Wenn man sich das gegenwärtige Stimmungsbild in der deutschen Wirtschaft ansieht, könnte man fast meinen, das Brexit-Votum hätte es nie gegeben. Der deutsche Einkaufsmanagerindex für die Privatwirtschaft kletterte im Juli entgegen der Erwartungen der Marktteilnehmer auf den höchsten Stand des Jahres – getrieben vor allem vom Stimmungshoch in der Dienstleistungsbranche.
Aber auch der deutschen Industrie geht es Dank der besonders lebhaften Auslandsnachfrage gut: Im abgelaufenen Monat wurde der zweithöchste Zuwachs an Exportbestellungen seit mehr als zwei Jahren verzeichnet. Aber nicht überall in Europa herrscht eitel Sonnenschein. In Frankreichs Unternehmen schaut man neidisch auf die gute Verfassung der Nachbarn jenseits des Rheins. Auch hier hat sich die Stimmung zwar im Vergleich zum Vormonat verbessert. Allerdings bleibt gerade in der französischen Industrie die Stimmung grundsätzlich pessimistisch, was vor allem mit den Streiks zusammenhängt, bei denen weiter gegen die letzte Woche von der Regierung durchgedrückte Arbeitsmarktreform protestiert wird. In Großbritannien zeichnen die ersten Umfragen, die nach dem Referendum durchgeführt wurden, wenig überraschend ein eher schwarzes Bild. Der Einkaufsmanagerindex fiel hier im Juni auf den niedrigsten Stand seit mehr als sieben Jahren.
Entwicklung der Finanzmärkte
An den europäischen Finanzmärkten ist die Laune zuletzt eher mit der von deutschen Einkaufsmanagern vergleichbar gewesen: die Kurse steigen vorsichtig. Der DAX konnte die Marke von 10.000 zuletzt erfolgreich verteidigen. Das hat allerdings kaum mit dem besseren Stimmungsbild in Deutschlands Wirtschaft als vielmehr mit der Aussicht auf das zu tun, was in den kommenden Monaten von Seiten der großen Zentralbanken zu erwarten ist. Die Inaktivität der EZB und der Bank of England in den letzten Tagen und das von uns erwartete Stillhalten der Füße von US-Notenbank und Bank of Japan (trotz der hohen Erwartungen) in dieser Woche sollten dabei nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zentralbanken Gewehr bei Fuß stehen: Da sich aufgrund der weiterhin fortbestehenden politischen Unwägbarkeiten wohl eine Wachstumsdelle in einem ohnehin schon wenig dynamischen Umfeld ergeben wird, scheint eine weitere Lockerung der Geldpolitik nicht nur in Großbritannien und der Eurozone sondern auch in Japan lediglich eine Frage der Zeit zu sein.
Diese Woche könnte sich die positive Stimmung an den Finanzmärkten gerade in Europa allerdings wieder etwas eintrüben. Europas große Banken haben sich nämlich in den letzten Monaten einem umfassenden Gesundheitscheck unterziehen müssen und am kommenden Freitag steht nun die Veröffentlichung der mit Spannung erwarteten Stresstestergebnisse an. Einige Banken in Italien stehen dabei besonders im Fokus, wobei ein düsteres Bild am Markt bereits eingepreist scheint.
In Italien hat sich die Quote der ausfallgefährdeten Kredite seit 2008 vervierfacht und liegt heute bereits um ein vielfaches höher als beispielsweise in den USA während des Höhepunktes der Krise. Das Eigenkapital einiger Institute droht demnach bedrohlich zu schrumpfen. Man muss also kein Experte sein, um zu erkennen, dass es hier ein ernstes Problem gibt – ein Problem, dessen Lösung zudem alles andere als einfach ist. Private Geldgeber sind gegenwärtig kaum bereit, italienischen Banken frisches Kapital zur Verfügung zu stellen. EU-Regeln verbieten außerdem, dass der Staat zur Hilfe eilt, bevor private Gläubiger Banken in Haftung genommen werden. Damit aber noch nicht genug der Dilemmata: In Italien wurden in der Vergangenheit staatliche. Anreize für Kleinanleger gesetzt, damit diese in Bankanleihen investieren. Sollten diese Anleger erneut für die Rettung der Banken geradestehen müssen, kann sich der italienische Regierungschef Renzi ein aus seiner Sicht positives Votum des Volkes bei dem Verfassungsreferendum im Herbst wohl an den Hut stecken. Neuwahlen wären dann vermutlich die Folge, da Renzi den Ausgang des Referendums mit seiner politischen Zukunft verknüpft hat. Dass die eurokritische Fünf-Sterne-Bewegung in den Umfragen derzeit sogar knapp vor der Partei von Renzi liegt, setzt der verzwickten Situation die Krone auf.
Was bedeutet das für Anleger?
An der grundsätzlichen Situation hat sich nichts geändert: Investoren suchen aufgrund der politischen Unsicherheit einerseits weiter nach sicheren Häfen, gleichzeitig aber aufgrund der niedrigen Renditen dieser Titel andererseits nach Vermögenswerten, die noch einen auskömmlichen Ertrag versprechen. Am deutschen Aktienmarkt muss das Motto nach der Erholung der Kurse auf das Niveau von vor dem Brexit heißen: Zurück auf Los! Für weiteres Kurspotenzial nach oben sind aus unserer Sicht in den nächsten Wochen drei Dinge vonnöten. Erstens müsste die Berichtssaison in Deutschland so erfreulich weitergehen, wie sie angefangen hat. Zweitens wäre im Hinblick auf die kommende Woche wichtig, dass die US-Notenbank tatsächlich weiteren Zinsanhebungen bis auf weiteres eine Absage erteilt. Drittens darf das Ergebnis des Stresstests keine größeren Löcher in den Bankbilanzen aufzeigen als gegenwärtig erwartet. Bei dem letzten Punkt liegt das Risiko für negative allerdings über der Chance auf positive Überraschungen. Weitere Informationen bietet der Video-Kommentar von Felix Herrmann, der online verfügbar ist.