Der Einmarsch Russlands in die Ukraine hat die Welt dramatisch verändert. Der größte Landkrieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg ist nicht nur eine menschliche Tragödie, sondern hat auch massive Folgen für die Wirtschaft und die Finanzmärkte. Die wichtigste und unmittelbarste davon ist die Flucht der Anleger in Sicherheit. Sie treibt die Anleihekurse nach oben und deren Renditen nach unten. Europa ist abhängig von Rohstoffen aus Russland, und die Befürchtung von Versorgungsengpässen lässt die Preise für Öl, Gas, Aluminium, Palladium (das in Katalysatoren verwendet wird) und Nickel (das in Batterien verwendet wird) steigen. Darüber hinaus ist die Ukraine selbst eine wichtige Bezugsquelle für Weizen und Rohstoffe, die in der Halbleiterherstellung verwendet werden. Damit kommt weiterer Stress auf die ohnehin angespannten globalen Lieferketten zu. All diese Faktoren werden nach unserer Erwartung die Inflation in nächster Zeit weiter nach oben treiben.
Sie in Zaum zu halten, wird für die Zentralbanken durch den Krieg noch schwieriger. Nach den inflationären Effekten der durch die Corona-Pandemie gestörten Lieferketten erhöht nun die geopolitische Krise das Risiko einer deutlichen Verlangsamung des globalen Wachstums. Die Entscheidungsprozesse – vor allem der US-amerikanischen Federal Reserve (Fed) und der Europäischen Zentralbank (EZB) – werden somit komplizierter. Ein unklares Zinsszenario wiederum erhöht die Volatilität in einem ohnehin schon unsicheren wirtschaftlichen Umfeld.
Für Anleger kommt es in solch unsicheren Zeiten darauf an, über die kurzfristigen Marktbewegungen hinauszuschauen, unüberlegten Impulsen zu widerstehen, bewährte Anlagegrundsätze zu berücksichtigen und sie an die langfristigen Ziele und Trends anzupassen.
Davon gilt es, fünf hervorzuheben:
• Grundsätzlich bleiben die globalen wirtschaftlichen Perspektiven für die kommenden Monate positiv, auch wenn sich kriegsbedingt die Konsumentenstimmung kurzfristig eintrübt. Die Industrie verfügt über einen erheblichen Nachfrageüberhang, der im Zuge sich langsam stabilisierender Lieferketten abgebaut werden kann. Dienstleister und Handel profitieren von weiteren Lockerungen von Corona-Restriktionen.
• Bei aller makroökonomischer Unsicherheit sind es die Unternehmensgewinne, die auf lange Sicht die Aktienkurse treiben. Zwar stellen Engpässe in der Lieferkette und Arbeitskräftemangel auf kurze Sicht Risiken für die Rentabilität der Unternehmen dar. Bis jetzt konnten aber steigende Kosten an die Endverbraucher durchgereicht werden. Es gilt, jene Unternehmen zu identifizieren, die nachhaltig über diese Preissetzungsmacht verfügen.
• Säkulare Wachstumsfaktoren wie der digitale Umbau in den Unternehmen, die Digitalisierung von Zahlungssystemen, die Fortschritte in der medizinischen Forschung und die Transformation in Richtung umweltfreundlicher Mobilität bleiben intakt.
• Trotz der größeren Anstrengung der Notenbanken, dem Inflationsdruck zu begegnen, sind wir der Ansicht, dass die Geldpolitik im historischen Vergleich großzügig bleiben wird. Vorerst gehen wir davon aus, dass die Fed in diesem Jahr eine Reihe von moderaten Zinserhöhungen vornehmen und durch quantitative Straffung und Bilanzmanagement die Inflation eindämmen wird. Eine sich dadurch verlangsamende Wirtschaft wird den Anstieg der Treasury-Renditen begrenzen und die Finanzierungsbedingungen nicht dramatisch verschlechtern.
• Diese Invasion der Ukraine ist nicht die erste russische Militäraktion in der Region; schon seit Jahren kommt es dort zu gewalttätigen Konflikten. Historisch betrachtet, tendieren die Finanzmärkte dazu, auf solche geopolitischen Vorfälle mit einem unmittelbaren und starken Rückgang zu reagieren, auf den in der Regel eine Erholung folgt.
Muster wie das letztgenannte („Politische Börsen haben kurze Beine“) sind an den Börsen leider alles andere als garantiert. Deshalb sollten sich Anleger darauf konzentrieren, das zu kontrollieren, was in ihrer Hand liegt. Und das ist vor allem eine ausreichende Streuung ihrer Investments über geeignete Anlageklassen und -strategien, die mit ihrer Toleranz gegenüber Marktschwankungen übereinstimmen.
VICTOR ZHANG