„Diese Krise wird uns noch auf Jahre begleiten“, sagt Michael Prüfer, Manager Risk Services beim internationalen Kreditversicherer Atradius.Die Entwicklung der Branche bestätigt die Einschätzung: Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum stieg die Zahl der Insolvenzen zwischen Januar und Oktober 2024 um 17,5 Prozent. Atradius schätzt, dass der Anstieg im Gesamtjahr 2024 bei insgesamt rund 22 Prozent liegen wird. Die Nichtzahlungsmeldung im Bau sind allgemein per Ende Februar um 8,1 Prozent gesunken, der Vorjahreszeitraum glänzte allerdings mit hohen Vergleichszahlen.
Im Bereich Baumaterialien beobachten wir einen Anstieg um ganze 20 Prozent. Die Baugenehmigungen sanken 2024 gegenüber dem Vorjahr um 24,2 Prozent, der Umsatz im Bauhauptgewerbe ging um rund drei Prozent zurück. Und das konkrete Ziel der Ampel-Koalition von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr scheiterte genauso krachend wie das Regierungsbündnis. Der Zentralverband Deutsches Baugewerbe erwartete für 2024 nur noch 250.000 bis 255.000 Fertigstellungen – 2023 waren es noch 294.400 Wohneinheiten. „Im laufenden Jahr könnte die Zahl der neuen Fertigstellungen sogar unter die Marke von 200.000 Wohnungen fallen“, glaubt Michael Prüfer und ergänzt: „Wir haben im Wohnungsbau kein Erkennungsproblem, sondern ein Umsetzungsproblem.“
Grundsätzlich sei das Kreditrisiko in der Branche deutlich gestiegen, insbesondere für kleine Bauunternehmen. 80 bis 85 Prozent der Baufirmen haben weniger als 20 Beschäftigte. Viele Unternehmen mit geringer Liquidität hätten laut Atradius ihre Zahlungsziele verlängert. Dennoch sei nicht mehr einer ausgeprägten Marktbereinigung zu rechnen. Insbesondere die großen Unternehmen der Branche hätten ihre Hausaufgaben gemacht und seien heute stabiler aufgestellt als vor ein bis zwei Jahren.
Politik steht im Wohnungsbau in der Bringschuld
Und hier ist die Politik gefragt: Die Verantwortlichen setzen bislang ihre eigenen Ankündigungen und Vorhaben nicht konsequent um. Daher ist die künftige Bundesregierung aus Sicht des Atradius Managers dringend gefordert, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen, um die Baubranche wieder solider auszustellen. Dazu zähle aus seiner Sicht, Baugenehmigungen schneller zu erteilen, die ausufernden Bauvorgaben zu prüfen, eine Verringerung der Bürokratie oder Förderprogramme klarer zu gestalten. Michael Prüfer: „Von der Substanz her ist die deutsche Bauindustrie mit ihren 2,6 Millionen Beschäftigten grundsolide und stabil.“
Allerdings sieht es nicht in allen Bereichen des Baugewerbes so wenig zufriedenstellend aus. Der Tiefbau hat noch relativ volle Auftragsbücher und profitiert insbesondere von Aufträgen für neue Trassen seitens der Deutschen Bahn sowie weiteren Infrastrukturprojekten für die Energiewende. Die öffentlichen Bauinvestitionen konnten zwar im vergangenen Jahr nach Angaben des Branchenverbandes um drei Prozent beim Umsatz zulegen, aber in diesem Jahr wird angesichts der knappen Kassen der Kommunen lediglich mit einer Stagnation gerechnet.
Welche Rolle das Infrastrukturpaket im Falle einer Zustimmung seitens der Politik tatsächlich spielen wird, ist aktuell noch offen. Sollte das Finanzpaket über 500 Mrd. Euro für Straßen, Schiene und andere Infrastrukturprojekte jedoch eine gesetzliche Mehrheit im Bundestag und Bundesrat erhalten, könnte dies ein Booster für die Branche werden. „Es schafft eine verlässliche Finanzierungsperspektive und sorgt durch einen auf zehn Jahre angelegten Zeitraum für Planungssicherheit in der Bauwirtschaft“, betont Michael Prüfer.
Hoffnung für das zweite Halbjahr 2025
Nach Einschätzung von Atradius wird eine Erholung der Branche erst in der zweiten Jahreshälfte 2025 mit einem Wachstum von lediglich 0,1 Prozent für das Gesamtjahr und weiter sinkenden Gewinnen (-1,9 Prozent) erwartet. Der Wohnungsbau wird laut Atradius stagnieren, während der Nichtwohnungsbau um 0,3 Prozent und der Tiefbau um 0,8 Prozent wachsen sollen. Letzterer wird von staatlichen Investitionen in Infrastrukturprojekte profitieren.
Problematisch für die Bauindustrie ist der Mangel an Fachkräften. Zwar konnten die Unternehmen der Branche die Zahl ihrer Beschäftigten in den vergangenen Jahren weitgehend stabil halten, doch diese Situation droht zu kippen. Denn: Rund ein Drittel der Beschäftigten im Bau ist über 50 Jahre alt. Und angesichts der schweren körperlichen Arbeit dürften viele von ihnen nicht bis zum offiziellen Renteneintrittsalter arbeiten können. „Der Mangel an Fachkräften wird sich noch verstärken, wenn die Boomer in Rente gehen“, sagt Michael Prüfer. Hier müssten neben den bereits erhöhten Löhnen und verbesserten Arbeitsbedingungen weitere Anstrengungen unternommen werden, um die Attraktivität des Bauberufs zu erhöhen.