Gerade der Herbst ist verlockend, denn dann ist die Hopfenernte abgeschlossen, und man braut wieder dunklere, stärkere Biere für die goldene Jahreszeit. Eine Entdeckungstour auf den Spuren des tschechischen Bieres zeigt, wie vielseitig einsetzbar es ist und an welch ungeahnten Orten Reisende in seinen Genuss kommen.
Nationalgetränk Bier – ein historischer Schlenker
Unser Nachbarland begeistert Bierliebhaber mit Qualität und Traditionsbewusstsein: Das tschechische Nationalgetränk ist nicht nur auf der ganzen Welt bekannt, sondern zählt auch im internationalen Vergleich zu den besten Bieren. Und dass die Tschechen selbst ihren Gerstensaft lieben, zeigen die Zahlen. So trinken sie global gesehen das meiste Bier. Auf einen Einwohner kommen rund 140 Liter pro Jahr – im Vergleich: Die Deutschen landen auf Platz zwei, mit etwa 130 Liter pro Kopf und Jahr. Auch was die Brauerdichte angeht übetrifft Tschechien Deutschland um mehr als das doppelte, so gibt es in Tschechien eine Brauerei auf 20.000 Einwohner, in Deutschland sind es 50.000 Einwohner.
Zeitreise gefällig?
Die Kunst des Bierbrauens ist eine jahrhundertealte Tradition in Tschechien: Schon im Mittelalter wurde in den Klöstern des Landes Bier gebraut. Nachdem mit der Zeit das alleinige Recht der Mönche, Bier zu brauen, gelockert wurde, begannen immer mehr Städte und Familienbrauereien, ihr eigenes Bier zu brauen, was die heutige Vielfalt an tschechischem Bier erklärt. Das bekannteste tschechische Bier ist das Pilsner Urquell, ein untergäriges Lagerbier mit intensivem Hopfenaroma. Das Bier wird in der Brauerei Plzeňský Prazdroj im westböhmischen Pilsen gebraut. Schon 1307 erhielt seine Heimatstadt Pilsen das Braurecht, es dauerte aber noch bis 1842 bis der bayerische Braumeister Josef Groll am 5. Oktober das erste Bier nach Pilsener Brauart herstellte. Schnell erfreute es sich über die Landesgrenzen hinweg großer Beliebtheit, weshalb 1898 die Schutzmarke Pilsener Urquell eingetragen wurde. Populär sind auch das Budweiser Budvar (Budějovický Budvar) aus dem südböhmischen Budweis sowie Marken wie Gambrinus, ein Bier nach Pilsener Brauart, Radegast und das unaussprechliche Velkopopovický Kozel. Für Autofahrer liegt die Alkoholgrenze im Nachbarland bei null Promille, weswegen auch immer mehr alkoholfreie Biersorten angeboten werden. Ein Mischgetränk wie das „Diesel“ genannte Cola-Bier würde übrigens kein Tscheche freiwillig trinken. Die alkoholfreie Alternative zum Bier für den Sommer ist die beliebte tschechische Limonade Kofola.
O‘zapft is auf tschechische Art
Zu Ehren des tschechischen Bieres veranstaltet Tschechien üblicherweise übers ganze Jahr hinweg, aber insbesondere in den Spätsommer- und frühen Herbstmonaten, Bierfeste, an denen Besucher die verschiedenen Biersorten verkosten können. Zahlreiche Brauereien bereiten dann speziell zu diesem Anlass besondere Biersorten zu wie kalt gehopftes, unfiltriertes Bier, oder Spezialitäten mit würzigen Aromen wie Kaffee. Begleitet werden die Bierfeste von musikalischen Darbietungen, Folklore, Kunst- und Handwerksständen, an denen Produkte aus eigener Herstellung.
Bier-Boom: Von der Kult- bis zur Minibrauerei
Aber tschechisches Bier ist mehr als seine Traditionsbiere – für Liebhaber des Gerstensaftes gibt es über 50 unter der Schutzmarke „Tschechisches Bier“ registrierte Biermarken und über 500 tschechische Biere, die von den sechs größten Kultbrauereien bis hin zu lokalen Familienbetrieben hergestellt werden. Die Passion der Tschechen für ihr Nationalgetränk wird allein durch die zahlreichen Minibrauereien deutlich – an die 440 gibt es in Böhmen, Mähren und Schlesien. Bei einem Besuch einer Stadt sollten Gäste stets die lokale Sorte probieren, die kleinen Brauereien grenzen häufig direkt an ein uriges Gasthaus an und Besucher können dort tschechische Braukunst live miterleben. Traditionell wird das tschechische Bier frisch gezapt und in den gemütlichen Bierstuben (pivnice) in einem Halbliterglas getrunken. Eine Übersicht zu den Brauereien gibt es unter: https://pdf.czechtourism.com/karte_der_brauereien/
Aktiv das tschechische Bier erleben
Sportlich dem tschechischen Bier begegnen? Eine abwechslungsreiche Gelegenheit bieten dafür zum Beispiel die Bierpfade in Südböhmen, bei denen Interessierte zu Fuß oder auf dem Fahrrad bekannte Kultmarken und kleine Familienbetriebe entdecken und dabei auch in den Genuss der ein oder anderen Kostprobe kommen können. Und wer es etwas schweißtreibender mag, der kann im größten Gebirge Tschechiens, dem Riesengebirge, den Riesengebirgs-Bierpfad ausprobieren und eine ausgiebige Wanderung entlang hoher Berge, weiter Täler und unzähliger Wasserläufe mit einer kühlen Erfrischung krönen. Weitere Infos unter: http://bit.ly/visitczechrepublic_BierpfadeInSuedboehmen und https://krkonosskapivnistezka.cz/de
