Die Notwendigkeit, Kapital zu mobilisieren, um den Übergang zu einer gerechteren, CO2-neutralen Wirtschaft zu beschleunigen, war noch nie so akut, und der EU-Aktionsplan: „Finanzierung nachhaltigen Wachstums“ als Teil des europäischen Green Deals noch nie so relevant wie jetzt.
Trotz vieler kurzfristiger Herausforderungen dürfte der Aktionsplan die Aktivierung nachhaltiger Finanzmittel beschleunigen und damit die Führungsrolle der EU stärken. Er könnte als Modell für Regulierungsbehörden weltweit dienen, die nach einem standardisierten Ansatz für nachhaltige Finanzmittel suchen.
Die Finanzmarktteilnehmer sollten aus unserer Sicht dieser Initiative positiv gegenüberstehen, da sie Anlegern, Finanzinstituten, Unternehmen und Emittenten Klarheit und Transparenz in Bezug auf eine Vielzahl von Nachhaltigkeitsmaßnahmen verschafft. Letztlich ermöglicht dies Fondsgesellschaften und Anlegern, fundierte Entscheidungen über nachhaltige Investitionen zu treffen.
Zum Hintergrund: Der EU-Aktionsplan: „Finanzierung nachhaltigen Wachstums“ wurde 2018 als Teil des europäischen Green Deals im Einklang mit dem Pariser Abkommen von 2015 und der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung erstellt. Der Plan erhöhte die Klimaziele der EU und zielt darauf ab, dass die EU bis 2050 klimaneutral wird. Er wurde inzwischen durch die EU-Strategie 2021 zur Finanzierung des Übergangs zu einer nachhaltigen Wirtschaft ergänzt.
Der EU-Aktionsplan: „Finanzierung nachhaltigen Wachstums“ hat drei Hauptziele: die Neuausrichtung der Kapitalflüsse hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft, die Einbettung der Nachhaltigkeit in das Risikomanagement und die Förderung von Transparenz und Langfristigkeit.
Das Ganze beinhaltet sowohl Herausforderungen als auch Chancen für die Finanzbranche. Politische Entscheidungsträger, Finanzmarktteilnehmer und Unternehmen müssen den Plan und die Regeln dahinter umsetzen. Außerdem müssen noch diverse Standards festgelegt werden, beispielsweise für europäische Green Bonds durch die EU-Kommission.
Strukturelle Herausforderung
Der Rechtsrahmen des EU-Aktionsplans ist komplex. Da er aus mehreren Bausteinen besteht, ist es für die Akteure schwierig zu verstehen, welche Komponente für wen gilt. Um Anlageexperten auf dem neuesten Stand zu halten, muss ein Unternehmen zum Beispiel interne ESG-Datenintegrationssysteme, ESG-Schulungsinstrumente und -plattformen entwickeln und aktualisierte Inhalte abteilungsübergreifend austauschen.
Herausforderung: Umsetzung
Aufgrund der unterschiedlichen Zeitpläne für die ESG-Regulierungen sind die Finanzmarktteilnehmer mit einem konkreten Umsetzungsproblem konfrontiert. Während einige Vorschriften sofort anzuwenden sind, benötigen andere länger für die vollständige Umsetzung. So wird beispielsweise die Taxonomie-Verordnung schrittweise eingeführt.
Herausforderung: Datenverfügbarkeit
Die Finanzmarktteilnehmer stehen vor dem Problem der Datenverfügbarkeit, weil sie über Themen berichten müssen, für die es noch keine Daten gibt. So müssen sie beispielsweise den Grad der Nachhaltigkeit ihrer Produkte offenlegen, auch wenn die Unternehmen, in die sie investieren, noch nicht verpflichtet sind, dies selbst zu tun. Zahlen und Daten können aktuell den Erwartungen der Regulierungsbehörden nicht vollständig entsprechen.
In dieser ersten Phase der Umsetzung der gesamten EU-Taxonomie müssen sich die Finanzmarktteilnehmer im Wesentlichen noch auf geschätzte Daten verlassen. Künstliche Intelligenz und besseres Datenresearch sind aber bereits auf dem Vormarsch, um die Verlässlichkeit der Daten zu optimieren.
Herausforderung: Interpretation der Regeln
Die europäischen Aufsichtsbehörden haben im September der Europäischen Kommission weitere Fragen zur Auslegung der Offenlegungsverordnung (Sustainable Finance Disclosure Regulation, SFDR) vorgelegt. Unterschiedliche Auslegungen von Schlüsselbegriffen, wie z.B. „nachhaltige Investition“, können erhebliche Auswirkungen auf Fondsmanager haben, die sich verpflichten, bis Ende Dezember 2022 einen Mindestanteil in nachhaltige Investitionen zu investieren.
So bestehen nach wie vor akute Auslegungsprobleme, so auch bezüglich Verbindungen zwischen der Definition von nachhaltigen Investitionen, dem Ziel und deren Wirkung.
Trotz der operativen Herausforderungen bietet der EU-Aktionsplan mittel- bis langfristig zahlreiche Chancen für den Finanzsektor. Mit dem Aufkommen der ESG-Integration in die Analyse und Entscheidungsfindung bei Investitionen und deren durchgängiger Berücksichtigung durchlaufen die Finanzmärkte einen tiefgreifenden Wandel, der mit einer enormen Nachfrage einhergeht.
Europas Modell für die Welt
Obwohl die Vorschriften des EU-Aktionsplans per Definition europäisch sind, haben sie globale Auswirkungen. Investment-Kunden weltweit könnten sich also zukünftig daran orientieren, was zum Beispiel ein nach Artikel 8 oder 9 der EU-Offenlegungsverordnung klassifiziertes Finanzprodukt leisten muss.
Darüber hinaus werden diese Vorschriften die Mobilisierung nachhaltiger Finanzmittel beschleunigen, die Führungsrolle der EU in diesem Bereich stärken und als Modell für Regulierungsbehörden weltweit dienen.
Die Umsetzung des Aktionsplans hat bereits einige positive Auswirkungen auf die Entwicklung eines nachhaltigen Finanzwesens, da die Finanzmarktteilnehmer ihre Strategien und Transparenzstandards verbessert haben, um den Regeln zu entsprechen. Die nachhaltige Finanzwirtschaft entwickelt sich von einer Nische zu einem standardisierten und regulierten Umfeld.
In einer Zeit, in der ESG- und nachhaltige Finanzpraktiken verstärkt unter die Lupe genommen werden, sollte der EU-Aktionsplan: „Finanzierung nachhaltigen Wachstums“ als Leuchtturm für mehr Transparenz und verbesserte Standards dienen.
(Amundi Research Institute / Manuela Blisse /surpress)