Japan wurde über lange Zeit sowohl für seine Attraktivität als auch seine außergewöhnlichen Renditen am Aktienmarkt beneidet. Der MSCI Japan hat von 1970 bis 1989 mehr als 5.500 Prozent gewonnen, während der MSCI Europa und der MSCI USA um gerade mal 660 bzw. 370 Prozent angestiegen sind. Von 1968 bis 2010 verzeichnete Japan über mehrere Dekaden hinweg das weltweit zweithöchste Bruttoinlandsprodukt – und war zur selben Zeit sogar im marktkapitalisierten MSCI World die am höchsten gewichtete Nation.
Niedrige Zinsen ließen den Aktien- und Immobilienmarkt in ungeahnte Höhen schießen. Die Erkenntnis, dass diese Entwicklung keinesfalls nachhaltig sein kann, veranlasste die Regierung zu Zinserhöhungen. Damit löste sie einen Zusammenbruch des Aktienmarktes wie auch eine Schuldenkrise aus – vor allem, da viele Schulden mit spekulativen Assets besichert waren. Japan rutschte in das sogenannte „verlorene Jahrzehnt“. Das Land schlitterte in die längste Krise seiner Geschichte. Bis heute konnte sich Japan nicht vollständig davon regenerieren.
Doch die Zeichen stehen auf Erholung. Erst im Mai 2017 konnte der MSCI Japan in US-Dollar gemessen wieder die Höchststände von 1989 erreichen. Es scheint hier zurzeit weit mehr Value-Gelegenheiten zu geben – also Aktien mit hohem Potential – als in der restlichen Welt. Grund genug, den japanischen Markt unter die Lupe zu nehmen und genauer zu analysieren, wie optimistisch Value-Investoren hinsichtlich der aktuellen Entwicklungen in Nippon sein dürfen. Um die Attraktivität eines Marktes oder Unternehmens zu bewerten, vergleicht man seinen tatsächlichen Wert mit seinem Preis. Die wichtigsten Kriterien zur Beurteilung einer Anlageentscheidung sind neben der Bewertung – absolut wie auch relativ zu anderen Ländern und Regionen und zur eigenen Historie – Wachstum, Business Sentiment und Allokation von Kapital.
Japanische Unternehmen attraktiv bewertet
Es ist der gewichtete Durchschnitt der einzelnen Unternehmen, die die Marktbewertungen maßgeblich bestimmen. Sie können entweder von vielen Unternehmen oder von nur wenigen großen Firmen getrieben werden, die aber besonders teuer oder günstig sind. Zur Aktienbewertung müssen gleich mehrere Kennzahlen analysiert werden – unter anderem das wichtige Kurs-Gewinn-Verhältnis. Über die letzten 47 Jahre konnte Japan fast stetig die Bewertung auf das KGV verbessern. Dazu beigetragen haben auch steigende Gewinne. Zur eigenen Historie, wie auch relativ zu den anderen Märkten, ist die Gewinnrendite attraktiv.
Um die Einflüsse und Treiber der Bewertung auf die Gewinnrendite besser verstehen zu können, müssen zusätzlich die beiden Haupteinflussfaktoren Preis-Buchwert-Verhältnis und Eigenkapitalrendite analysiert werden. Das Kurs-Buchwert-Verhältnis ist einer der beliebtesten Bewertungsfaktoren von Value-Investoren, um Unterbewertung zu identifizieren. Auf Basis dieses Faktors hat sich der japanische Aktienmarkt seit 1990 beinahe gedrittelt. Die Bewertung relativ zur eigenen Historie liegt unter dem Durchschnitt, im Gegensatz zu amerikanischen Aktien. Der Bewertungsvorteil gegenüber den anderen Märkten ist damit aktuell größer als im historischen Durchschnitt.
Zwiespältiges Kurs-Buchwert-Verhältnis
Für jeden Value-Investor stellt sich bei der Anlageentscheidung immer die Frage, was bereits in die Bewertung eingepreist wurde und ob ein Markt berechtigterweise günstig bewertet ist. Wie jeder Faktor hat auch das Kurs-Buchwert-Verhältnis Vor- und Nachteile. Es kann Unterbewertung erkennen und Investoren davor schützen, zu viel für ein Investment zu zahlen. Gleichzeitig ignoriert es aber auch die Ertragskraft eines Investments. Ein Unternehmen mit niedriger Profitabilität (Eigenkapitalrendite) kann nur geringe Anteile des operativen Ergebnisses in freie Cash-Flows umwandeln. Profitable Unternehmen haben dagegen mehr Freiraum und können effizienter wachsen.
