Nachhaltigkeit

Der Klimawandel wird an den Kapitalmärkten zu Verwerfungen führen

Die Wissenschaft ist sich weitgehend einig: Die bisher ergriffenen Maßnahmen zum Schutz des Weltklimas werden wohl nicht ausreichen, um den globalen Temperaturanstieg wirksam begrenzen zu können.

Diese Erkenntnis hat erhebliche Folgen nicht nur für Mensch und Natur, sondern auch für die Wirtschaft und für Investoren. Darauf wies zum Ende des vergangenen Jahres die internationale Investorenorganisation Principles for Responsible Investment (PRI) hin. Die These der um die nach haltige Kapitalanlage bemühten Organisation mit weltweit über 2.700 Mit gliedern ist so einfach wie einleuchtend. Angesichts nur mäßiger Erfolge beim weltweitweiten Klimaschutz wird die Politik stärker unter Handlungsdruck geraten und mit weiteren klimapolitischen Maßnahmen kurz- und mittelfristig verstärkt in die Märkte eingreifen.

Dass der Druck auf die Politik tatsächlich zunimmt, ließ sich erst kürzlich in den Niederlanden beobachten. Dort hatte das oberste Gericht des Landes die Regierung im Dezember dazu verpflichtet, den Ausstoß von Treibhausgasen bis Ende 2020 um mindestens 25 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken. Das Gericht stützte sein Urteil auf die UN-Klimakonvention und gesetzliche Verpflichtungen des Staates zum Schutz des Lebens und Wohlbefindens der Bürger. Diese Verpflichtungen seien in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert. Eine Berufung ließ das Gericht nicht zu.

Neue klimapolitische Handlungsimpulse sind auf gesamteuropäischer Ebene zudem von der EU-Kommission zu erwarten. Der von der neuen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ausgerufene „Green Deal“ ist das größte und wichtigste Projekt der EU-Kommission und wird zweifellos auf die Gesetzgebung aller EU-Mitgliedsstaaten abstrahlen. Auch in anderen Teilen der Welt wächst der Druck. Noch sträubt sich die australische Regierung zwar, infolge der verheerenden Brände im Land ihre Klimapolitik zu überdenken und setzt weiterhin verstärkt auf Kohle. Ob sie diese Haltung wird durchhalten können, ist allerdings mehr als zweifelhaft.

Die unvermeidliche Antwort der Politik

Es braucht also keine besondere prophetische Begabung, um zu erkennen, dass die Politik künftig zwangsläufig ein noch stärkerer Treiber beim nachhaltigen und klimaneutralen Umbau der Wirtschaft sein wird. Dennoch sind Finanzwirtschaft und Investoren nach Auffassung der PRI auf die damit verbundenen disruptiven Veränderungen bislang nur unzureichend vorbereitet. „Heute haben die Märkte die Auswirkungen der kommenden klimapolitischen Maßnahmen noch nicht wirklich eingepreist“, sagt Fiona Reynolds, CEO der Investorenorganisation. „Die klimapolitischen Risiken für die Portfolios von Anlegern sind noch nicht adressiert. Jetzt muss schnell gehandelt werden.“

Hilfestellung soll hierbei eine von PRI und weiteren Partnerorganisationen vorgelegte Studie unter dem Titel „The Inevitable Policy Response“ leisten. Detailliert zeigt diese auf, in welchen Bereichen die Politik der globalen Wirtschaft künftig weitere Vorgaben machen wird und welche Auswirkungen dies auf unterschiedliche Sektoren haben wird. Dabei greifen die Studienmacher auf zahlreiche bereits bekannte oder angekündigte politische Regulierungsinitiativen zurück und verdichten diese zu einem Szenario. So ist beispielsweise schon heute bekannt, bis wann verschiedene Länder rund um den Globus die Zulassung von Benzin- und Dieselautos in ihren Hoheitsgebieten vollständig verbieten wollen. In Norwegen soll dies bereits 2025 geschehen, in China 2030 und in Frankreich spätestens bis 2040. Dass derartige Entscheidungen weitreichende Auswirkungen auf die Automobilhersteller und deren Zulieferfirmen haben werden, liegt auf der Hand. Der Absatz von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor wird rapide zurückgehen und bis 2050 auf Null fallen.

Elektrische Fahrzeuge und solche mit alternativen Antrieben hingegen verzeichnen ein kräftiges Marktwachstum. Für Investoren heißt das: Erhebliche Neubewertungen von Unternehmen aus der Autobranche sind vor diesem Hintergrund gewiss. So erwartet die PRI-Studie, dass Investoren bei Unternehmen, denen der Veränderungsprozess am besten gelingt, mit einem Wertzuwachs von bis zu 108 Prozent rechnen können. Anders sieht es mit den Nachzüglern aus, bei denen elektrische oder alternative Antriebstechniken eine untergeordnete Rolle spielen. Diese haben mit Bewertungsabschlägen in Höhe von bis zu 34 Prozent zu kämpfen.

Alle Sektoren sind betroffen

PRI geht davon aus, dass grundsätzlich alle Sektoren der Wirtschaft von regulatorischer Disruption betroffen sein werden und dass es daher bei vielen Unternehmen zu Neubewertungen kommen wird. „Jedes fünfte der weltweit wertvollsten Unternehmen ist von Bewertungsveränderungen in Höhe von mindestens zehn Prozent in beide Richtungen betroffen”, sagte Fiona Reynolds. „Gewinner können ihre Bewertungen mehr als verdoppeln, während die Verlierer sich auf erhebliche Wertminderungen von einem Drittel oder deutlich mehr einstellen müssen.” Neben der Autobranche dürfte vor allem der Energiesektor betroffen sein. Hier verlieren die zehn größten Unternehmen in der Öl- und Gasexploration und -produktion nach Schätzungen der Studie fast ein Drittel an Marktkapitalisierung. Aber auch in der Agrarwirtschaft sollten sich Anleger auf Neubewertungen einstellen. Nachfrageveränderungen begünstigen dort umweltfreundlich hergestellte landwirtschaftliche Produkte, während Rechts-, Marktzugangs- und Boykottrisiken den Wert von Unternehmen gefährden, die mit nicht nachhaltigen Praktiken in der gesamten Lieferkette in Verbindung gebracht werden. Für stark exponierte Produzenten kritischer Produkte wie zum Beispiel Soja, Rindfleisch und Palmöl in risikobehafteten Ländern wie Brasilien und Indonesien könnte der potenzielle Wertverlust 35 bis 43 Prozent betragen.

Wenngleich einige Branchen vom klimaneutralen Umbau der Wirtschaft besonders betroffen sein werden, wirken sich die tiefgreifenden Veränderungen an den Märkten grundsätzlich auf eine deutlich größere Anzahl an Unternehmen auch aus anderen Sektoren aus. Die Disruption wird kein begrenztes Ereignis sein. So geht die Studie davon aus, dass die im MSCI ACWI Index enthaltenen Unternehmen bis 2025 insgesamt Bewertungsabschläge von 3,1 bis 4,5 Prozent hinnehmen müssen. Das entspricht einem Volumen von 1,6 bis 2,3 Billionen US-Dollar. Ähnliches gelte für bis zu einem Drittel der im FTSE100 enthaltenen Titel. Angesichts dieser Aussichten sollten Anleger das Thema der klimapolitischen Regulatorik schnell auf ihre Agenda nehmen.

(MG)

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