Die USA erleben ihre zweitlängste wirtschaftliche Expansion, die bereits zehn Jahre andauert. Und auch wenn derzeit kein Ende in Sicht ist, stellt sich die Frage, wie lange dieser noch anhalten wird. Laut Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management, spricht vieles dafür, dass sich die US-Konjunktur im Spätzyklus befindet. „Für Anleger wird die Frage, was zu tun ist wenn der US-Aufschwung endet, mit fortschreitender Dauer der Expansion immer dringlicher. Sie stehen vor dem Dilemma, dass Aktienmärkte in Spätzyklen einerseits durchaus attraktive Renditen zu bieten haben. Andererseits gibt es, sobald der Aufschwung in den USA endet, meist negative und globale Auswirkungen auf die Kapitalmärkte“, führt Galler aus. Wer sein Portfolio bereits jetzt defensiver ausrichten will, sollte laut dem Experten dabei einige Aspekte beachten.
USA: Gegenläufige Signale
So sei der Punkt, an dem sich der Spätzyklus in den USA aktuell befinde, nicht exakt zu bestimmen. „Die US-Arbeitslosenquote ist auf dem niedrigsten Stand seit fast fünfzig Jahren. Das legt nahe, dass sich der Aufschwung seinem Ende nähert. Dank gestiegener Produktivität und gedämpftem Lohnwachstum sind die Unternehmens-gewinne aber noch nicht unter Druck geraten“, erläutert Galler. Selbst wenn man die Auswirkungen der gesunkenen Körperschaftssteuer nicht berücksichtige, haben die Gewinne der S&P 500-Unternehmen im zweiten Quartal solide zweistellige Zugewinne verzeichnet. Doch da die US-Notenbank (Fed) die Zinsen allmählich anhebt, werden insbesondere Unternehmen, die sich in den vergangenen Jahren verstärkt verschuldet haben, zunehmend belastet. Und die höheren Zinsen könnten sich durchaus gerade dann bemerkbar machen, wenn die fiskalpolitischen Anreize allmählich auslaufen.
Die nächste Rezession dürfte moderater ausfallen
Auch wenn der Beginn der nächsten Rezession nicht auf ein exaktes Datum festzulegen ist, spricht einiges dafür, dass der nächste Rückgang der Wirtschaftsleistung moderater ausfallen wird als in der Finanzkrise, ist Galler überzeugt. „Die Stabilisierung des Bankensystems und die aktuelle Abwesenheit von extremen Bewertungsblasen lassen eine ‚traditionelle‘ Rezession wie in den 80er und 90er Jahren erwarten, bei der die Unternehmensgewinne letztendlich durch steigende Zins- und Lohnstückkosten unter Druck geraten“, so der Experte. Die Erwartungen der Aktienmärkte in Bezug auf zukünftiges Wachstum seien heute deutlich bescheidener als sie es vor der Dotcom-Blase waren. Im März 2000 erreichte der S&P 500-Technologiesektor seinen Höchststand mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) des 55-fachen, während der Aktienmarkt insgesamt ein KGV von 25 aufwies. Während einige Technologieunternehmen heute sehr hohe Bewertungen haben, weist der Technologiesektor insgesamt ein KGV von 19 auf, und das S&P 500-KGV entspricht weitgehend dem Durchschnitt der letzten 25 Jahre.
Staatsanleihen mit wenig Spielraum
In der Vergangenheit haben sich Anleger, die die Stabilität ihres Portfolios erhöhen wollten, oft für eine stärkere Gewichtung in Staatsanleihen entschieden. Dadurch konnten Verluste des Gesamtportfolios bei Aktienmarktrückgängen abgefedert werden. Heutzutage sind die Zinsen in den meisten Industrieländern jedoch immer noch rekordverdächtig niedrig – die durchschnittlichen Leitzinssätze in den USA, der Eurozone und Großbritannien fielen etwa von rund 5,5 Prozent im Jahr 2000 auf weniger als 2 Prozent im Jahr 2003 und anschließend von 4,7 Prozent im Jahr 2007 auf weniger als 0,5 Prozent im Jahr 2009. „Da die derzeitigen Leitzinsen durchschnittlich nur bei 0,8 Prozent liegen, gibt es ganz offensichtlich keinen Spielraum mehr für Zinssenkungen dieser Größenordnung“, sagt Tilmann Galler.
Allein der US-Markt für Staatsanleihen biete einen gewissen Puffer, da die Zinsen bereits einige Schritte erhöht wurden. „Fällt die Rendite einer US-amerikanischen 10-jährigen Staatsanleihe von 2,9 Prozent auf 1,5 Prozent, dann ergäbe sich daraus ein Ertrag von rund 15 Prozent. Weniger offensichtlich ist, wo Anleger auf den europäischen Staatsanleihenmärkten sichere Häfen finden könnten. Die Rendite der 10-jährigen deutschen Bundesanleihe liegt gerade einmal bei 0,5 Prozent“, so Galler.
Sieben Portfolio-Strategien für den Spätzyklus
Angesichts dieser Ausgangslage und unter Berücksichtigung der Entwicklung verschiedener Anlageklassen und Sektoren in der Vergangenheit, sieht Galler sieben Strategien als geeignet an, wenn Anleger ihre Portfolios defensiver Ausrichten wollen:
- Nahezu neutrale Aktienpositionen, jedoch Untergewichtungen vermeiden, da Aktienmärkte am Ende des Zyklus tendenziell gut abschneiden.
- Bei Aktien regional und damit gestreut investieren. Eine Verschiebung bei der regionalen Allokation kann die Wertentwicklung im Falle einer Marktkorrektur nur selten abfedern.
- Gewichtungen in Aktien mittlerer und kleinerer Marktkapitalisierung abbauen, denn Large Caps schneiden bei einem Abschwung tendenziell besser ab.
- Wachstumstitel reduzieren, erstklassige Aktien und Substanzwerte (Value) aufstocken. Qualitätsaktien sind der einzige Anlagestil, der bei jedem Abschwung der vergangenen Jahre besser als der Index abgeschnitten hat. Substanzwerte schlagen den Index üblicherweise bei fallenden Märkten. Eine Ausnahme stellte die weltweite Finanzkrise dar, dies war jedoch auf die hohe Gewichtung von Finanzwerten im Substanzwertindex während einer Krise des Finanzsystems zurückzuführen. Value-Aktien haben sich normalerweise besser als Wachstumstitel (Growth) entwickelt, wenn es während des Zeitraums unmittelbar vor einem Abschwung einen deutlichen Anstieg der relativen Bewertung von Wachstumstiteln gegeben hatte.
- Anleihenstrategien wählen, die flexibel über Regionen, Laufzeiten und Risiken investieren können. Die Fähigkeit, Verschiebungen zwischen Segmenten vorzunehmen ist entscheidend, um von Märkten profitieren zu können, die Spielraum für Zinssenkungen durch Zentralbanken bieten.
- Barmittel und kurzfristige Liquiditätsinstrumente können Stabilität bieten.
- Strategien mit niedriger Korrelation zu Risikoanlagen, wie etwa Makro-Strategien und Long-/Short-Aktienlösungen insbesondere mit der Möglichkeit, ihr Netto-Aktienengagement auf null zu reduzieren, in Betracht ziehen.
(JPM)