Der Handelskonflikt zwischen den USA und der Volksrepublik China beschäftigt die Welt seit Anfang 2018 und ist seitdem weder zur Ruhe gekommen, geschweige denn gelöst worden. Zwar gab es auf dem G20-Gipfel Anfang Juli erneut Anzeichen einer Annäherung. Ähnliche Signale hatte es aber bereits zuvor immer wieder schon gegeben, ohne dass es zu einer Einigung gekom men wäre. Und in der Tat ist davon auch künftig nicht auszugehen. Denn die Wurzeln des Konflikts sind vielfältig und liegen tiefer, als es die Diskussion über das Handelsbilanzdefizit der USA vermuten lässt.
Von Anfang an war klar, dass die Handelspolitik der Kontrahenten nur die Spitze eines Eisberges ist und dass unter der Wasseroberfläche verborgen ein Konflikt viel größeren Ausmaßes liegt. Schaut man unter die Wasserlinie, so wird deutlich, dass es tatsächlich um nichts weniger als um die globale industriepolitische Vormachtstellung beider Konfliktparteien geht. Die USA fühlen sich durch das aufstrebende China fundamental herausgefordert. Den Amerikanern ist vor allem die Agenda „Made in China 2025“ ein Dorn im Auge. Ziel dieses offiziellen Regierungsprogramms ist es, China zu einem dominierenden Global Player in mehr als 30 führenden Industriesektoren sowie bei allen wichtigen Zukunftstechnologien zu machen. Das Spektrum reicht von Robotik und Künstlicher Intelligenz bis hin zu Green Energy und Halbleiterprodukten. Für Präsident Xi Jinping hat das Programm höchste Priorität. Es dient dem ehrgeizigen Ziel, China künftig in den Rang einer ökonomischen Supermacht zu erheben, an der niemand mehr vorbeikommt.
Kalter Wirtschaftskrieg
Das kann die USA nicht unbeeindruckt lassen. Erbost sind die Amerikaner zudem über die zahlreich dokumentierten Regelverstöße der Chinesen, mit denen sie bereits in der Vergangenheit ihr ökonomisches Streben flankiert haben. Auf der Beschwerdeliste der Amerikaner stehen Vorwürfe wie der Diebstahl geistigen Eigentums, erzwungener Transfer von Technologie oder die Behinderung des freien Wettbewerbs durch eine Reihe unterschiedlicher Maßnahmen. Wie ernst die USA das Vormachtstreben der Volksrepublik nehmen, zeigt die Rede von Vizepräsident Mike Pence im Herbst des vergangenen Jahres vor dem Hudson Institute, einer führenden konservativen Denkfabrik in den USA. Dort sprach er von einem „gesamtstaatlichen und umfassenden Ansatz“, der weit über ökonomische Maßnahmen hinausgehe, um den Einfluss Chinas aggressiv geltend zu machen. Auch ließ Pence keinen Zweifel daran aufkommen, dass die USA in geeigneter Weise darauf reagieren werden. Was dies zu bedeuten hat, machten New York Times und das Wall Street Journal in ihren Kommentierungen deutlich. Beide Zeitungen sahen in den Äußerungen des US-Vizepräsidenten die Vorboten eines möglichen neuen, ökonomischen Kalten Krieges.
Aber zurück zum vordergründigen, an Handelsfragen festgemachten Konflikt. Auch dieser wird sich auf die Schnelle kaum zufriedenstellend lösen lassen. Diese Einschätzung entspricht dem gesunden Menschenverstand.
Denn auf der einen Seite haben wir China, das mehr produziert als es konsumiert, und auf der anderen Seite stehen die USA, in denen mehr konsumiert als produziert wird. Selbst ein chinesisches Versprechen, mehr Waren in den USA zu kaufen, würde diese Situation nur marginal verändern. Denn die Konsum- und Ausgabegewohnheiten der zwei weltweit größten Volkswirtschaften zu verändern, ist ein langfristiger und hartnäckiger Prozess, der nicht von heute auf morgen umgesteuert werden kann. Ein „großer Deal“, wie er Präsident Trumpf vorschwebt, wird sich vor diesem Hintergrund wohl nicht realisieren lassen.
Kollateralschäden für die Finanzmärkte?
Vieles spricht also für die Fortsetzung des Konflikts zwischen den USA und China. Was aber würde ein solches Szenario für die Märkte bedeuten? Aus meiner Sicht dürften weder die Kapital- noch die Währungsmärkte einer direkten Krise ausgesetzt sein. An einer bewussten, auf Vergeltung abzielenden Abwertung des Renminbi dürften die Chinesen kein Interesse haben, da eine solche Maßnahme ihrem Ziel zuwiderläuft, zur führenden globalen Wirtschaftsmacht aufzusteigen. Auch der Verkauf von U. S. Treasuries in größerem Umfang erscheint unwahrscheinlich, weil dieser Schritt zu Bewertungsverlusten und einer Währungsaufwertung führen könnte. Dennoch kann man verdeckte, längerfristig angelegte Maßnahmen nicht ausschließen. Eine entsprechende Strategie könnte über eine allmähliche und kontrollierte Abwertung der Währung oder eine graduelle Umschichtung der US-Fremdwährungsreserven in andere Vermögenswerte umgesetzt werden. Auch darüber hinaus haben beide Seiten ein ganzes Spektrum weiter Möglichkeiten zur Verfügung, um dem jeweils anderen und damit den Märkten Schaden zuzufügen. Mögliche Maßnahmen reichen vom Exportverbot bestimmter Produkte oder Rohstoffe über die Unterbrechung von Lieferketten bis hin zur verstärkten Industriespionage und der Verhaftung von Unternehmensmanagern, um nur einige zu nennen.
Für welchen Weg auch immer die Kontrahenten sich entscheiden werden, fest steht: Der Kampf der Giganten um die wirtschaftliche Vormachtstellung auf der Welt hat gerade erst begonnen und wird den Märkten künftig ein erhöhtes Maß an Unsicherheit und wachsender Volatilität bescheren.
(Natixis)