschließlich verwendet – immer in Kombination. Vorschnelle Urteile sind hier fehl am Platz. Daher sollte die im Februar 2024 von der BaFin publizierte Studie nicht dazu führen, dass wir den ESG-Datenanbietern misstrauen – es gibt schließlich kaum eine operativ umsetzbare Alternative – sondern sollten uns über deren Mehrwert freuen und die Transparenz, die diese mitbringen. Natürlich sollten jegliche Methoden transparent und dokumentiert sein – daher ist die nahezu finalisierte Richtlinie der ESMA richtig. Da liegt in meinen Augen eher die Verantwortung bei den Nutzern der Daten – sie sollten Prozesse und vor allem Personal haben, um diese Vielzahl an Daten sinnvoll zu verstehen und für sich zu nutzen. Anstatt sich voreilig zu beschweren.
Spannend wird es jedoch werden, wenn in Zukunft unter dem sogenannten European Single Access Point (ESAP) eine einheitliche Plattform geschaffen wird, in die die betroffenen Konzerne direkt ihre relevanten Daten aus Geschäftsberichten etc. einmelden werden. Das wird aber erst Ende dieses Jahrzehntes operativ nutzbar sein. Solange müssen wir mit dem auskommen, was da ist und proaktiver die Daten nutzen und deren Mehrwert erkennen.
DR. ROBIN BRAUN