Die Frage, ob eine invertierte Zinsstrukturkurve eine US-amerikanische oder globale Rezession signalisiert, beschäftigt die Anleger auch im Jahr 2019. Weshalb unsere Handlungen bei der Beurteilung, ob eine Rezession unmittelbar bevorsteht, eine größere Rolle spielen werden als ein möglicherweise irreführender Indikator, erklären wir im Folgenden.
Erstmals seit 2007 ist die Zinsdifferenz zwischen 2-jährigen und 10-jährigen US-Staatsanleihen am 14. August wieder in den negativen Bereich gerückt und hat die Angst vor einer Rezession erneut aufleben lassen. Da jeder der letzten fünf Rezessionen seit Anfang der 1980er Jahre stets invertierte Zinsstrukturkurven vorausgegangen sind, scheinen diese Bedenken nachvollziehbar.
Die jüngste Zinsinversion und eine neue, rekordtiefe 30-jährige Anleiherendite sind die Folge des intensiven sogenannten Bull Flattening-Handels seit Ende Juli. Dieser wiederum wurde von Befürchtungen über eskalierende Handelskriegsrisiken und schwächere globale Wachstumsaussichten getrieben. Der Markt preist niedrigere Chancen ein, da es sich um einen Abschwung in der mittleren Zyklusphase handelt, und die Aussichten größer erscheinen für den Anfang einer Rezession.
Voraussagende Signale haben an den Finanzmärkten schon immer eine verführerische Anziehungskraft ausgeübt. Während jedoch eine invertierte US-Zinsstrukturkurve zweifellos ein Gefühl der Unruhe bei den Anlegern vermittelt, sollte man sich daran erinnern, dass Rezessionen nicht allzu häufig sind. Das bedeutet, dass es statistisch unmöglich ist, dass ein einzelner Rezessionsindikator sich als zuverlässig erweist. Schlimmer noch, die beispiellosen quantitativen Lockerungsinterventionen des letzten Jahrzehnts könnten die Indikatoren und ihre Aussagefähigkeit hinsichtlich der Zinsstrukturkurve beeinträchtigt haben. Schließlich sind flachere Zinskurven eine natürliche Folge der angewandten QE-Maßnahmen der Zentralbanken der entwickelten Märkte, um die langfristigen Zinsen bewusst zu senken und damit Investitionen und Konsum zu fördern.
Die Geschichte erinnert uns auch daran, dass die Bedrohung nicht unbedingt unmittelbar bevorsteht. Empirische Untersuchungen des Beratungsunternehmens Oxford Economics zeigen, dass die Vorlaufzeit zwischen einer Zinskurveninversion und dem tatsächlichen Rezessionsbeginn der letzten fünf Rezessionen durchschnittlich etwa 21,5 Monate betrug. Tatsächlich ist die Spanne der Vorlaufzeit recht lang und reicht von 10,5 Monaten vor der Rezession 1981-1982 bis zu 36 Monaten vor der Rezession im Jahr 2001.*
Nichts zu befürchten, außer der Angst selbst
Abgesehen von Unsicherheiten bezüglich des Zeitpunktes und der Signalqualität wird vor allem das Investorenverhalten entscheidend sein. Wenn sich die Zukunftserwartungen der Wirtschaftsakteure rapide verschlechtern, sei es aufgrund neuer Informationen, die ihre früheren Einschätzungen widerlegen, oder aufgrund eines externen Schocks, führt dies zu sinkender Nachfrage und reduzierten Ausgaben. Zusammengefasst kann es katastrophal enden, da der Multiplikatoreffekt umgekehrt wirkt: Die reduzierten Ausgaben eines Vermittlers können zum Einkommensverlust eines anderen führen und sich in der gesamten Wirtschaft summieren.
Das Problem dabei ist, dass ein Glaube manchmal selbstverwirklichend sein kann. Verzerrungen wie die Verlustabneigung, bei der Anleger Verluste oft mehr fürchten als sie äquivalente Gewinne schätzen, und die bestätigungsbedingte Verzerrung, bei der Anleger mehr Wert auf Informationen legen, die ihre These stützen, können wiederum die Marktstimmung belasten – auch wenn die zugrunde liegenden Fundamentaldaten eine solch negative Einschätzung nicht rechtfertigen. Es besteht ein echtes Risiko, dass Unternehmen und Verbraucher die invertierte Zinsstrukturkurve als Zeichen einer drohenden Rezession ansehen. Infolgedessen erhöhen sie ihre vorsorglichen Einsparungen, senken Investitionsausgaben und lösen damit die rezessiven Bedingungen aus, die sie vermeiden wollten.
Wem kann man glauben: Anleihen oder Aktien?
Paradoxerweise rangieren viele wichtige Aktienindizes nahe den jüngsten Höchstständen, obwohl sich die makroökonomischen Indikatoren abgeschwächt und die Anleihemärkte entsprechend angepasst haben. Auf der einen Seite mag dies zwar den Glauben an die Allmacht der Zentralbanken und ihre Fähigkeit, die Vermögenspreise zu schützen, widerspiegeln. Auf der anderen hingegen ist es ein Zeichen dafür, dass Aktien in einer Welt mit niedrigen Renditen, in der Anleger noch immer mehr Einkommen benötigen, zunehmend attraktiv erscheinen.
Die Märkte sind seit mehr als einem Jahrzehnt auf Finanzspritzen angewiesen. Daher gibt es für Zentralbanken nur noch eine Handvoll weiterer Maßnahmen, um das Vertrauen der Anleger wiederherzustellen, nachdem sie sich bereits nahe oder unter der Untergrenze von Null bewegt haben. Das ist die Herausforderung für die Europäische Zentralbank und die Bank of Japan, wenn sie versuchen, den Lebensgeist von Investoren, Verbrauchern und Unternehmen wiederzubeleben.
Die globalen Aktien haben sich in diesem Jahr parallel zu den Zinskurvenbewegungen entwickelt und verloren rund zwei Prozent, als die Zinskurve am 14. August vorübergehend umgekehrt wurde.
Bemerkenswert erscheint uns, dass tägliche Ausverkäufe dieser Größenordnung keine Anomalie darstellen. Die unbeabsichtigten Auswirkungen der Rhetorik kombiniert mit der invertierten Zinsstrukturkurve und Rezessionsängsten könnten die Marktstimmung, die individuellen Einkommenserwartungen und letztlich Konsum und Investitionen trüben.
Solche Ängste scheinen jedoch übertrieben zu sein. Eine Rezession in den USA ist auf mittlere Sicht unwahrscheinlich, da das BIP weiterhin über seinem Potenzial wächst, die geldpolitische Unsicherheit abnimmt und ein starker Arbeitsmarkt das Verbrauchervertrauen gestärkt hat.
Die große Bedrohung für das globale Wachstum bleibt jedoch das politische Risiko: sei es durch den Handelskrieg zwischen den USA und China, den Brexit oder andere geopolitische Risiken, die im Hintergrund lauern, ehe sie an die vordere Front der Anlegerinteressen rücken. Ohne diese politische Unsicherheit, insbesondere den Handelskrieg, ist es wahrscheinlich, dass das Unternehmensvertrauen sowie die Investitionen höher und die Rezessionsängste hingegen geringer wären.
Die jüngste Inversion der Zinsstrukturkurve sollte daher als Warnzeichen angesehen werden, nicht als Grund zur Panik.
(AVIVA INVESTORS)