Nachhaltigkeit

Wird das Coronavirus die Nachhaltigkeit ausbremsen?

Nach dem Lockdown benötigt die angeschlagene Wirtschaft Unterstützung, um wieder auf die Beine zu kommen. ESG-Kriterien sollten dabei nicht aus dem Auge verloren werden, fordern Experten

Die Corona-Pandemie hat auch ökonomisch weltweit eine verheerende Wirkung entfaltet. Rund um den Globus ging die Wirtschaft in die Knie, mit erheblichen Folgen. Für Deutschland hat das Münchener Ifo-Institut versucht, den Schaden zu berechnen. Je nach Szenario schrumpfe die Wirtschaft um 7,2 bis 20,6 Prozentpunkte. Das entspräche einem wirtschaftlichen Schaden von 255 bis 729 Milliarden Euro.
Genau lässt sich das zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sagen. Dennoch ist sich Ifo-Präsident Clemens Fuest sicher: „Die Kosten werden voraussichtlich alles übersteigen, was aus Wirtschaftskrisen oder Naturkatastrophen der letzten Jahrzehnte in Deutschland bekannt ist.“ Und noch etwas scheint sicher. Ohne staatliche Hilfe wird die Wirtschaft so schnell nicht wieder auf die Beine kommen.

Beobachter befürchten, dass bei den Hilfsmaßnahmen der geplante nachhaltige Umbau der Wirtschaft durch Corona ins Hintertreffen geraten oder ausgebremst werden könnte. Die ersten Hilfsmaßnahmen für die Wirtschaft orientierten sich im Grundsatz jedenfalls nicht an ESG-Kriterien. Ob nachhaltiges Wirtschaften oder nicht – alle Unternehmen in Not erhielten staatliche Unterstützung.
Derweil stieß die deutsche Autoindustrie mit ihrer Forderung nach Kaufprämien auch für Autos mit Verbrennungsmotor auf offene Ohren, zumindest bei den Ministerpräsidenten der Bundesländer mit großen Autoproduktionsstätten.

Ob die Politik dem Druck der Automobilindustrie nachgeben wird, ist fraglich. Denn es mehren sich die Stimmen derer, die darauf drängen, bei den Hilfspaketen nicht mit der Gießkanne zu verteilen, sondern dabei insbesondere auf die klimapolitischen Zielsetzungen zu achten. Selbst in der Wirtschaft werden entsprechende Forderungen gestellt. So appellierten Ende April mehr als 60 große deutsche Unternehmen, „wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Bewältigung der Corona- und der Klima- Krise eng zu verzahnen sowie relevante Konjunktur- und Investitionsprogramme systematisch klimafreundlich auszurichten“.
Zu den Unterzeichnern dieses Aufrufs gehörten unter anderem Firmen wie Allianz, Bayer, Thyssen Krupp, E.on, Puma oder die Otto Group.

DIE ZUKUNFT DES GREEN DEALS

Auf europäischer Ebene könnte sich das Coronavirus gegebenenfalls negativ auf den Green Deal der EU-Kommission auswirken. Dieses im Dezember des vergangenen Jahres von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgestellte Projekt verfolgt das ehrgeizige Ziel, bis 2050 in der Europäischen Union die Netto-Emissionen von Treibhausgasen auf null zu reduzieren und somit als erster Kontinent klimaneutral zu werden. Vor dem Hintergrund von Covid-19 werden daher auch auf europäischer Ebene Stimmen laut, die trotz der zu erwartenden Rezession auf die Einhaltung des Green Deals drängen.

Dazu gehört unter anderem die „Green Recovery Alliance“, bestehend aus 79 Europaabgeordneten und dutzenden Wirtschaftsverbänden, NGOs und Thinktanks. Unterstützung erhält die Initiative unter anderem von der Technischen Expertengruppe für nachhaltige Finanzwirtschaft (TEG), welche die Europäische Kommission bei der Umsetzung des Aktionsplans zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums berät. In einem Statement wies das Gremium darauf hin, dass „im Zuge der Unterstützung für die durch Covid-19 aus dem Tritt gekommene Wirtschaft nun im besonderen Maße darauf geachtet werden muss, dass die Maßnahmen nachhaltig und fair ausgestaltet werden“. Nur so ließe sich die Widerstandsfähigkeit gegenüber künftigen Krisen stärken.

DEUTSCHLAND SITZT IM „DRIVERS SEAT“

Deutschland kann in den kommenden sechs Monaten einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass der Green Deal durch Corona keinen größeren Schaden erleidet. Denn ab Juli übernimmt die Bundesrepublik Deutschland für ein halbes Jahr die Präsidentschaft im Rat der Europäischen Union. Der Rat ist ein wesentliches Beschlussfassungsorgan der EU und koordiniert die Politik der Mitgliedsstaaten.

Welchen Kurs Deutschland bei seiner Präsidentschaft verfolgen sollte, macht der Sustainable Finance-Beirat der Bundesregierung auf seiner Homepage deutlich. Dort schreibt er: „Die für anstehende Konjunkturprogramme mobilisierten Mittel werden in den kommenden Jahren wohl ohne Beispiel bleiben. Hieraus ergibt sich eine historische Chance für die Transformation der Wirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit.

Die Programme müssen transparent im Einklang mit Zielen wie den SDGs, dem Pariser Klimaabkommen sowie der Ambition der Europäischen Union, im Jahr 2050 klimaneutral zu sein, ausgerichtet werden.“ Und weiter heißt es: „Für die Bundesregierung bietet sich angesichts der deutschen EU-Ratspräsidentschaft die Chance, der europäischen Idee durch solidarisch ausgerichtetes Handeln dringend benötigte Substanz und Perspektive zu geben. Konjunkturelle Maßnahmenpakete sollten deshalb auf Basis der Ansätze der Europäischen Kommission im Sinne des Net Zero 2050-Ziels und des mehrjährigen EU-Finanzrahmens ausgestaltet werden, insbesondere den Aktivitäten im Rahmen des European Green Deals und des Sustainable Finance Aktionsplans sowie der Taxonomie Verordnung.“

Zustimmung erhielt der Beirat von Bundeskanzlerin Angela Merkel höchstpersönlich. Trotz der zu erwartenden Verteilungskämpfe müsse bei der Auflage von Krisen-Konjunkturprogrammen der Klimaschutz immer fest im Blick sein, sagte sie Ende April beim Petersberger Klimadialog.
„Wir brauchen einen Finanzmarkt, der günstiges Kapital für klimafreundliche Investitionen bereitstellt“,
so die Kanzlerin.

(MEIN GELD)

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