Globalisierung bedeutete für eine lange Zeit, dass sich die Weltwirtschaft immer stärker verzahnt, dass Wertschöpfungsketten weltweit aufgeteilt und so komparative Vorteile in der Produktion von Gütern und Dienstleistungen ausgenutzt werden. Jedes Land würde vermehrt das herstellen, was es besser oder billiger kann als andere. Statistisch hat sich dieser Trend dadurch gezeigt, dass der Welthandel stärker steigt als die eigentliche Produktion. Und dies ist seit einiger Zeit nun nicht mehr zu beobachten. In den drei Monaten bis Oktober sind die Welthandelsvolumina im Vergleich zum Vorjahr nur noch um 1,3% angestiegen, während vor der Finanzkrise noch Werte von 5% und mehr normal waren. Der in US-Dollar gemessene Wert der Handelsströme ist nun sogar absolut geringer als vor einem Jahr, da auch die Preise der gehandelten Güter rückläufig gewesen sind. Dies gilt übrigens für die Importe und Exporte aller Ländergruppen und ist sehr ausgeprägt für Rohstoffe, aber auch für hergestellte Güter. Das liegt sicherlich zum Teil an dem höher bewerteten US-Dollar und niedrigeren Rohstoffpreisen, mag aber auch ein Ausdruck der schwachen globalen Nachfrage sein.
Die verstärkte Integration Chinas in die Weltwirtschaft seit dem Beitritt zur Welthandelsorganisation in 2001 hatte sicherlich die Handelsströme zusätzlich stimuliert. Ein schwächeres Wachstum in China kann daher auch einen etwas schwächeren Welthandel erklären, nicht aber dass der Welthandel nun schwächer wächst als die Weltindustrieproduktion. Hierfür muss es andere Gründe geben. An hohen Frachtraten dürfte es kaum liegen, da niedrige Energiepreise und hohe Überkapazitäten in der Containerschifffahrt die Handelskosten deutlich gesenkt haben. Möglicherweise spielen sonstige nicht-tarifäre Handelshemmnisse eine Rolle – also die Regulierungsanforderungen, denen Importe eines Landes unterliegen. In jedem Fall geht der schwächere Welthandel mit einem anderen, politischen Trend einher – dem einer stärkeren Rückbesinnung auf die eigene Region. Statt verstärkter politischer Integration und Vernetzung ist vor allem in Europa ein Regionalisierungstrend zu beobachten. Ob in Katalonien, Schottland, Finnland oder UK – die Attraktivität überregionaler Einheiten nimmt ab, was sich gewöhnlich auch in einer stärkeren ökonomischen Autonomie ausdrückt.
Die zunehmenden Spannungen mit Russland seit der Ukraine-Krise werden dafür vor allem in Osteuropa ein Grund sein. Ein anderer dürfte die schwächere Rolle der USA als einzige globale Hegemonialmacht sein, die Welt nach ihren Vorstellungen zu ordnen. Die stärkere Binnenorientierung der einzelnen Wirtschaftsräume und die damit einhergehende unterdurchschnittliche Handelsentwicklung haben eine lange Zeit unterschätzte aber logische Konsequenz: Eine zunehmende internationale Migration. Die Außen- wirtschaftstheorie zeigt, dass internationaler Handel zu einer stärkeren Angleichung der Lohnniveaus führt. Wenn Handel nicht möglich ist, wäre die Migration der Arbeitskräfte ein Substitut, das zur selben Lohnangleichung führen könnte. Wer die zukünftigen Migrationsströme verringern möchte, sollte sich daher für eine zunehmende Liberalisierung des Welthandels einsetzen.
Von Karsten Junius, Chefökonom, Bank J. Safra Sarasin AG