Mit dem Sieg von Joe Biden bei den Präsidentschaftswahlen erlangt auch in den USA die nachhaltige Transformation der Wirtschaft wieder eine Top-Priorität. Wird dies auch Europa beeinflussen?
MICHAEL SCHMIDT: Unbedingt! Mit Joe Biden als Präsident bewegen sich die USA wieder am Puls der Zeit, man sieht das jetzt schon nach den ersten Amtstagen. Die EU mit dem European Green Deal erhält damit einen zusätzlichen Impuls, ihre Klimaziele und die damit verbundene wirtschaftliche, soziale und ökologische Transformation zügig weiter voran zu treiben. Auch, um ihre momentane Führungsrolle im Bereich des Klimaschutzes und der erneuerbaren Energien beizubehalten. Wenn also nun die drei großen Wirtschaftsblöcke USA, EU und China synchron einen ökologischen Strukturwandel vorantreiben, wird der weltweit zu beobachtende Megatrend Nachhaltigkeit auch bei der Geldanlage weiter beflügelt.
So erwartet eine aktuelle Studie von PwC Luxemburg, dass das verwaltete Vermögen in ESG-Publikums- fonds in Europa bis 2025 auf eine Spanne von 5,5 bis 7,6 Billion Euro ansteigen wird und dann 41 beziehungsweise 57 Prozent des gesamten Vermögens in Publikumsfonds ausmacht.
Sie sind Mitglied im Sustainable-Finance- Beirat der Bundesregierung, der am 25. Februar seinen Schlussbericht vorlegte. Was sind aus Ihrer Sicht als Praktiker die Kern-Empfehlungen, damit Deutschland zu einem führenden Sustainable-Finance-Standort wird?
MICHAEL SCHMIDT: Der Sustainable- Finance-Beirat hat mit seinen 31 ambitionierten Handlungs- empfehlungen das Finanzsystem ganzheitlich in den Blick genommen. Daher sind alle Empfehlungen wichtig. Ziel ist es, das Finanzsystem nachhaltig und damit zukunftsfest zu machen. Es orientiert sich an den großen internationalen Leitplanken: dem 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens und den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030 (SDGs) sowie den Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen. Die Empfehlungen beziehen sich auf fünf Handlungsbereiche. Als Investor ist mir darunter die Weiterentwicklung der Berichterstattung von Unternehmen sehr wichtig, da wir nur auf einer relevanten und verlässlichen Datenbasis mit unseren Investitionsentscheidungen die Transformation gut begleiten können. Als Produktanbieter ist für mich ferner von Bedeutung, dass für den wachsenden Bedarf von Anlegerinnen und Anlegern nach nachhaltigkeitswirksamen Finanzprodukten eine gute Transparenz geschaffen wird. Ein besonders wichtiger Aspekt ist dabei, welche positiven Nach- haltigkeitswirkungen mit den Produktlösungen erzielt und welche negativen Effekte auf Umwelt und Gesellschaft verhindert werden. Der Beirat empfiehlt dafür unter anderem, eine einfache und verständ- liche Klassifizierung aller Finanzmarktprodukte zu etablieren (analog dem Energie-Label von Elektrogeräten).
Welche Rolle spielt und spielte der SDG-Ansatz in der andauernden COVID- 19-Pandemie?
MICHAEL SCHMIDT: Die COVID-19-Pandemie ist der ultimative Stresstest für Unternehmen und deren Geschäftsführung. Hier kommt einem ein wesentlicher Begriff der Nachhaltigkeit in den Sinn: „Resilienz“ – also Widerstandsfähigkeit gegenüber Schocks beziehungsweise Anpassungs- und Innovationsfähigkeit in Krisensituationen. Eine langfristig angelegte Unternehmensstrategie und eine verantwortliche Unter- nehmensführung mit einem umsichtigen Risikomanagement sind hier essenziel. Denn wer auf exogene Schocks dynamisch in der Produktion, Distribution und Finanzmittelbeschaffung reagieren kann, hat einen deutlichen Wettbewerbsvorteil. Gleichzeitig zeigt die Krise, wie wertvoll Tätigkeiten und Geschäfts- modelle sind, die eine positive Wirkung haben, gerade auf soziale Herausforderungen, vor allem natürlich Gesundheit, aber auch die Grundversorgung mit Lebensmitteln, Energie und Bildung. In der Summe haben in der Krise auch Investoren profitiert, die auf resilente, anpassungsfähige Unternehmen gesetzt haben.
Was unterscheidet Ihren Nachhaltigkeitsansatz vom Wettbewerb?
MICHAEL SCHMIDT: Moderne nachhaltige Fondsangebote sollten nach unserer Überzeugung nicht auf klassische, in der Regel vergangenheitsbezogene und statische ESGAnsätze setzen, sondern zukunfts- gerichtet sein und die Veränderungsfähigkeit von Unternehmen betonen. Denn nur durch ernsthafte, engagierte und konstruktive Begleitung von Unternehmen lässt sich die notwendige Transformation der Wirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit erreichen.
