Ihr Unternehmen ACATIS ist dieses Jahr 30 Jahre alt geworden. Wie fühlen Sie sich, Herr Dr. Leber?
HENDRIK LEBER: Ich fühle mich munter und habe das Gefühl, ich würde am liebsten noch 30 Jahre weitermachen. Für mich ist der Weg das Ziel. Es macht mir Freude, die Firma von Jahr zu Jahr ein wenig weiterzuentwickeln.
Der älteste Fonds von ACATIS, der ACATIS Aktien Global Fonds, wird nun bereits seit 27 Jahren von Ihnen als Manager betreut. Können Sie uns beschreiben, was Sie im Laufe der Jahre getan haben?
HENDRIK LEBER: Ja, ich habe damit begonnen, die Weisheiten von Warren Buffett, den ich zuvor in Omaha kennengelernt hatte, in einen Fonds zu übertragen. Da waren viele sehr stetige Firmen dabei, die wir vermutlich nie hätten verkaufen müssen und sie bis heute hätten halten können. Dann lernte ich schnell die Abenteuer der New Economy kennen und tätigte einige interessante Investments in der Biotechnologie, die sich hervorragend entwickelten. Anschließend kam die erste schwierige Phase, der Crash des Neuen Marktes und die Anschläge vom 11. September, die uns etwa drei Jahre lang belasteten. Mit dem Aufbau eines professionellen Vertriebs wuchs der Fonds weiter. Die nächste Krise in den Jahren 2007 und 2008 meisterten wir gut vorbereitet und glimpflich. Im Laufe der Zeit habe ich den Stil des Fonds geändert von einem hochkonzentrierten Portfolio mit 36 Titeln (wir nannten es die „6×6 Strategie“) zu einem breiter aufgestellten mit 50 Titeln, wobei wir Aktien auswählten, die verlässlich gute Gewinne erzielen. Eine große Änderung kam um 2016, als wir entschieden, Warren Buffett nicht mehr sklavisch zu kopieren, sondern im Stil von „Warren Buffett 2.0“ vorzugehen. Seitdem investieren wir auch in Firmen der Internetökonomie, was uns sehr gutgetan hat.
Sie erwähnten gerade Warren Buffett. Sie reisen auch fast seit 30 Jahren nach Omaha zur Hauptversammlung von Berkshire Hathaway. Was zieht Sie dorthin?
HENDRIK LEBER: Anfangs beeindruckten mich die Weisheiten von Warren Buffett und Charlie Munger. In den letzten Jahren genieße ich zunehmend die Freude, andere Value-Investoren zu treffen und Energie zu tanken. Früher war die Besucherzahl überschaubar, man konnte direkt Fragen stellen, und ich konnte an der Pressekonferenz teilnehmen. Die Antworten waren damals inhaltsschwer und weitsichtig. Im Laufe der Jahre wurden die Antworten immer politischer oder immer weniger angreifbar, immer genereller und allgemeiner. In den letzten drei Jahren sind Buffetts konkrete Aussagen deutlich zurückgegangen, aber die Freude, rund 40 000 andere Investoren zu treffen und sich auszutauschen, bleibt.
Ihr Portfoliomanagement-Team umfasst zurzeit mit Ihnen zusammen etwa neun Personen, dazu kommen einige externe Berater und Research-Analysten. Wie sehen die weiteren Entwicklungen aus?
HENDRIK LEBER: In den letzten Jahren haben wir einiges unternommen, um die Komplexität unserer Fondslandschaft zu reduzieren. Jetzt stehen neue Entwicklungen an. Künstliche Intelligenz wird für uns immer bedeutsamer, und wir haben bereits mehrere Millionen in die Weiterentwicklung unserer KI-Modelle investiert. Zudem möchten wir stärker auf die Neobanken zugehen und dort Vertrieb machen, um die Self-Directed Investoren zu erreichen, die ihre Entscheidungen in Sekundenschnelle treffen. Darüber hinaus planen wir, zwei neue Fondskonzepte aufzulegen, die es in dieser Form in Deutschland bisher nicht gibt. Das alles wird im nächsten halben Jahr geschehen.
Ihr früherer Partner Faik Yargucu hat sich bereits 2020 zur Ruhe gesetzt. Beneiden Sie ihn manchmal?
