Welche Rolle könnte die Deglobalisierung spielen? Und haben wir ein falsches Verständnis von Inflation? Die drei Jupiter Experten Ariel Bezalel, Mark Richards und Ned Naylor-Leyland geben Antworten.
Die Inflation hat in den vergangenen 40 Jahren eine bemerkenswerte Entwicklung genommen. Nachdem die US-Notenbank (Fed) in den 1980er Jahren noch voll im Inflationsbekämpfungsmodus war, folgte in den 1990er Jahren eine Phase der Stabilität, in der die Weltwirtschaft weder heiß lief noch zu langsam wuchs. Die Ökonomen prägten für diese Ära den Begriff ‚Great Moderation‘.
In diesem Jahrhundert und vor allem seit der globalen Finanzkrise hadert die Welt dagegen mit deflationären Kräften. Im Euroraum sinken die Preise bereits, während die Inflation in Großbritannien und Japan nur knapp über null liegt. In den USA bewegt sich die Inflation um 1 Prozent und selbst in den Schwellenmärkten ist sie im historischen Vergleich ungewöhnlich gering.
Inzwischen wird aber wieder vermehrt davon gesprochen, dass die Inflation schon bald wieder anziehen könnte, vor allem seit dem jüngsten Strategiewechsel der Fed. Mit der angekündigten flexiblen Steuerung des Inflationsniveaus rund um ein durchschnittliches Inflationsziel hat sich die US-Notenbank de facto dazu verpflichtet, ‚zu tun, was nötig ist‘, um für Vollbeschäftigung zu sorgen – selbst wenn dies bedeuten sollte, dass die Inflation zeitweise über das offizielle Ziel von 2 Prozent hinausschießt. Ein weiterer Faktor ist die Geldmenge. Das schnelle Wachstum der Geldmenge M2 der Fed, die hauptsächlich Finanzanlagen von privaten Haushalten umfasst, ist beispiellos. Theoretisch könnte dies ein Vorbote eines starken Anstiegs der Inflation sein. Eine ähnliche Entwicklung, wenn auch in begrenzterem Maße, war aber auch während der globalen Finanzkrise zu beobachten – und hier entwickelte sich die Inflation anschließend in die entgegengesetzte Richtung.
Haben die deflationären Kräfte weiter die Oberhand?
Ariel Bezalel, Head of Strategy, Fixed Income: „Mit meiner Einschätzung zu wichtigen strukturellen Kräften wie der hohen Verschuldung, den alternden Gesellschaften und der Disruption durch Globalisierung, Technologie und Niedriglohnarbeit gehöre ich seit vielen Jahren dem Lager der Deflationisten an.
Covid-19 hat einige dieser Trends beschleunigt. So kommt die enorme Anhäufung unproduktiver Schulden in diesem Jahr einem Auffangmechanismus für den Unternehmenssektor gleich, anstatt wirklich wachstumsfördernd zu wirken, wie Investitionen in Infrastruktur. Aus diesem Grund hat der deflationäre Druck in diesem Jahr meines Erachtens zugenommen – zum Beispiel durch die negativen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Markt für Gewerbeimmobilien. Zudem glaube ich nicht daran, dass sich die weltweite Tourismusindustrie, die bis zu 10 Prozent des globalen BIP ausmacht, wieder vollständig von ihrem dramatischen Einbruch erholen wird – zumindest nicht für eine sehr lange Zeit. Damit stelle ich mich den zuletzt vermehrten Diskussionen über eine zunehmende Inflationsgefahr entgegen.
Auch die realwirtschaftliche Wirkung der Anleihekäufe durch die Zentralbanken (Stichwort „QE“) sehe ich skeptisch. Meiner Ansicht nach sind diese im Grunde genommen nichts anderes als Asset-Swaps, durch die Barmittel bei der Fed geparkt werden. Die Geschäftsbanken haben keinen Zugriff auf diese Mittel. Daher stellt die konventionelle QE-Politik auch kein bedeutendes Inflationsrisiko dar. Anders sieht es aus, wenn die Zentralbanken den Einsatz alternativer geldpolitischer Instrumente wie dem Helikoptergeld, sprich direkte Zahlungen an Konsumenten, ernsthafter in Erwägung ziehen sollten oder es zu einer dauerhaften Verlagerung hin zur Monetarisierung von Schulden käme. Derartige Schritte hätten klarere inflationäre Auswirkungen.“
Haben die Zentralbanken aufgegeben?
Mark Richards, Strategist, Multi-Asset: „Auch ich sehe zwar die strukturell deflationären Kräfte, die derzeit wirken – gleichzeitig aber auch zum ersten Mal seit mehreren Jahrzehnten schlüssigere Gründe, die für eine künftig höhere Inflation sprechen könnten. Daher gehöre ich eher dem Lager der Inflationisten an.
