Die Unterschiede in der Geldpolitik der wichtigsten Notenbanken werden den US-Dollar voraussichtlich weiter erstarken lassen, und die Weltwirtschaft wird nur langsam in Schwung kommen. Trotz dieses schwierigen Umfelds sollte sich die Wirtschaft in Europa und Japan nach Einschätzung von Paul Niven, Head of Multi-Asset Investment von BMO Global Asset Management, erholen. Welche Chancen sich Anlegern bieten, erläutert Niven im Interview.
Herr Niven, zum Jahreswechsel wirft man auch immer einen Blick zurück. Was können wir aus der Vergangenheit für das kommende Jahr lernen?
Paul Niven: In den vergangenen fünf Jahren stimmten die Erwartungen der Experten zu Jahresbeginn jeweils stark überein: Sie prognostizierten, dass das weltweite Wirtschaftswachstum steigt, sich der globale Handel erholt, es an ausländischen Märkten eher limitierte Bewegungen mit stabilen bis steigenden Rohstoffpreisen gibt und der disinflationäre Druck sinkt. Auch für das Jahr 2016 sind die Erwartungen ganz ähnlich und optimistisch, aber in jedem der vorangegangenen Jahre wurden diese bullishen ökonomischen Erwartungen zunichtegemacht. Investoren mussten sich regelmäßig mit mittelmäßigem und uneinheitlichem Wachstum zufriedengeben.
Das klingt recht negativ. Zeichnen sich angesichts unterschiedlicher geldpolitischer Maßnahmen auch positive Tendenzen ab?
Niven: Durchaus. Bei der Geldpolitik gibt es klare Divergenzen zwischen den USA und Großbritannien einerseits, wo die Liquidität wahrscheinlich zurückgeht, und Europa und Japan andererseits, wo es wohl eher zu einer weiteren geldpolitischen Lockerung kommt. Obwohl Schwellenländer insgesamt eine sehr heterogene Gruppe sind, stehen sie ähnlichen makroökonomischen Herausforderungen gegenüber, die sie voraussichtlich noch längere Zeit beschäftigen werden. Man könnte annehmen, dass eine moderate Anhebung der Zinsen in den USA von der lockeren Geldpolitik in anderen Ländern mehr als kompensiert wird. Aber eine solche Sicht birgt signifikante Risiken, wenn man die große Bedeutung der Liquidität des US-Dollars für die internationalen Finanzmärkte berücksichtigt. Aber auch wenn die Wachstumskurve weiterhin flach und anfällig für Schocks bleibt, wird die zusätzliche Liquidität, die durch die Zentralbanken in Europa, Japan und China bereitgestellt wird, die Weltwirtschaft und die Finanzmärkte vor bedrohlicheren Szenarien schützen. Prognosen über die Entwicklung der Volatilität waren für das Jahr 2015 leicht zu treffen und fallen auch für das kommende Jahr sehr ähnlich aus wie im vergangenen Jahr.
Welche Anlageregionen sind aus Ihrer Sicht unter diesen Umständen besonders attraktiv?
Niven: Unter der Annahme, dass die USA einen wesentlichen Abschwung im Laufe des nächsten Jahres vermeiden werden und das Wachstum anderswo weiterhin steigt, setzen wir geographisch vorerst auf Europa und Japan. In diesen Regionen haben wir höhere Gewichtungen als noch vor einem Jahr. In den USA haben nur wenige Aktien den Markt nach oben gebracht und es gibt beunruhigende Zeichen, dass auf breiterer Ebene Margen und Profitabilität bereits ein hohes Niveau erreicht haben könnten. Nach gängiger Meinung sollten nach einer langen Phase der Underperformance vor allem „Value“-Aktien von einer Erhöhung der Zinsen profitieren und den Markt anführen. Allerdings gibt es derzeit keine Anzeichen, dass ein solcher Wendepunkt bereits erreicht ist. Wenn das weitere makroökonomische Umfeld bestehen bleibt, werden moderate Zinserhöhungen nicht ausreichen, um das Augenmerk der Anleger von den Qualitäts- und Wachstumseigenschaften abzulenken, die bis zum jetzigen Zeitpunkt für gute Erträge gesorgt haben.
Die Emerging Markets und der Rohstoffsektor haben im Jahr 2015 stark gelitten. Wie sehen Sie die Chancen für Investments?
Niven: Investitionen in Schwellenländern und an Rohstoffmärkten werden weiterhin eine wichtige Rolle in den Überlegungen von Anlegern spielen. Short-Positionen hätten hier in den vergangenen Jahren sehr starke Relative Returns gebracht. In Anbetracht des extrem schlechten Abschneidens dieser Bereiche sollten sich nonkonformistische Investoren fragen, wann der Zeitpunkt gekommen ist, in Long-Positionen zu wechseln. Abgesehen von kurzfristigeren taktischen Erwägungen, gehe ich aber nicht davon aus, dass 2016 ein herausragendes Jahr für Rohstoffproduzenten wird. Auch wenn der Preisverfall bei Rohstoffen so enorm ist, dass der Tiefststand eigentlich bereits erreicht sein könnte, sehe ich derzeit keine Anhaltspunkte für einen nachhaltigen Aufwärtstrend. Die Divergenzen in der Geldpolitik machen es Zentralbanken kleinerer Länder schwerer, Geldflüsse zu kontrollieren. Innerhalb der Gruppe der Schwellenländer ist es daher nach wie vor ratsam, sich auf Märkte zu konzentrieren, die gegenüber externen Einflüssen relativ unempfindlich sind, über eine angemessene heimische Liquidität verfügen, ein stabiles politisches Umfeld haben und eine gute Perspektive für strukturelle Reformen bieten.