Wie definieren Sie Nachhaltigkeit bei der BRW und warum ist die Auswahl Ihrer ESG-Kriterien die richtige für den Anleger?
BASTIAN BOSSE: Nachhaltigkeit beruht in unserem Verständnis auf drei wesentlichen Säulen, nämlich erstens mehr zu geben als man nimmt, zweitens von anderen nur verlangen, was man selbst zu tun bereit ist und drittens mit gutem Vorbild voranzugehen. Mit dem Finger auf andere zu zeigen ist leicht, das eigene Verhalten hingegen kritisch zu hinterfragen und im Sinne von echter Generationen- gerechtigkeit anzupassen schwer. Aufbauend auf diesem Gedanken- fundament kann dann auch echte Nachhaltigkeit gedeihen und Formen annehmen, die über das reine Produktmarketing hinausgehen.
Welche Gesellschaften werden sich in Zukunft durchsetzen und warum?
BASTIAN BOSSE: Schon immer gehörte die Gegenwart jenen Gesellschaften, die ein klares Verständnis von sich und der Zukunft hatten und die in Veränderungen vor allem Chancen sahen. Aus gutem Grund schenken wir heute unseren Kindern zu Weihnachten Smartphones von Apple oder Samsung, während der Name Nokia kaum noch jemandem aus der Generation Z geläufig ist.
Welchen Einfluss werden Umweltaspekte auf künftige Anlegerentscheidungen nehmen?
BASTIAN BOSSE: Waren wir zum Zeitpunkt der Finanzmarktkrise in den Jahren 2008/2009 noch dazu bereit, uns anvertraute Vermögenswerte in Aktien von beispielsweise Glencore zu investieren, hätten und haben wir Gleiches im März 2020 während des „Corona-Crashs“ nicht mehr getan. Eine steigende Anzahl von Marktteilnehmern scheint ähnlich zu denken und lieber die Finger von solchen, für die Umwelt eher zweifelhaften, Geschäftsmodellen zu lassen. Diese kapitale Kraft sollte man nicht unterschätzen, auch und vor allem, da sie ihre Wirkung außerhalb politischer Prozesse schnell und zielgerichtet entfalten kann.
Welche Bewusstseinsveränderung müssen Unternehmen durchlaufen, damit sie das Thema ESG richtig umsetzen?
BASTIAN BOSSE: Unternehmen sollten sich bewusst werden, dass Produkterfolg nicht automatisch auch Börsenerfolg bedeutet. Für Gesellschaften, die vollständig innenfinanziert sind und für die Börsenkurse eher dem interfamiliären Interessenausgleich dienen, mag das von untergeordneter Bedeutung sein. Für die Mehrheit jedoch gilt: Je eher man sich der Chancen und Risiken, die mit dem Thema ESG verbunden sind, bewusst wird, desto eher kann man auch die eigene Vision mit den Märkten teilen und diese auf dem Weg in eine – hoffentlich bessere – Zukunft kommunikativ mitnehmen.
Auf was müssen Anleger achten, wenn sie sich für nachhaltige Produkte entscheiden?
BASTIAN BOSSE: Der Krise der Jahre 2008/2009 voraus gingen Fehleinschätzungen namhafter Rating- agenturen, welchen von Anlegerseite teilweise blind vertraut wurde. Diese „Siegel Gläubigkeit“ beim Übergang zu ESG-konformen Investments zu vermeiden, sollte erste Pflicht eines jedes Anlegers sein.
Wer es ernst meint mit ESG, dem steht der Sinn nicht nach Absolution von prominenter Seite. Vielmehr sollte man die eigene Ernsthaftigkeit im Umgang mit diesem Themenfeld auch bei seinem Gegenüber, sprich dem Produktanbieter, erwarten dürfen. Das zu ergründen, sollte Kern eines jeden Gesprächs sein.
Warum sind Unternehmen, die sich aus eigener Kraft finanzieren, oftmals nachhaltiger als herkömmliche Unternehmen?
BASTIAN BOSSE: Nehmen Sie als Beispiel Tesla, eine Gesellschaft, die von vielen als die automobile Krone der Nachhaltigkeit angesehen wird.
Doch war kaum eine Gesellschaft in den zurückliegenden zehn Jahren stärker auf externe Kapitalgeber angewiesen als Tesla. Neben riesigen Summen, die sich Tesla nur dank seiner US-amerikanischen Wurzeln in Form von Eigen- und Fremdkapital besorgen konnte, hat auch die Politik kräftig subventioniert. So sind dem Unternehmen im Zeitraum 2010 bis 2019 allein aus dem Verkauf von Emissionszertifikaten netto – das heißt nach Abzug von Steuern, die das Unternehmen im gleichem Zeitraum bezahlt hat – mehr als zwei Milliarden US-Dollar zugeflossen. Hinzu kommen weitere Milliarden für die Ansiedlung und den Bau neuer Tesla-Fabriken. Und wofür das alles?
Braucht(e) es denn wirklich noch eine weitere Gesellschaft, die ihre Tätigkeit auf eine leichte Veränderung des Individualverkehrs richtet? Was hätte mit dem Kapital erreicht werden können, wenn es statt in die Förderung des Individualverkehrs in die Verbesserung und Optimierung des Gemeinschaftsverkehrs geflossen wäre? Und was, wenn der Wind sich dreht und vormals lukrative Finanzierungsquellen plötzlich und unerwartet wegfallen? So hat etwa Stellantis kürzlich angekündigt, ab dem Jahr 2022 keine Emissions- zertifikate mehr von Tesla kaufen zu wollen, weil dann die eigene Flotte genügt, um die Vorgaben zu erfüllen.
Für seriöse ESG-Investoren gilt es, sich solche Aspekte fernab von „Best-in-Class“ zu vergegenwärtigen und sie in der eigenen Anlageentscheidung zu berücksichtigen.
Inwieweit unterscheiden Sie sich von Ihren Mitbewerbern?
BASTIAN BOSSE: Es entspricht nicht unserem Verständnis, die Versäumnisse anderer anzuprangern und sich selbst auf diese Weise in ein gutes Licht zu rücken. Lieber richten wir den Blick auf uns selbst und versuchen, das Verhalten der Person, die uns da jeden Morgen im Spiegel begegnet, in positiver Weise zu verändern. So gesehen haben wir uns in den letzten Jahren bereits ein gutes Stück in die richtige Richtung bewegen können, wenn auch nicht immer in der erhofften Geschwindigkeit. Doch stimmen uns die Worte Molières in dieser Hinsicht hoffnungsfroh: „The trees that are slow to grow bear the best fruit“.
Vielen Dank für das Gespräch.