Eigentlich stellt sich die Frage, ob Sie nachhaltig investieren sollten, nicht mehr. Und das unabhängig davon, ob Sie Gutmensch, Schlechtmensch, öko-soziale Überzeugungstäterin, gewinnmaximierender Investor, ethischmoralischer Kapitalanleger oder Finanz- Agnostikerin oder was auch immer sind. Nachhaltigkeit wird nämlich immer mehr zur Daseinsgrundlage beziehungsweise Investment-Maxime, ohne die ein vernünftiges Wirtschaften eigentlich heute schon nicht mehr stattfinden kann. Denn Grundlage jedes Wirtschaftens sind eine intakte Umwelt und ein gesundes, gesellschaftliches Miteinander.
Lassen Sie uns in dieser Kolumne beispielhaft bei der Artenvielfalt bleiben. Besser gesagt beim Wirtschaftsfaktor Biodiversität. 1987 ist Nachhaltigkeits-Interessierten als das Jahr des Brundtland-Berichts „Unsere gemeinsame Zukunft“ bekannt. Darin beschrieb die gleichnamige, damalige norwegische Ministerpräsidentin ein Konzept nachhaltiger Entwicklung. Es war der Beginn eines weltweiten Diskurses über damals noch nicht sogenannte ESG-Themen.
1987 erschien – damals belächelt – gleichzeitig das Buch „Der Wert eines Vogels“ des Biochemikers Frederic Vester. Darin bezifferte der Universitätsprofessor den Wert eines Blaukehlchens auf 301,38 DM. Die ökonomische Bedeutung dieses kleinen Singvogels, um dessen Erhalt sich Naturschützer in der Folge erfolgreich bemühten, besteht in seiner Rolle als Schädlingsbekämpfer, Verbreiter von Samen, Freudenspender fürs menschliche Gemüt sowie als Bioindikator für Umweltbelastungen. Für eine hundertjährige Buche kam der Umweltwissenschaftler übrigens in einer späteren Kalkulation auf eine Summe von 271.000 Euro (wovon der reine Holzwert nur einen Bruchteil darstellte).
Weltweit gab es bislang nur zwei Versuche, die globalen „Ökoleistungen“ von Mutter Natur monetär zu beziffern. Die Bereitstellung fruchtbarer Böden, die Bestäubung von Nutzpflanzen, die Stabilisierung des Klimas, die Reinerhaltung von Luft und Wasser und viele andere, meist rückkoppelnde Ökosysteme wurden vor knapp 15 Jahren auf insgesamt 125 Billionen US-Dollar geschätzt. Das Doppelte des weltweiten Bruttoinlandsprodukts.
Wir Menschen brauchen Pflanzen als Lebensgrundlage und Nahrung. Pflanzen brauchen wiederum Insekten, um sich zu vermehren. Unser Ökosystem hat sich über Millionen von Jahren perfektioniert und aufeinander abgestimmt: Ein Massensterben wie aktuell hat dramatische Auswirkungen auf das Nahrungsnetz. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass es eine intakte Natur im Kampf gegen die Erderhitzung braucht: Wälder und Meere nehmen CO2 aus der Atmosphäre auf und geben dafür Sauerstoff frei. 40 Prozent der Weltwirtschaft basieren laut den Vereinten Nationen auf Naturprodukten und biologischen Prozessen. Schätzungen der OECD zufolge verlor die Welt bis zu 20 Billionen US-Dollar jährlich an Ökosystemleistungen allein aufgrund von Änderungen in der Landnutzung und rund zehn Billionen US-Dollar jährlich aufgrund von Landverschlechterung.
Was das nun alles mit (mehr) Nachhaltigkeit in Ihrer Geldanlage zu tun hat? Ganz einfach: Unternehmen wälzten bislang einen Großteil dieser sogenannten externen Effekte auf Umwelt und Mensch ab, da sie für die von ihnen verursachten Kosten nicht zahlen mussten. Dabei werden die Auswirkungen, die unser Wirtschaftssystem auf die planetaren Grenzen unserer Erde haben, immer augenscheinlicher. Verantwortungsträger aus Politik und zunehmend auch selbstkritische Konzernlenkerinnen und -lenker erkennen dies und versuchen, umzusteuern. Der CO2-Preis ist ein erstes Beispiel zur Internalisierung dieser externen Kosten. Durch kürzlich verabschiedete Bilanzierungsstandards in Europa, die auch Einzug in weltweite Rechnungslegungen halten, wird das Prinzip der doppelten Wesentlichkeit aber auch ganz allgemein zum verstärkten Maßstab unternehmerischen Handelns – wenn auch erst als zaghafter und Lobby-aufgeweichter Anfang. Aber immerhin ist der Grundstein gelegt. Die doppelte Wesentlichkeit bringt das Konzept der Materialität in der Berichterstattung in puncto Nachhaltigkeit einen Schritt weiter: Nach diesem Prinzip müssen Unternehmen nämlich sowohl darüber berichten, wie sich Nachhaltigkeitsthemen auf ihr Geschäft auswirken („outside in“), als auch darüber, wie sich ihre Aktivitäten auf Gesellschaft und Umwelt auswirken („inside out“).
Geldanlagen, die diese Aspekte bereits berücksichtigen oder – noch viel besser – konkrete Ziele formulieren, inwieweit die jeweiligen Investitionen einen Beitrag zur Lösung spezifischer ökologischer oder sozialer Herausforderungen leisten, sind zukunftsfähig aufgestellt und tragen damit der jetzt schon unabdingbaren Integration von Nachhaltigkeits-Themen ins Investment- Management Rechnung.
Bevor Sie nun aber denken, mit einer nachhaltigen Ausrichtung Ihres Vermögens sei alles getan in Sachen Weltrettung: Die Finanzwirtschaft ist ja nur EIN Teil der notwendigen Transformation unserer Wirtschaftsweise. Die Realwirtschaft und wir alle als Konsumierende sind der viel wichtigere Teil, um Mutter Erde wieder für uns Menschen lebenswerter zu gestalten. Es liegt also auch an jedem Einzelnen von uns – an unserem Investitions-, aber vielmehr an unserem Konsumverhalten!
ROLAND KÖLSCH