Wirtschaft

Der schlechte Ruf des Mai

Kaum ein Monat hat bei den Anlegern einen derart schlechten Ruf wie der Mai. Denn die Statistik zeigt, dass mit dem Mai eine bis September dauernde Phase beginnt, in welcher der Dax deutlich schlechter abschneidet als in der Zeit von Oktober bis April.

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Aktienrally in Gefahr

Der Dax hat sich in den vergangenen zwei Monaten dynamisch gezeigt. In dieser Zeitspanne legte er ausgehend vom Zwischentief bei 8753 Punkten immerhin knapp 15% zu und hat inzwischen auch wieder die Marke von 10000 Punkten überwunden. Der EuroStoxx 50 hat sich im gleichen Zeitraum um rund 14% befestigt.

Angetrieben wird der Aktienmarkt von mehreren Faktoren. Von großer Bedeutung ist die nach wie vor ultralockere Geldpolitik der Notenbanken. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat noch einmal kräftig aufgedreht und ihr Anleihenkaufprogramm deutlich ausgeweitet. Was die amerikanische Notenbank Federal Reserve (Fed) betrifft, so erwartet die große Mehrzahl der Beobachter, dass es frühestens im Juni zu einer weiteren Zinsanhebung kommen wird. Das Tempo der geldpolitischen Normalisierung dürfte damit äußerst gemächlich ausfallen, und vermutlich dürfte im Bereich von 3% auch bereits der Höhepunkt des Zinsanhebungszyklus liegen. An der seit Jahren gültigen Diagnose, dass der Aktienmarkt am Tropf der Notenbanken hängt, ändert sich somit nichts.

Aufhellung in China

Hinzu kommt, dass es zuletzt etwas freundlichere konjunkturelle Frühindikatoren aus China und auch aus der Eurozone gegeben hat. Für Deutschland wird im laufenden Jahr ein Wirtschaftswachstum in der Größenordnung von 1,7% erwartet, für die gesamte Eurozone immerhin von 1,6%. Damit haben sich die Rezessionsängste inzwischen wieder erledigt.

Außerdem weisen auch die Bewertungen nicht mehr in den Himmel. Der Dax wird aktuell mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) auf Basis der Gewinnschätzungen der kommenden zwölf Monate von 12,3 bewertet und damit nur noch in der Mitte der Spanne der vergangenen fünf Jahre.

Zudem lässt sich eine gewisse Alternativlosigkeit der Aktienanlage konstatieren. Die durchschnittliche Dividendenrendite im Dax beträgt rund 3,2%. Dies vergleicht sich mit einer Rendite zehnjähriger Bundesanleihen von praktisch null sowie, was sicherlich den besseren Vergleich darstellt, einer Rendite von Unternehmensanleihen mit einem Rating von „BBB“ von gerade einmal 1,3%. Daraus errechnet sich ein Renditevorteil der Aktienanlage von rund 190 Basispunkten. Nach Angaben der Commerzbank handelt es sich um den größten Renditevorteil für Dax-Dividenden in den vergangenen 16 Jahren. Da es wohl nur noch eine Frage der Zeit ist, bis die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen ins Negative rutscht und da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die EZB noch stärker zum Mittel der Negativzinsen greift, könnte sich der Renditeabstand von Aktien und Anleihen noch weiter vergrößern.

Dadurch sind Aktien auf jeden Fall gut unterstützt. Ob allerdings mit einer kraftvollen Fortsetzung der aktuellen Rally gerechnet werden kann, ist eine ganz andere Frage. Dagegen spricht unter anderem, dass die jüngste Fondsmanagerumfrage von Bank of America Merrill Lynch ergeben hat, dass große institutionelle Anleger europäische Dividendentitel zunehmend meiden. Auch die jüngsten Daten zu den Zu- und Abflüssen von Exchange Traded Funds (ETF) deuten auf eine Rotation heraus aus den Aktien der Eurozone und möglicherweise hin zu den Emerging Markets und sogar britischen Aktien hin.

Hinzu kommt, dass makroökonomisch die Bäume in der Eurozone keineswegs in den Himmel wachsen. Es bleibt ein ungutes Gefühl zurück, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die EZB aus allen Rohren feuert, es aber nur bei einem vergleichsweise bescheidenen Wirtschaftswachstum bleibt – die Eurozone befindet sich offensichtlich in einer Liquiditätsfalle. Aufgrund der Austeritätspolitik in weiten Teilen der Eurozone bleibt der private Konsum schwach, woran sich auch in nächster Zeit nichts ändern wird.

Diskrepanz der Gewinne

Es gibt noch einen weiteren Faktor, der belastend wirken dürfte. Nach Berechnungen von Ralf Zimmermann, Aktienstratege beim Bankhaus Lampe, ist die Differenz zwischen den um Sondereffekte bereinigten Ergebnissen und den nach den Bilanzierungsvorschriften ausgewiesenen Gewinnen im Dax derzeit besonders hoch. Dadurch gewinnt das Problem, dass die Gewinnprognosen der Unternehmen bei steigenden Kursniveaus nach unten revidiert werden, an Brisanz.

Letztlich darf daher erwartet werden, dass die Aktienrally langsam ausläuft und in eine Seitwärtsbewegung übergeht. Es muss bezweifelt werden, dass der Dax in naher Zukunft das Niveau von 11000 Punkten wiedersieht.

 

Börsen-Zeitung, 16.04.2016, Autor Dieter Kuckelkorn, Nummer 73, Seite 1

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