Ein wichtiger Aspekt ist meines Erachtens die Deglobalisierung. Denn die Auswirkungen des Eintritts Chinas in den globalen Arbeitsmarkt und die globalen Lieferketten Ende der 1990er/Anfang der 2000er Jahre – durch den sich die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer verschlechtert hatte – kommen nun zum Ende. Aktuell wird viel Geld für die Umrüstung von Lieferketten ausgegeben. Dadurch entstehen zusätzliche Kosten im System. Ich sehe zwei wichtige Unterschiede in der politischen Reaktion auf die aktuelle Krise gegenüber der Reaktion auf die globale Finanzkrise: So wirken die Geld- und Fiskalpolitik aktuell in die gleiche Richtung und die Sparpolitik und schwarze Null stehen erst einmal hintenan. Außerdem bahnt sich die Liquidität im System den Weg in Bereiche der Wirtschaft mit einer deutlich höheren Konsumneigung.
Die Zentralbanken haben selbst eingesehen, wie schwierig es in diesem Umfeld ist, die Inflation zu modellieren. Nach 40 Jahren hat das Leitprinzip, dass eine sinkende Arbeitslosigkeit eine höhere Inflation zur Folge hat, ausgedient. Das bedeutet, dass die Zinsen nicht mehr automatisch angehoben werden, wenn mit einer höheren Inflation gerechnet würde, sondern erst dann, wenn sie deutlich und dauerhaft über dem Zielwert läge. Dabei unterschätzen viele die Bedeutung der Inflationserwartungen. In Japan haben sich die Arbeitnehmer daran gewöhnt, dass niedrigere Löhne der Preis für Arbeitsplatzsicherheit sind. Ähnliche Entwicklungen in den USA und Europa würden jetzt deflationär wirken. Andererseits hat die US-Regierung die privaten Einkommen mit ihren Hilfszahlungen während der Krise sogar über das Vor-Covid-Niveau angehoben. Das wiederum hat inflationäre Auswirkungen.
Ich sehe mehrere strukturelle Hürden, die einer höheren Inflation im Weg stehen. Noch lässt sich zwar nicht sagen, ob die Inflation in naher Zukunft zurückkehrt. Die Deglobalisierung und aktuelle Wirtschaftspolitik sprechen aber für eine günstige Entwicklung.“
Stellen wir die richtigen Fragen zur Inflation?
Ned Naylor-Leyland, Head of Gold & Silver: „Ich halte das allgemeine Verständnis der Inflation für verfehlt. Meiner Ansicht nach geht es hier nicht um ein Entweder/Oder, da inflationäre und deflationäre Kräfte gleichzeitig wirken können – was in der Weltwirtschaft aktuell auch zu beobachten ist.
Im monetären Bereich haben rund 40 Jahre einer Geld- und Fiskalpolitik, die Staaten und Unternehmen auf Kosten der Verbraucher gestützt hat, zu Deflation geführt. Dabei würde kaum ein Normalbürger auf die Frage nach seiner Erfahrung mit der Inflation angeben, dass seine Lebenshaltungskosten gesunken sind.
Im Kern dieser Problematik steht die Frage, wie Inflation gemessen wird. Seit den 1980er Jahren ist der traditionell fest definierte Warenkorb, der zur Messung der Inflation verwendet wurde und einen konsistenten Lebensstandard modellierte, durch qualitative Messgrößen ergänzt und wiederholt neu zusammengesetzt worden. Einige dieser Maßnahmen lassen sich als ‚Inflationsauslöscher‘ bezeichnen, die auf die offiziellen Messgrößen angewendet wurden. Die unbereinigten Statistiken basierend auf der Methodik von 1980, könnten wiederum bessere Hinweise auf die tatsächliche Höhe der Verbraucherpreisinflation geben.
Durch diese künstliche Deckelung der offiziellen Inflationsmessgrößen ist die Inflation auf Ebene der Verbraucher unkontrolliert gestiegen – zuletzt zudem in einer Phase, in der die Lohnentwicklung dem ganz sicher nicht entsprochen hat. Dies sehe ich als einen der Faktoren hinter dem Anstieg des Populismus. Letztlich bin ich davon überzeugt, dass die deflationären und inflationären Kräfte gleichermaßen weiter wirken werden und jeweils interessante Anlagemöglichkeiten eröffnen.“
Inflation oder Deflation: Keine einfachen Antworten
Auf die Inflationsfrage gibt es keine einfachen Antworten – zu vielfältig ist die Wirkungsweise von Deflation und Inflation in unterschiedlichen Bereichen der Weltwirtschaft. Die zum Teil übereinstimmenden, zum Teil aber auch unterschiedlichen Ansichten von Ariel Bezalel, Mark Richards und Ned Naylor-Leyland spiegeln auch die aktuellen Diskussionen unter Marktteilnehmern wider. Über eines sind sich alle drei aber einig: Ganz egal, wie es weiter geht, werden sich auch in Zukunft interessante Anlagemöglichkeiten eröffnen.
(Jupiter Asset Management)