HENDRIK LEBER: Ja, meine Frau und ich beneiden ihn schon. Wenn wir ihn mit der gesamten Firma auf seiner Finca in Mallorca besuchen, verstehen wir, dass er einen sehr schönen Lebensstil gefunden hat und ihn genießt. Ich könnte das wahrscheinlich nicht, da mir ohne neue Finanznachrichten schnell langweilig werden würde. Mein Kopf ist immer bei den Finanzmärkten, und ich brauche die Betätigung an der Börse. Ein wichtiger Punkt ist auch, dass viele erfolgreiche Investoren sehr alt werden, übrigens auch große Musiker und Dirigenten. Das motiviert und bestärkt mich, in diesem Beruf zu bleiben.
Welches war Ihre bislang beste Entscheidung?
HENDRIK LEBER: Es gibt natürlich viele gute Entscheidungen bei einzelnen Aktien. Für mich ist die Frage, wie viele Aktien über 500 Prozent Performance gebracht haben, seit ich sie gekauft habe. Da gibt es schon einige. Aber es sind eher die wesentlichen Richtungsänderungen der Firma etwa alle zwei Jahre, die wichtig waren. Diese Anpassungen an die neue Realität waren entscheidend, nicht eine einzelne große Entscheidung.
Und welches war die schlechteste Entscheidung?
HENDRIK LEBER: Es gibt viele schlechte Entscheidungen bei Aktientiteln. Jeder Investor ist froh, wenn er etwas mehr als 50 Prozent richtig trifft. Ein guter Investor trifft nicht zu 100 Prozent richtige Entscheidungen, sondern versucht nur, etwas besser zu sein als der Durchschnitt. Schlechte Entscheidungen waren die, bei denen ich der Meinung anderer Leute gefolgt bin, anstatt meinem eigenen Stil zu vertrauen.
Haben Sie die Ziele erreicht, die Sie sich vor 30 Jahren gesetzt haben?
HENDRIK LEBER: Mein Zeithorizont war damals noch nicht so lang. Meine Planung ging immer etwa zehn Jahre in die Zukunft, und ich habe immer noch meine alten Notizen über die Planung und Zahlen von früher. Die Entwicklung der Firma war langsamer als erwartet, aber stetig. Die aktuell mehr als zehn Milliarden Euro unter Verwaltung entsprechen meinem damaligen Ziel, auch wenn es länger gedauert hat, es zu erreichen.
Wie blicken Sie in die Zukunft? Für die Märkte, die Firma und persönlich?
HENDRIK LEBER:Für die Märkte: Ich sehe eine Vereinfachung durch kennzahlengesteuerte, computergesteuerte und indexgesteuerte Systeme. Der einzelne intelligente Anleger gerät ins Hintertreffen. Das geht bis zu einem bestimmten Punkt. Am Ende dieser Entwicklung werden einige wenige Anleger stehen, die die Vorgaben machen und alle Indexprodukte werden sich daran ausrichten müssen. Ich hoffe, dass nachdenkliche, langfristige Investoren wieder an Bedeutung gewinnen. Für die Firma: Wir haben ein Partnermodell aufgestellt, und ich wünsche mir, dass die Firma in wenigen Jahren ohne mein Zutun verwaltet werden kann. Ich muss nicht im Tagesgeschäft alles machen. Privat: Ich möchte so lange weitermachen, wie es möglich ist, da mir das Investieren Spaß macht. Ich hoffe, ich bin noch lange gut genug für die Aufgabe und kann im richtigen Moment loslassen. Ich muss immer selbstkritisch bleiben.
Letzte Frage: Welche Lebensweisheit würden Sie uns mitgeben mit Ihrer Erfahrung als erfolgreicher Unternehmer?
HENDRIK LEBER:Ein Wort an andere Unternehmer: Produziere Dinge, die andere brauchen und für die sie gerne Geld ausgeben. Schaffe einen Nutzen für andere Menschen. Gehe in der richtigen Schrittweite voran, nicht zu schnell und nicht zu langsam. Habe ein langfristiges Ziel, korrigiere aber immer, wenn du merkst, dass der Weg einen Umweg nimmt. Eine Politik der kleinen Schritte mit einer klaren Zielrichtung und immer mit dem Gedanken, dass auch die Kunden davon profitieren, ist der richtige Weg.
Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch.