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Großbritannien steht am europäischen Scheideweg

Weiterhin Teil des europäischen Projekts oder auf dem Weg in die «Splendid Isolation»? Die Briten stimmen am 23. Juni darüber ab, ob das Land in der Europäischen Union verbleibt oder es die Brücken zu «Brüssel» abbricht.

Aktuellen Umfragen zufolge befinden sich die EU-Befürworter mit 45 Prozent knapp in der Mehrheit. Auf die Gegner entfallen gegenwärtig 40 Prozent und auf die Unentschlossenen 15 Prozent. Ohne voreilige Schlüsse ziehen zu wollen, beleuchten wir im Folgenden die Konsequenzen eines möglichen britischen Austritts aus der Europäischen Union.

Was wären die Konsequenzen eines Ausscheidens Großbritanniens aus der Europäischen Union (EU), eines gemeinhin als «Brexit» bezeichneten Szenarios? Da 45 Prozent der britischen Exporte in die EU gehen, würde ein solcher Schritt für «London» zu erhöhter Regulierungs- und Rechtsunsicherheit führen. Dies würde das Wirtschaftswachstum belasten und die Unternehmen dazu bewegen, ihre Investitionen aufzuschieben. Gleichzeitig dürfte die Verletzlichkeit des Landes infolge des enormen britischen Leistungsbilanzdefizits zunehmen und wahrscheinlich einen weiteren Wertverlust des Pfund Sterling bewirken. Die in der Folge anziehende Teuerung würde die Bank of England (BoE) vor ein heikles geldpolitisches Dilemma stellen. Ein anderer negativer Punkt wäre die absehbare Schwächung Londons als Finanzplatz. Zudem dürften sich die schottischen Wähler, die klar dem Lager der EU-Befürworter angehören, erneut für die Unabhängigkeit ihres Landesteils stark machen. Alles in allem würde ein Sieg der EU-Gegner eine vollständige Umkehrung der britischen Europapolitik seit dem Beitritt des Landes zur Europäischen Union im Jahr 1973 darstellen.

EU würde einen Verfechter des Freihandels verlieren …

Auf den ersten Blick wäre der Brexit für die Europäische Union verkraftbar, denn nur 14 Prozent der gesamten EU-Exporte1 gehen nach Großbritannien. Ein britischer Abschied von der EU hätte jedoch Auswirkungen, die weit über die Handelsbeziehungen hinausgehen. Großbritannien verstand die EU schon immer als gemeinsamen Markt und Freihandelszone. Für Frankreich und Deutschland standen hingegen zuweilen andere Aspekte im Vordergrund. Die kontinentalen Schwergewichte der EU und Brüssel selbst drängen auf eine immer stärkere Integration in den Bereichen Wirtschaft, Währung und Politik.

… und wäre mit verhängnisvollem Präzedenzfall konfrontiert

Die politischen Auswirkungen eines Austritts von Großbritannien sind ebenfalls nicht zu unterschätzen. Es wäre das erste Ausscheiden eines Mitglieds seit der Gründung der EU im Jahr 1957 und ein verheerender Rückschlag für das europäische Projekt. Falls die Briten die mit einem Brexit einhergehende Ungewissheit gegenüber einer in ihren Augen schlecht funktionierenden Union bevorzugen, könnten andere sich ihnen anschließen. Euroskeptische Länder wie Dänemark haben Brüssel bereits verstimmt und könnten weitere Ausnahmen von europäischen Regeln anstreben. Die Flüchtlingskrise, von der die Europäische Union betroffen ist, verleiht dem Ganzen eine zusätzliche Dimension. Sie zeigt, dass die Mitgliedsländer in einer äußerst schwierigen Situation nationalen Reflexen nachgeben und die gemeinsamen Prinzipien der politischen Integration untergraben. Ein britisches Ausscheiden und die daraus resultierende Debatte über die eigentlichen Ziele des europäischen Projekts könnten daher einen Wendepunkt markieren. Dieser könnte eine Neuorientierung der EU in einer Phase auslösen, in der europäische Wähler der Union zunehmend kritisch gegenüberstehen. Die britische Volksbefragung im Juni wird auf jeden Fall ein historisches Ereignis mit potenziell weitreichenden Folgen für die Finanzmärkte darstellen.

Riskante Vermögenswerte auf Erholungskurs

Unterdessen haben sich die Märkte für globale Aktien, risikobehaftete Anleihen und Rohstoffe deutlich von ihren Tiefstständen im Februar erholt, weil die Sorgen der Anleger nachgelassen haben. Erstens deuten die jüngsten US- Konjunkturdaten auf eine Stabilisierung in der Industrie hin. Somit zeigt sich, dass die Rezessionsängste unbegründet waren. Zweitens ist der Rohölpreis nicht auf die von einigen Marktbeobachtern erwarteten 20 US-Dollar pro Fass gesunken, was für Rohstoffexporteure gravierende Konsequenzen gehabt hätte. Ganz im Gegenteil, der Rohölpreis und wichtige Rohstoffe wie Eisenerz oder Kupfer haben sich erholt und stützen die Vermögenswerte aus den Schwellenländern. Schliesslich konnte die Europäische Zentralbank die Furcht vor einem systemischen Risiko zerstreuen, indem sie attraktive langfristige Liquiditätsinstrumente für Banken bereitgestellt hat.

Bis vor Kurzem hielten wir trotz erhöhtem Marktstress an unserer «Übergewichtung» von Aktien und risikobehafteten Anleihen fest, weil die Anleger unseres Erachtens übertrieben pessimistisch waren. Nach der deutlichen Erholung gehen die Anleger nun von einem ausgewogeneren Szenario aus. Dies bedeutet jedoch auch, dass nur noch ein begrenztes Aufwärtspotenzial besteht. Aus diesem Grund verringern wir unsere Aktienquote von einer «Übergewichtung» auf neutral. Ferner haben wir unser Engagement in inflationsgeschützten amerikanischen Staatsanleihen (TIPS) weiter aufgestockt, weil wir das Risiko-Rendite-Verhältnis für attraktiv halten.

Die US-Notenbank scheint die Möglichkeit, dass das Inflationsrisiko die Inflationserwartungen übersteigt, herunterzuspielen. Wir halten dieses Risiko jedoch für nicht trivial. Wir haben bei den Rohstoffen zudem Gewinne mitgenommen, weil sich der Rohölpreis seit seinem Tief im Januar um über 50 Prozent verteuert hat. Den Erlös investieren wir in Hartwährungsanleihen von «Emerging Markets». Schließlich haben wir die kurzfristige Schwäche des US-Dollar genutzt, um erneut eine Währungsposition im «Greenback» aufzubauen, denn wir sind der Meinung, dass auf die einjährige Korrektur eine neue Phase der Dollar-Stärke folgen sollte. Insgesamt bleiben unsere Portfolios in riskanten Vermögenswerten «übergewichtet», wenngleich in einem geringeren Umfang als zuvor.

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