Die vielleicht dringendste Herausforderung unserer Zeit ist die Frage, wie wir uns von den Folgen der Corona-Krise erholen können. Bevor diese gelöst werden kann, muss vorab definiert werden, in was für einer Welt wir in Zukunft leben möchten?
Daher ist es wichtig, die derzeitigen Umbrüche und die neuen Wachstumsparadigmen in Beziehung zu setzen, da sich nur so verträgliches Wachstum erzeugen lässt, so eine Studienreihe der Privatbank Donner & Reuschel in Zusammenarbeit mit dem Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut.
Die zentralen Fragen dabei sind, wie Wachstum erzeugt werden kann, um die Erholung schnell einzuleiten und um Arbeitslosigkeit und Schuldenkrisen zu vermeiden, und welche Art des Wachstums zur Lösung der strukturellen Probleme gebraucht wird?
CO2-Emissionen drastisch reduziert
Die wohl größte Herausforderung der nächsten Jahrzehnte besteht in der Vermeidung eines zu starken Klimawandels, also eines globalen Temperaturanstiegs von mehr als maximal zwei Grad Celsius. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die CO2-Emissionen drastisch reduziert werden und die globalen Emissionen bis spätestens 2050 bei null liegen müssen.
Die Erreichung dieses Ziels ist wohl nur durch zwei Maßnahmen zu erreichen: Den Konsum CO2-intensiver Güter für einen schnellen Reduktionserfolg zu reduzieren und das Wachstum durch technischen Fortschritt von fossilen Energieträgern und damit von CO2 zu entkoppeln.
Die notwendigen Antworten auf den Klimawandel erzeugen also in diesem Sinne ein eigenes Wachstumspotenzial, denn klimaneutrale Güter müssen mit klimaneutralen Verfahren produziert werden.
Wachstumstreiber digitale Transformation
Ein wesentlicher Wachstumstreiber wird auch die digitale Transformation sein. In ihren Auswirkungen ist sie mit der Industrialisierung gleichzusetzen, doch wird sie disruptiv verlaufen, was strukturelle und technologische Arbeitslosigkeit, Firmenpleiten und Volatilität impliziert.
Im Kern aber wird es sich um einen Wachstumsprozess handeln, da sich die Produktionsmöglichkeiten durch verschiedene Prozess- und Produktinnovationen stark erweitern werden. Die Corona-Krise hat der Digitalisierung in vielen Bereichen einen Schub verliehen, was an den Umsätzen und der Börsenbewertung großer Digitalplattformen, wie Amazon, deutlich wird.
Lebensalter 150 Jahre?
Ein enormes Wachstumspotenzial versprechen auch neue Technologien, wie etwa Künstliche Intelligenz (KI), die Quantentechnologie oder Bio- und Gentechnologien. Letztere verheißen sogar Möglichkeiten, das menschliche Lebensalter auf über 150 Jahre auszudehnen. Weitere sogenannte „Moonshots“ versprechen auf längere Sicht große Wachstumspotenziale auf neuen Technologie- und Entwicklungspfaden.
Es ist offenkundig, dass mit neuen Technologien zwar bestehende Probleme gelöst werden können, aber auch neue Probleme entstehen, was das Rad des Fortschritts nur weiter antreibt.
Nachfrageanstieg Lebensmittel, Gesundheit, Mobilität
Ein zentraler Wachstumstreiber der Zukunft ist auch das globale Bevölkerungswachstum. Die Weltbevölkerung wird von heute rund 7,5 Milliarden Menschen auf rund zehn Milliarden Menschen im Jahr 2050 ansteigen. Schon allein dadurch wird es zu einem absoluten Anstieg der globalen Produktion kommen – mit all den damit verbundenen Auswirkungen auf Klima und Umwelt.
Auch wenn Einkommenswachstum und Bevölkerungswachstum nicht einfach extrapoliert werden können, so ist doch damit zu rechnen, dass es zu einem starken Anstieg der Nachfrage nach Nahrungsmitteln, Gesundheit und Mobilität kommen wird. Auch hier können neue Technologien helfen.
Durch Gentechnologien kann die Nahrungsmittelproduktion selbst auf geringeren Anbauflächen gesteigert werden, so dass mehr Flächen zur Vermeidung des Klimawandels aufgeforstet werden können. Technischer Fortschritt kann also bestehende Zielkonflikte zumindest mildern.
Auch in den westlichen alternden Gesellschaften entstehen interessante Wachstumsmärkte. Die sogenannte Silver Society ist ein riesiger Markt. Die Baby-Boomer-Generation hat besondere Eigenheiten und Präferenzen und eine hohe Kaufkraft.
Geopolitische Verschiebungen
Ein wesentlicher Wachstumsaspekt sind auch die geopolitischen Verschiebungen, die damit einhergehen. Unterschiedliche Raten des Bevölkerungs- und des Einkommenswachstums haben bereits in den letzten zwanzig Jahren zu Verschiebungen der wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse geführt. Es ist zu erwarten, dass sich dadurch auch die geopolitischen Kräfteverhältnisse noch weiter verändern.
In den alternden Volkswirtschaften, darunter der EU, wird sich das Potenzialwachstum weiterhin verlangsamen, während es in den Schwellenländern deutlich höher sein wird. Doch auch hier kommt es, wie im Fall Chinas, zu einem spürbaren Rückgang (von über zehn Prozent auf sechs Prozent p.a.).
Gerade in Phasen der Neuordnung wird verstärkt über Deglobalisierung gesprochen. Die Corona-Krise könnte durch mehr Staatswirtschaft und Autarkiebestrebungen weiter dazu beitragen und in der Folge zu geringerem Wachstum führen.
(Donner & Reuschel)