Sowohl der Nasdaq als auch der S&P 500 verzeichneten den Sommer über bis zum 2. September einen Rekord nach dem anderen. Seitdem ist der Markt in heftige Turbulenzen geraten. Der Nasdaq verlor beispielsweise fast 10 % und Tesla stürzte ohne besondere unternehmensspezifische Meldungen um mehr als 25 % (1) ab. Auf den großen Rausch folgt nun ein schwerer Kater. Der europäische Markt hat weniger eingebüßt, war zuvor jedoch auch nicht so stark gestiegen.
Ist dem Hausse-Markt die Puste ausgegangen?
Angesichts dessen, dass Kalifornien mit Waldbränden und China mit Überschwemmungen zu kämpfen haben, das Coronavirus in Indien außer Kontrolle ist, die Insolvenzen sich häufen, Desinformation allgegenwärtig ist, die USA tief gespalten sind, die Brexit-Verhandlungen feststecken und die Corona-Infektionszahlen in Europa wieder steigen, stellt sich die Frage: Müssen wir nun eine umfassende Korrektur befürchten?
Manche kurzfristigen Anreize werden ihre Wirkung auf die Stimmung am Markt verlieren. So liegen viele positive Überraschungen bereits hinter uns, allen voran die Stabilisierung der Gesundheitslage in den USA – aber auch die Abschwächung des Dollars, die die US-Börse und die Schwellenländer stützt. Hinzu kommt die positive Dynamik bei den Gewinnkorrekturen für die kommenden zwölf Monate, die auf eine Phase mit drastischen Abwärtskorrekturen folgt.
Überdies wird die Marktlage nach wie vor durch bestens bekannte Risikofaktoren, insbesondere das Bewertungsniveau der Technologieaktien, belastet. Trotz der jüngsten Kursrückgänge und der positiven Ergebnisveröffentlichungen der im Index enthaltenen Unternehmen weist der Nasdaq nach wie vor Bewertungsniveaus (beim Kurs-Gewinn-Verhältnis) wie zuletzt vor rund 20 Jahren auf.
Zentralbanken weiterhin auf Lockerungskurs
Aber auch wenn eine Verschnaufpause in diesem Umfeld natürlich erscheint, wäre es kurzsichtig, die Hoffnung in den Markt zu verlieren. Denn die jüngsten Äußerungen der Zentralbanken wirken stimulierend. Die Fed wird auf ihrer Sitzung am 16. September die Auswirkungen ihres neuen Inflationsziels erläutern, die ihre Politik auf lange Sicht lockerer gestalten werden. Auch die EZB bekräftigte, dass sie handeln werde, wenn die Aufwertung des Euro die Inflationsaussichten verschlechtern sollte. Die Zentralbanken in aller Welt verfolgen im Kielwasser der Fed weiterhin einen Lockerungskurs oder verschärfen ihn sogar. Es wird immer mehr Liquidität in den Markt gepumpt, und auch wenn sich die Gewinnaussichten nicht verbessern sollten (was sie jedoch tun), würde allein dies ein dickes Sicherheitspolster für den Markt schaffen, auf dem er seinen Kater bequem auskurieren kann.
Insgesamt positive Aussichten – unabhängig vom US-Wahlausgang
Hinzu kommt die Erwartung neuer Konjunkturmaßnahmen in den USA. Noch ist nichts konkret, doch Präsident Trump hat großes Interesse, einige Maßnahmen noch vor den anstehenden Wahlen zu verkünden. Außerdem sehen die Perspektiven für den Markt unabhängig vom Ausgang der Wahl insgesamt günstig aus. Joe Biden beabsichtigt Steuererhöhungen, aber auch ein gigantisches grünes Konjunkturpaket, das weite Teile der US-Wirtschaft stützen könnte. Donald Trump verspricht dagegen neue Steuersenkungen. Kann sich der Markt kurzfristig etwas Besseres erträumen?
Wenn der Kater vorbei ist, wird der Markt die Risiken, die die Weltwirtschaft belasten, deutlicher wahrnehmen. Dies sind vor allem der zunehmende Protektionismus, sowie die wachsenden gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen. Nichts deutet jedoch darauf hin, dass die Stellschrauben, die den langanhaltenden Anstieg des Marktes abgesichert haben, gebrochen sind. Der schmerzhafte Tag nach dem Kater hält nicht lange davon ab, den nächsten Rausch zu ersuchen.
(LFDE)