Allen voran geht die US-Notenbank Fed, gefolgt von zahleichen weiteren Notenbanken von Großbritannien bis Australien. Selbst die zögerlichste von allen, die EZB, scheint jetzt – aus deutscher Sicht möchte man sagen „endlich“ – kurz vor entschlosseneren Bremsmanövern zu stehen, wenn auch in keiner Weise mit der Gangart der Fed zu vergleichen. Zahlreiche kürzliche Äußerungen ihrer Ratsmitglieder legen nahe, dass die EZB Ende Juni ihre bereits reduzierten Netto-Anleihenkäufe beenden und dann Ende Juli ihre erste Leitzinsanhebung vornehmen könnte – wenn auch wohl dann noch immer mit einem Einlagensatz im negativen Bereich.
Mit dem Kampf gegen die Inflation tut sich jedoch ein anderes Risiko auf: das einer Rezession. Die Fed warnte schon davor, dass sich die Liquidität an den Märkten weiter verschlechtern könnte. Dies könnte befeuert werden, wenn die Investoren mehrheitlich damit rechnen, dass die Notenbanken übersteuern. Ein solcher, klassischer „Politikfehler“ der Notenbanken würde mit allzu aggressiven Leitzinserhöhungen und Reduzierungen ihrer Bilanzsummen die Wirtschaft in eine Rezession führen. Doch werden es die Zentralbanken, allen voran die US-amerikanische, wirklich soweit kommen lassen?
Tatsächlich dürfte sich das Wachstum der Weltwirtschaft über den Sommer und wohl auch im Herbst angesichts der vorerst anhaltend hohen Inflationsraten – wie jenseits des Atlantiks und der vor dem Hintergrund von Chinas strikter „Null-Toleranz“- Politik anhaltenden Lieferketten-Probleme – abschwächen. Richtig ist auch, dass dies mit einer Verschärfung der Bedingungen für die Finanzierung der Unternehmen einhergeht, denn trotz dieser Wachstumsrisiken scheint die Fed sowohl im Juni als auch im Juli weitere Leitzinserhöhungen um 50 Basispunkte wie bereits schon Anfang Mai anzupeilen – bei gleichzeitigem Entzug von Liquidität: Sie startet ihre Bilanzverkürzung im Juni –, erst mit angezogener Handbremse, ab September dann mit etwa doppelter Geschwindigkeit. Doch gut kapitalisierte US-Banken, robustere Verbraucher- und Unternehmensbilanzen, eine sinkende Verschuldungsquote sowie ein starker Arbeitsmarkt sollten diese Risiken in den USA aufwiegen können.
Und: Die Märkte haben längst hohe Erwartungen an weitere Zinsschritte der Notenbanken eingepreist. Dabei bezweifle ich, dass es nach dem Sommer und auch nächstes Jahr tatsächlich weiterhin zu solch aggressiven Zinserhöhungen kommt. Schließlich ist in den kommenden Monaten mit zwei Entwicklungen zu rechnen, die den Zinserhöhungspfad von Fed & Co. bereits ab Herbst bremsen könnten: erstens die von vielen Frühindikatoren längst angedeutete, anhaltende Abschwächung der Konjunktur und zweitens ein sich – wenn auch langsam – abschwächender Inflationsdruck. Vor allem in den USA sieht es so aus, als habe die Preissteigerung ihren Höhepunkt bereits überschritten. Aber auch wenn sich die Inflationsrate allmählich verlangsamt, wird sie wohl noch einige Zeit über den Niveaus aus der Zeit vor der Pandemie bleiben.
Dabei dürfte letztendlich eine etwas moderatere Inflation in Kombination mit vor allem weniger Wachstum die Zentralbanken dazu veranlassen, ihre aggressive Rhetorik im späteren Laufe des Jahres – oder zu Beginn des nächsten Jahres – abzuschwächen und die Leitzinsen nicht so oft und so stark zu erhöhen wie dies von den Märkten heute erwartet wird. Vor allem die Fed scheint schon jetzt so stark auf der geldpolitischen Bremse zu stehen, dass es durchaus möglich erscheint, dass sie sie auch bald wieder – zumindest leicht – lösen könnte. Denn aus der Geschichte ist sich jede Notenbank des größtmöglichen Fehlers bewusst: die Konjunktur abzuwürgen und ihre Wirtschaft in die Rezession zu führen.
Doch mit einer geschmeidigen Handhabung des Bremspedals sollte eine größere Rezession aus meiner Sicht vermieden werden können. Dies sollte auch den Anstieg der Renditeniveaus an den Rentenmärkten begrenzen. Vor diesem Hintergrund dürften sich die Finanzierungsbedingungen im weiteren Verlauf stabilisieren oder sogar leicht verbessern. Bis dahin könnte jedoch die Marktliquidität in einigen Segmenten angespannt bleiben. Das dürfte für den Sommer gerade im Fall überraschender wichtiger Nachrichten für die Märkte signifikante Schwankungen bedeuten. Anleger sollten sich daher zumindest schon einmal auf einen volatilen Sommer einrichten.
ROBERT GREIL