Wir verstehen Nachhaltigkeit dabei als einen unternehmensübergreifenden Ansatz, der sowohl unsere Publikumsfonds einschließt als auch auf Unternehmensebene verankert ist. Unsere Nachhaltigkeits- strategie betont die Transformation der Wirtschaft entlang der nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen („Sustainable Development Goals“ – SDGs) und des Pariser Klimaschutzabkommens. In unsere fundamentalen Unternehmensbewertungen haben wir eine eigene SDG-orientierte Nachhaltigkeitsanalyse integriert. Unser Nachhaltigkeitsverständnis der Transformation teilen wir übrigens mit dem WWF Deutschland, der seit Anfang 2020 unser Partner für nachhaltigere Investments ist.
Wie positionieren Sie sich konkret im aktiven Asset Management mit Ihrem Nachhaltigkeitsansatz?
MICHAEL SCHMIDT: Alle unsere Publikumsfonds erfüllen bereits die Kriterien des UN Global Compact. Zusätzlich werden relevante und materielle Nachhaltigkeitsparameter passend zum jeweiligen Fonds- konzept in die Investmentprozesse integriert, insbesondere in der Unternehmensanalyse und beim Risikomanagement. Unter den insgesamt sieben Beurteilungskriterien eines Investments in der hauseigenen Analysesystematik „LLOYD FONDS – Seven Select“ ist aus Nachhaltigkeitsperspektive die Bewertung der Portfoliounternehmen am Kapitalmarkt von besonderer Bedeutung hinsichtlich der Frage, ob Risiken aus kontroversen Geschäftstätigkeiten adäquat berücksichtigt sind beziehungsweise sich sogar ein zusätzliches Bewertungspotenzial aus deren Abbau ergibt. Zur laufenden Überwachung der Fondspositionen kommt der selbstentwickelte Kontroversen-Radar zum Einsatz.
Zudem haben wir Investmentlösungen und Fonds entwickelt, die auf eine spezielle Nachhaltigkeits- wirkung, orientiert an den Sustainable Development Goals (SDGs), abzielen und vor allem die hierfür nötige Transformation der Unternehmen befördern und begleiten. Derzeit setzen sehr gezielt zwei Fonds diese Zielsetzungen um: mit Fokus auf Umwelt der globale Aktienfonds Lloyd Fonds – Green Dividend World und auf alle SDGs ausgerichtet der Mischfonds Lloyd Fonds – Global Multi Asset Sustainable.
Glaubwürdigkeit bedeutet auch eigenes Engagement, oder?
MICHAEL SCHMIDT:Vollkommen richtig. Daher wollen wir auch unseren eigenen Beitrag leisten und haben unsere CO2-Emissionen des Geschäftsbetriebs für das Jahr 2020 durch Aufforstungsprojekte in Zusammenarbeit mit PLANTMY-TREE® in Hohenaspe bei Itzehoe, Schleswig-Holstein kompensiert.
Die Schwerpunkte Ihrer Unternehmensaktivitäten liegen seit Mitte 2019 neben einer eigenen, aktiv gemanagten Publikumsfonds- Linie auch auf dem digitalen Portfolio-Management mit dem FinTech LAIC und der individuellen Vermögensverwaltung. Was planen Sie strategisch in den nächsten Jahren?
MICHAEL SCHMIDT: Wir werden konsequent weiter an der Umsetzung der drei Megatrends Nachhaltig- keit, Digitalisierung und Nutzerzentrierung arbeiten. Dabei möchten wir Lloyd Fonds als Innovations- führer bei der Umsetzung dieser Megatrends im Bereich Asset- und Vermögensmanagement etablieren. Treiber dieser Entwicklung sind nach unserer Überzeugung die Verbindung aus Unternehmertum, Erfahrung der Fondsmanager im nachhaltigen Asset Management und die Umsetzung digitaler Innovationen mit unserem FinTech LAIC. In der Umsetzung unserer Strategie 2023/25 wollen wir dabei organisch als auch anorganisch durch weitere Akquisitionen wachsen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Michael Schmidt, CFA,ist seit April 2019 Vorstand und Chief Investment Officer (CIO) der Lloyd Fonds AG.
Der Diplom-Betriebswirt verfügt über mehr als 25 Jahre Erfahrung in Fach- und Führungspositionen des Portfoliomanagements, u. a. bei Deka, Union Investment sowie bei der Deutschen Bank/DWS. Er war Mitglied der High Level Expert Group on Sustainable Finance der EU-Kommission, die mit ihrem Schlussbericht Anfang 2018 die Basis für den EU-Aktionsplan „Finanzierung nachhaltigen Wachstums“ legte. Seit Juni 2019 ist er Mitglied des Sustainable-Finance- Beirats der Bundesregierung.