Wellness mal anders: Bierbaden als böhmisches Heilverfahren
Im Bierschlaraffenland Tschechien können Besucher zur Entspannung sogar ein Bierbad nehmen, eine böhmische radition, die in verschiedenen Städten Tschechiens, zum Beispiel in der Minibrauerei Purkmistr in Pilsen, angeboten wird. Das warme Bad enthält Hopfenextrakte, Brauereihefe und Malz, wobei die Aromen sich wohltuend auf den Körper auswirken. Um das Erlebnis abzurunden, bekommen Erholungssuchende immer auch ein kühles Bier zur Erfrischung. Na dann zum Wohle, oder wie es in Tschechien heißt „Na zdraví!“ Weitere Infos unter: http://bit.ly/visitczechrepublic_BierSpaUndWeinbaeder und www.purkmistr.cz/de/
Gerstengenuss für den Gaumen: Kochen mit tschechischem Bier
Dass das tschechische Bier tief in der Kultur des Landes verwurzelt ist und nicht nur gekühlt und frisch gezapft schmeckt, zeigen auch die zahlreichen herzhaften Gerichte, die traditionell mit Bier hergestellt werden: Die Bandbreite reicht von deftiger Hausmannskost wie Schweinshaxe in dunkler Biersauce bis hin zu feinen, leicht bekömmlichen Fischgerichten, wie im Biersud gedünsteten Karpfen. Aber nicht nur herzhafte Speisen bekommen durch das tschechische Bier einen samtigen, leicht herben Geschmack, auch Süßspeisen erhalten durch das Malzgetränk eine besondere Note. Besonders empfehlenswert zum Kaffee ist der tschechische Bierstrudel, eine Bierteig-Spezialität, gefüllt mit Äpfeln, Rosinen, Mandeln, Zucker und Zimt. Weitere Infos unter: http://bit.ly/czechspecials_BieralsKochzutat und http://bit.ly/czechspecialscz_RezeptKnusprigeSchweinshaxeinSchwarzbier
Die kleinen Unterschiede – eine Einführung in den tschechischen Biergenuss
„Bier“ heißt auf Tschechisch „pivo“, mit kurzem i gesprochen. Man unterscheidet zwischen einem kleinen (0,3 Liter) und einem großen Bier (0,5 Liter). Auf der Karte liest sich das als „malé“ bzw. „velké“ pivo. Wenn man ein „pivo“ bestellt, bekommt man dann selbstverständlich ein 0,5er-Glas serviert – im Nachbarland geht man davon aus, dass der Gast wirklich Durst hat.
- In der Getränkekarte findet man häufig die Angaben zur Stammwürze. Die Gradzahl Plato gibt die Stammwürze des Bieres an, also die Zusammensetzung von Malzzucker, Eiweiß und Mineralien. Je höher die Gradzahl, desto kräftiger schmeckt das Bier. Und auch der Alkoholgehalt steigt, je höher die Stammwürze ist: So enthalt das bei 10° Plato gebraute Bier oder auch schlicht „das Zehner“ zwischen 3,5 und 4,5 Prozent Alkohol. Wer sich ein „Zwölfer“ gönnt, wird die darin enthaltenen 4,5 bis 5 Prozent Alkohol schon früher in Kopf und Füßen spüren. Darüber hinaus gibt es spezielle Editionen mit 11 Grad oder 13 Grad zu besonderen Anlässen wie Bierfestivals.
- Auf tschechischen Getränkekarten findet man bisweilen Bier in drei Farben: helles, dunkles und „geschnittenes“ Bier. Letzteres ist ein Verschnitt aus hellem und Dunkelbier zu gleichen Teilen – bei uns weniger bekannt, bei unseren Nachbarn jedoch geläufig.
- In Tschechien unterscheidet man auch gern nach dem Zapfstil. Die Menge des Schaumes ist hier das Maß aller Dinge. Bekommt man ein großes „hladinka“, wörtlich: Wasserspiegel, so ist das Glas voll, und die nur kleine Schaumkrone reicht exakt bis an den Rand. Bei einem „šnyt“, also einem Schnitt, hat man ein kleines Bier in einem großen Glas vor sich, wenig Bier und viel Schaum – eine Option für alle, denen ein ganzes Glas zu viel ist, oder als Schlummertrunk, bevor man sich auf den Heimweg macht. Wer eine Milch an der Bar bestellt, ein „mlíko“, bekommt ein großes Glas voller Schaum vorgesetzt. Dem Baarkeeper hier schlechte Zapffertigkeiten zu unterstellen wäre unfair, denn die schaumige Spezialität wird wegen ihres feinen, leicht süßen Geschmacks geschätzt. Mehr dazu mit Bildern unter: https://bit.ly/34b3kQ7
- Ein beliebter Trinkspruch ist das „Anstoßen à la Stromkreis“. Man prostet sich mit den Worten zu: „Katoda – Anoda – Chladič – Spotřebič!“. Dabei stößt man zuerst mit dem oberen Glasrand an, dann mit dem Glasboden, dann mit dem Glasboden auf den Tisch. Und auf „Spotřebič“ nimmt man schließlich einen großen Schluck. Bei der verkürzte Variante zu den Worten „Na zdraví“ stößt man einfach an, klopft mit dem Glasboden auf den Tisch und trinkt ganz unzeremoniell.
- uwelehmann/surpress