Immer wieder lesen wir derzeit, dass Nachhaltigkeit an Fahrt verlöre, es zu komplex geworden sei oder regulatorisch zerfahren. Einer der Gründe, warum das Thema „Nachhaltigkeit“ zum einen die Menschen einschüchtert und politisch polarisiert, ist sicherlich die Heterogenität in der Auslegung. Und die fehlende Messbarkeit zahlt zum anderen noch mehr auf die Komplexität ein. Ein gutes Beispiel, um diese Komplexität zu verstehen, betrifft in meinen Augen die Frage nach der Rüstungsbranche. Wurde diese bis Ende 2021 von nahezu allen nachhaltig orientierten Anleger:innen als klares Ausschlusskriterium festgelegt, änderte sich dies schlagartig mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und den damit in Deutschland verbundenen Aufrüstungsplänen der Bundeswehr, die auch Unterstützung von den Grünen bekamen. Bereits im März 2022 wurde zum Beispiel in Branchenkreisen und Fachverbänden darüber diskutiert, ob Umsätze, die aus dem Bereich Rüstungsgüter erzielt werden, für das Verbändekonzept des deutschen Zielmarkts für Nachhaltigkeitspräferenzen nicht neu bewertet werden sollten. Auch fehlt im aktuellen finalen Bericht der ESMA-Leitlinie für nachhaltigkeitsbezogene Fondsnamen eine Vorgabe zur Rüstungsbranche.
Wie nachhaltig ist die Rüstungsbranche also? Meine Empfehlung rund um das Thema lautet ja oft, dass man sich von persönlichen Meinungen oder Befindlichkeiten lösen beziehungsweise distanzieren sollte. Genauso ist es bei der Frage, wie nachhaltig der Markt für Rüstungsgüter ist. Schließlich können diese einen Beitrag dazu leisten, den Frieden aufrechtzuerhalten und die Verteidigung sicherzustellen. Im Fachjargon, einen Beitrag zum SDG16 (Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen) leisten. Wir alle wären sicherlich auch überrascht, wenn unsere Polizei zum Schutz des Volkes ohne Waffen auskommen müsste, oder? Aber nicht alles, was notwendig ist, ist auch zwangsläufig nachhaltig. Was ist ethisch, was ist wertebasiert und was ist nachhaltig? Auch wenn Waffen und Aufrüstung möglicherweise zur Abschreckung auf politischer Ebene dienen, so kommt durch Waffen allerdings fast immer Leid und Tod zustande. Im Falle von kontroversen Waffen sogar oftmals undifferenzierter Schaden für die Zivilbevölkerung. Erfüllt die Rüstungsbranche also die Anforderungen, dass kein negativer Schaden für die Gesellschaft entsteht?
Weitere Argumente gegen die Nachhaltigkeit von Waffen wären: deren lange Lebensdauer, ein unkontrollierbarer Sekundärmarkt von Feuerwaffen mit möglichem Endverbrauchermarkt in Krisen- oder Bürgerkriegs- Regionen, beispielsweise in Afrika oder dem Nahen Osten.
Komplex ist es auch zu bewerten, an welchem Teil der Rüstungs-Wertschöpfungskette internationale Konzerne teilhaben. Und was genau das Endprodukt ist. Ist das Endprodukt etwas, das töten kann? Oder zählt es als unterstützende Ausrüstung, zum Teil auch mit sogenanntem „dual-use“ (doppeltem Nutzen), beispielsweise Radarsysteme, Funkgeräte oder Transport-LKWs? Wo können Anleger:innen, aber auch der Vermögensverwalter selbst nun die Linie ziehen? Ab wann ist etwas „erlaubt“ und wo hat etwas eindeutig nichts in einem nachhaltigen Fonds zu suchen? Einige wenige Konzerne könnten bestenfalls als „neutral“ eingestuft werden, schließlich profitieren vieleKonzerne finanziell fast immer von Kriegen.
Unsere Empfehlung ist daher, eine klare Linie zu ziehen, was für Sie akzeptabel wäre.
Zum Beispiel:
• Grundsätzlicher Ausschluss von Herstellern geächteter Waffen. Darunter fallen Antipersonenminen und Streumunition, biologische oder chemische Waffen.
• Wenn möglich Ausschluss von Herstellern kontroverser Waffen wie Atomwaffen, abgereichertem Uran, autonome Schusswaffen-Systeme, Flammwaffen. Hier jedoch die Frage, ob es um einzelne Komponenten geht oder die Waffe selbst. Bei Atomwaffen helfen NGODatenbanken.
• Unterscheidung, inwiefern es sich bei dem rüstungsbezogenen Umsatz um die direkte Herstellung einer Waffe handelt oder ob Dienstleistungen für die Rüstungsbranche erbracht werden.
• Genaue Überprüfung, ob ein Konzern Waffenexporte in Krisenregionen tätigt; hier können einige NGO-Datenbanken hilfreich sein.
Das sind nur einige Beispiele. Unsere Einstellung als in Deutschland ansässiges Finanzhaus: Ein pauschaler Ausschluss mag schwierig sein und träfe auch innovative Unternehmen. Aber wegen der komplexen Beteiligungen und Systeme gewinnen Sie wenig durch Lockerungen einer negativen Haltung zur Rüstungsbranche. Prüfen Sie demnach genau mit den richtigen Datenquellen und gehen Sie bedacht vor, um Ihren Ansatz auf Nachfrage Ihrer Kund:innen und Anleger:innen rechtfertigen zu können.
DR. ROBIN BRAUN