Der japanische Markt konnte bei attraktiv bleibender Bewertung die Eigenkapitalrendite absolut und auch im Verhältnis zu Europa und den USA steigern. Nur in vier Prozent der Zeitpunkte war die Eigenkapitalrendite in Japan so nah an der USamerikanischen dran. In Japan ist sowohl absolut als auch relativ eine historisch geringe Unternehmensverschuldung zu beobachten. In anderen Regionen, allen voran in den USA, hat die Verschuldung der Unternehmen seit der Finanzkrise deutlich zugelegt, wobei ein Großteil des Kapitals eher in Aktienrückkäufe statt in Investitionen geflossen ist. Japan ist also mit Blick auf die Bewertungskennzahlen sowohl relativ zur eigenen Historie als auch zu anderen Märkten sehr attraktiv.
Dies gilt für klassische Bewertungskennzahlen ebenso wie für die Rentabilität und Ertragskraft. Das historisch und relativ zu anderen Regionen niedrige Verschuldungsniveau unterstreicht die Nachhaltigkeit der attraktiven Bewertung.
Wachstumspotential und Business Sentiment stimmen optimistisch
Lange Zeit galt in Japan das Gewinnwachstum als Fremdwort. Heute jedoch sind hier höhere Gewinnzuwächse als in Regionen mit höherer Bewertung, stärkerer Verschuldung und ähnlicher Profitabilität zu finden. Auch für die nächsten Jahre sind die Schätzungen positiv.
Aussagekräftig ist auch das Business Sentiment der einzelnen Unternehmen innerhalb eines Marktes und damit verbunden die Auswirkungen von veränderten Gewinnerwartungen auf die Kapitalrendite. Diese vielschichtigen Blickwinkel helfen dabei, Value-Traps zu vermeiden. In den letzten Wochen konnten diesbezüglich bei etwa 60 Prozent der japanischen Unternehmen positive Entwicklungen beobachtet werden, weit mehr als in den übrigen entwickelten Märkten. Sowohl neue politische Anreize als auch unternehmenstechnische Verbesserungen haben dazu beigetragen, dass der japanische Markt bezüglich Business Sentiment und Gewinnwachstums einen eindeutigen Aufwärtstrend beschreitet.
Auch wenn es regional und global Zeiten größeren Wachstums gegeben hat, bietet Nippon, vor allem relativ zu den anderen Regionen, ein attraktives Wachstum sowie zukünftiges Potential.
Hohe Cashreserven und Rentabilität als Chance für Aktionäre
Je nach Ertragskraft ist es entscheidend, wie ein Unternehmen seine verfügbaren Eigenmittel oder sein Kapital einsetzt. Hier zeigt sich eine große Diskrepanz zwischen japanischen Unternehmen und seinen US-amerikanischen bzw. europäischen Konkurrenten. Seit geraumer Zeit haben japanische Firmen mehr Cash in ihren Bilanzen als Firmen in anderen Regionen. Dieser Trend hat sich in den letzten fünf Jahren sogar verstärkt. Hauptgrund dafür war eine historische Knappheit an tragfähigen Investitionsmöglichkeiten, die wiederum eine geringe erwirtschaftete Eigenkapitalrendite zur Folge hatte.
Durch die aktuelle Vielfalt an lukrativen Projekten kann das angehäufte Kapital gewinnbringend eingesetzt und die Rentabilität gesteigert werden. Aus diesem Blickwinkel hat der japanische Markt noch einiges an Aufholbedarf und damit einhergehend auch ein Potential, das es zu heben gilt. Richtig eingesetzt, kann das Kapital der japanischen Unternehmen durchaus ein wichtiger Hebel sein, um zukünftigen Wert zu schaffen. Durch diese Investitionen – ob in Aktienrückkäufe, Übernahmen oder Forschung und Entwicklung – kann erwirtschaftetes Kapital wieder rentabel angelegt werden. Dies führt zu einem positiven Schneeballeffekt und zu einer zusätzlichen Wertschöpfung.
Die bisher geringe Verwendung von Eigenkapital gibt den Unternehmen also einerseits Flexibilität und Anpassungspotenzial sowie andererseits die Möglichkeit, in Zukunft besser für die Aktionäre zu handeln. Erste Tendenzen sehen wir schon an den steigenden Aktienrückkäufen in den letzten Jahren.
Fazit: Die Bewertung Japans in Kombination mit konservativ positiven Wachstumsaussichten, einem positiven Business Sentiment, einer hohen Bilanzstärke und viel Aufholpotential in der Allokation von Kapital sind gute Gründe dafür, das Japan-Gewicht in diversifizierten Portfolios zu erhöhen. Aus Value-Perspektive sind vor allem solche Unternehmen attraktiv, die NichtBasiskonsumgüter sowie Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe herstellen.
(Lingohr)